Christoph Metzelder hat drei Jahre bei Real Madrid gespielt. Im Experten-Interview spricht der 36-Jährige über die Bedeutung des Clasico gegen den FC Barcelona (Samstag, ab 15.30 Uhr live auf DAZN und im LIVETICKER), Vergleiche zum Revierderby sowie die Rolle von Toni Kroos und Marc-Andre ter Stegen.
SPOX: Herr Metzelder, Sie haben von 2007 bis 2010 drei Jahre bei Real Madrid gespielt. Welche Bedeutung hat der Clasico gegen den FC Barcelona aus Ihrer Sicht?
Christoph Metzelder: Wir kennen den "deutschen Clasico" zwischen Borussia Dortmund und Bayern München, der seit Jahren zu einem globalen Topspiel stilisiert wird. Das ist beim "Original" gar nicht nötig, denn Barcelona gegen Real Madrid elektrisiert die ganze Welt und ist damit schon lange kein nationales Phänomen mehr. Mit der historisch gewachsenen Rivalität zwischen den beiden Klubs gibt es zusätzlich noch eine politische Dimension zwischen Katalonien und der Hauptstadt Madrid.
SPOX: Bereitet man sich als Spieler auf dieses Highlight anders vor als beispielsweise auf ein Spiel gegen Deportivo La Coruna?
Metzelder: Man weiß natürlich, dass man auf Gegenspieler treffen wird, die allesamt Weltklasse verkörpern. Außerdem ist man sich bewusst, dass der Ausgang unter Umständen entscheidenden Einfluss auf den Titelkampf haben kann. Und am Spieltag selbst auf dem Weg zum Stadion merkt man es auch.
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SPOX: Woran?
Metzelder: Es ist eine völlig andere, aufgeheizte Atmosphäre. Ich erinnere mich daran, als wir mit dem Bus zum Bernabeu gefahren sind, wie viele tausend Menschen da die Straßen gesäumt haben. Sie wollten der Mannschaft noch einmal bewusst machen, wie viel Bedeutung dieses Spiel für sie hat.
SPOX: Ist auch der Umgang im Verein vor dem Clasico ein anderer? Sprechen vielleicht Vereinsoffizielle in der Kabine, die sonst nicht zur Mannschaft sprechen?
Metzelder: Bei Real kamen eigentlich immer nur dann Offizielle in die Kabine, um ein Wort an die Mannschaft zu richten, wenn wir in der Champions League ausgeschieden sind. Das war in den drei Jahren jeweils im Achtelfinale der Fall. Ansonsten ist der Umgang im Verein - entgegen all der Hysterie, die sich dort täglich in den Sportzeitschriften manifestiert - sehr entspannt. Das war jedenfalls immer meine Wahrnehmung.
SPOX: Wie entwickelt sich die Stimmung in einer Clasico-Woche im Umfeld? Wird man häufiger auf der Straße angesprochen?
Metzelder: Ich war kein Stammspieler, deswegen hat sich das in Grenzen gehalten. Aber natürlich erinnerten einen die "madridistas" noch einmal mit Nachdruck an die Wichtigkeit des Spiels.
SPOX: Im Clasico 2009 haben Sie eine 2:6-Niederlage erlebt. Welche Erinnerungen haben Sie an die Partie?
Metzelder: Die Ausgangslage war klar. Wir hatten das Hinspiel, das ich auch spielen durfte, mit einer Rumpftruppe durch zwei späte Tore mit 0:2 im Camp Nou verloren. Zu diesem Zeitpunkt im Dezember standen wir auf Platz sechs, zwölf Punkte hinter Barcelona. Dann haben wir uns unter Juande Ramos Stück für Stück herangekämpft und waren vor dem Rückspiel am fünftletzten Spieltag bis auf vier Punkte dran.
Christoph Metzelder im Interview: "Auch beim BVB lieben sie Typen wie Amoroso"
SPOX: Also mussten Sie mit allen Mitteln gewinnen.
Metzelder: Genau. Wir gingen früh durch Gonzalo Higuain mit 1:0 in Führung. Das hätte bedeutet, dass wir bis auf einen Punkt an Barcelona herangerückt wären. Wir haben weiter mit hohem Risiko gespielt, haben uns hinten teilweise aber auch zu sehr entblößt, sodass wir phasenweise massiv ausgekontert wurden. Dann hat das Spiel eine Eigendynamik angenommen. Wir mussten auf Sieg spielen und haben jegliche Ordnung verloren. Das war eine extrem bittere Niederlage.
SPOX: Fühlt sich so ein Ergebnis umso bitterer an, wenn man es gegen den großen Rivalen hinnehmen muss?
Metzelder: Wir wussten, dass die Meisterschaft entschieden ist. Außerdem ist so eine derbe Heimniederlage in einem Clasico ein sporthistorischer Moment. Das sind Spiele, an die man sich im Rückblick auf seine Karriere erinnert.
SPOX: Sie haben sowohl für den FC Schalke 04 als auch für Borussia Dortmund gespielt und einige Erfahrungen im Revierderby gesammelt. Lässt sich dieses emotionale Duell mit dem Clasico vergleichen?
Metzelder: Das Ruhrderby ist ein regionales bzw. nationales Phänomen, während der Clasico in die ganze Welt strahlt. Auf der anderen Seite wird Fußball im Ruhrgebiet gerade in den Stadien noch einmal anders gelebt. Das sind zwei Arbeitervereine und ein Großteil der Fans ist sehr tief mit den Klubs verwurzelt. Die Stimmung im Stadion ist beim Revierderby eine völlig andere. Real Madrid und der FC Barcelona sind dagegen Weltklubs mit einer entsprechenden internationalen Zuschauerstruktur. Der Clasico ist aus meiner Sicht das Spiel im internationalen Ligafußball mit der höchsten sportlichen Bedeutung.
SPOX: In der Vergangenheit gab es beim Clasico emotionale Szenen wie die Rückkehr von Luis Figo ins Camp Nou, als er von den Fans mit Gegenständen, faulem Obst und sogar einem Schweinekopf beworfen wurde. Dieser "verbotene Wechsel" ist bei so einer großen Rivalität der Fanlager schwierig. Auch Sie sind nach Ihrer Zeit bei Real zum großen Rivalen eines Ex-Klubs gewechselt. Wie haben Sie es erlebt, als Sie das erste Mal mit Schalke auf den BVB getroffen sind?
Metzelder: Ich bin massiv ausgepfiffen worden und das - aus Dortmunder Sicht - auch zu Recht. Das konnte ich verstehen und dementsprechend war meine Erwartungshaltung. Wenn man als Profifußballer so eine Entscheidung trifft, muss man mit den Konsequenzen leben.
SPOX: Ist es besonders schwierig, sich auf so ein Spiel vorzubereiten, wenn man weiß, dass es Pfiffe geben wird, oder ist das eine besondere Motivation?
Metzelder: Normalerweise sind die Pfiffe der gegnerischen Fans wie der Applaus der eigenen, Motivation pur! Aber in dem Fall war es anders. Wenn man sieben Jahre in einem Verein gespielt hat, ist es ungewohnt, so ausgepfiffen zu werden. Das hat mich extrem beschäftigt.
SPOX: Besonders motiviert wäre mit Sicherheit auch Toni Kroos vor dem Clasico am Samstag gewesen. Allerdings verpasst er ihn verletzungsbedingt. Wie enttäuscht ist man als Profi, bei so einer besonderen Partie nicht mitwirken zu können?
Metzelder: Wenn man in Spielen mit dieser Bedeutung auf dem Platz steht und gewinnt, ist man Teil der Sportgeschichte. Das ist die größtmögliche Bühne als Fußballer. Als Sportler möchte man sich im Wettkampf mit den Besten messen. Nicht dabei sein zu können, tut weh.
SPOX: Sie haben angesprochen, dass Sie in Ihrer Zeit bei Real kein Stammspieler waren. Ist es für einen deutschen Spieler bei so einem Weltverein besonders schwierig, sich ein Standing zu erarbeiten, weil der Klub im Zweifel doch eher auf Local Heroes setzt?
Metzelder: Es ist insofern schwierig, sich zu durchzusetzen, weil man sich mit den Besten der Welt misst und auf seiner Position eine maximale Konkurrenzsituation hat. Ich kam nicht mit dem Rückenwind einer gigantischen Ablösesumme, mein Wechsel lief stattdessen eher unter dem Radar. Das ist in so einem Verein ungünstig. Ich habe gespürt, dass ich in engen Entscheidungen derjenige war, der zurückstecken musste. Aber das Schöne am Sport ist, dass jeder selbst für seine Leistung verantwortlich ist. Für jeden geht es darum, sich unverzichtbar zu machen. Deshalb will ich mich auch nicht über äußere Umstände beschweren, sondern es hat sportlich einfach nicht ganz gereicht.
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SPOX: Auch Toni Kroos kam nicht unbedingt mit dem Rückenwind einer gigantischen Ablösesumme nach Madrid. Er kostete "nur" 30 Millionen Euro, während Real im gleichen Transferfenster James Rodriguez für 75 Millionen Euro verpflichtet hat. Wie bewerten Sie Kroos' Entwicklung seitdem?
Metzelder: Ablösesumme ist das eine, aber er kam als Weltmeister 2014. Einen größeren Rückenwind kann man gar nicht haben. Darüber hinaus ist Toni ein fantastischer Fußballer, der perfekt zur Spielweise von Real Madrid passt. Für mich war Kroos Xabi Alonso 2.0. Genau das hat sich bestätigt. Er ist niemand für die ganz großen, spektakulären Momente, aber er ist Taktgeber und eröffnet das Spiel von Madrid sowohl mit kurzen, als auch mit langen Pässen. Er genießt großen Respekt in der Mannschaft und im Umfeld.
SPOX: Marc-Andre ter Stegen hatte beim FC Barcelona dagegen einen schwierigeren Start, da er in seinen ersten beiden Jahren lediglich der Pokal- und Champions-League-Torhüter war.
Metzelder: Letztlich war das eine ähnliche Situation, wie sie auch mir oder Timo Hildebrand widerfahren ist. Man wird am Anfang einer Transferperiode verpflichtet, schaut sich den Kader an und ordnet seine Chancen ein. Am Ende des Transferfensters kommen dann jedoch noch ein paar Spieler. Timo wurde damals von einem Sportdirektor geholt, der am Ende der Vorbereitung nicht mehr im Amt war. Bei mir wurden erst Pepe und schließlich auch noch Gabriel Heinze für meine Position verpflichtet. Das verändert die Situation. In dem Sommer, in dem ter Stegen zum FC Barcelona gewechselt ist, kam mit Claudio Bravo einer der besten Torhüter der WM 2014. Das war so nicht vorhersehbar.
SPOX: Mittlerweile ist Bravo zu Manchester City gewechselt und ter Stegen die Nummer eins.
Metzelder: Ich habe mich gewundert und gleichzeitig sehr für Marc gefreut, denn man konnte den Eindruck gewinnen, dass eher Bravo die Nase vorne hätte. Dass sich ter Stegen bei Barca durchgesetzt hat, ist bewundernswert, zumal er nicht den Bonus hat, Stammtorhüter der deutschen Nationalmannschaft zu sein.
SPOX: Zum Abschluss kommen wir zur aktuellen Tabellensituation in Spanien: Mit einem Sieg am Wochenende könnte Real bereits auf neun Punkte davonziehen. Wäre das bereits eine Vorentscheidung, oder ist es dafür noch zu früh in der Saison?
Metzelder: Es hätte schon einen vorentscheidenden Charakter. Generell hat man aber das Gefühl, dass die Spitze mit Sevilla und Atletico etwas breiter geworden ist. Die Zeiten, in denen sich Real und Barca auf 100 Punkte hochschaukeln und in den beiden Clasicos die Meisterschaft entschieden wird, sind vorbei.
SPOX: Wer wird den Clasico gewinnen?
Metzelder: Ich bin da ja leider überhaupt nicht objektiv. Selbstverständlich gewinnt Real. (lacht)
Christoph Metzelder im Steckbrief