Am Ende versuchte man den Anschein zu erwecken, dass alles gar kein Problem gewesen sei: Lionel Messi erklärte via Instagram, dass die Profis des FC Barcelona während der Corona-Pandemie auf 70 Prozent ihres Gehalts verzichten werden, wodurch der Verein pro Monat allein bei den Fußballern etwa 14 Millionen Euro einspart und seine restlichen Mitarbeiter weiterhin vollständig bezahlen kann.
Während Messi erklärte, dass es nur deshalb etwas länger gedauert habe, "weil wir nach einer Formel für die Hilfen für den Klub und seine Mitarbeiter gesucht haben", ergänzte Präsident Josep Maria Bartomeu in der Mundo Deportivo, dass alle Beteiligten "vom ersten Moment an" einer Reduzierung des Gehälter zugestimmt haben.
Doch dass es hinter den Fassaden bei den Katalanen schon länger brodelt und sich dies auch keineswegs geändert hat, ließ Messi in seiner Nachricht ebenfalls deutlich anklingen, indem er sagte: "Es ist überraschend, dass versucht wurde, uns unter gewaltigen Druck zu setzen, um etwas zu tun, was wir ohnehin getan hätten."
Dass Bartomeu den Anschein einer heilen Welt erwecken will und mit allen Mitteln versucht, die sich gehäuft gegen ihn gerichteten Stimmen verstummen zu lassen, bestätigt auch Goal-Korrespondent Ignasi Oliva, der täglich vom FC Barcelona berichtet: "Im Juni 2021 stehen Präsidentschaftswahlen an und viele Handlungen Bartomeus müssen in diese Richtung interpretiert werden. Teilweise wurde er zuletzt bei den Heimspielen sogar ausgepfiffen, das ist lange nicht mehr vorgekommen."
Barcelona: Nur Braithwaite als Dembele- und Suarez-Ersatz
Die finanzielle Situation Barcas stellte sich bereits vor der Coronakrise als überaus kritisch dar, was sich im Januar zeigte, als der Klub auf die langfristigen Ausfälle von Ousmane Dembele und Luis Suarez mit der Verpflichtung von Martin Braithwaite, einem 28-jährigen Stürmer vom kleinen CD Leganes, reagierte. Geld für hochkarätigen und prominenten Ersatz war schlichtweg nicht vorhanden - und das, obwohl der FCB momentan mit einem Gesamtetat von 1,047 Milliarden ausgestattet ist.
"In der vergangenen Saison schrieb Barcelona erst dadurch schwarze Zahlen, dass am 30. Juni Jasper Cillessen für 20 Millionen an den FC Valencia verkauft wurde", erklärt Oliva. In der aktuellen Spielzeit entfallen 61 Prozent der Ausgaben nur auf die Gehälter (642 Millionen), ein ungleich höherer Anteil als bei den Konkurrenten, weshalb es laut Oliva unabdingbar sei, diese zu reduzieren. "Das ist der Schlüssel zur Verbesserung der Situation, auch, um nicht gegen das Financial Fair Play zu verstoßen."
Die SZ berichtete zudem von Stimmen innerhalb der Mannschaft, die einem derart starken Gehaltsverzicht kritisch gegenübergestanden hätten. Die dahintersteckende Aussage an die Vereinsführung: ‚Wir sollen die Kassen des Vereins entlasten, weil ihr in den vergangenen Jahren rund eine Milliarde für Spieler ausgegeben habt, die uns nicht weiterhelfen!' Allein für Philippe Coutinho, Dembele und Antoine Griezmann wechselten fast 400 Millionen Euro den Besitzer.
Verschärft wird diese Notlage durch die Corona-Krise, die den Verein nach Schätzungen der spanischen Zeitung El Pais aufgrund der fehlenden TV- und Ticketing-Einnahmen 140 Millionen Euro kosten wird. Wie in nahezu allen anderen Teilen der Welt ist schon jetzt klar: Die laufende Saison wird im besten Fall in Form von Geisterspielen beendet. Einen Zeitpunkt gibt es dafür noch nicht.
FCB durch alternde, überbezahlte Profis am Gehaltslimit
Der Umbruch, den Barca einleiten muss, um die alternden Ivan Rakitic und Arturo Vidal sowie möglicherweise auch die enttäuschenden Samuel Umtiti, Dembele oder gar Griezmann zu ersetzen, wird durch diesen Umstand um einiges erschwert - auch wenn Bartomeu dies relativiert: "Es wird nicht so viel Geld da sein, aber Barca wird in der Lage sein, auf dem Transfermarkt aktiv zu werden, wenn wir es für nötig halten."
Als mögliche Lösung nennt Bartomeu auch Tauschgeschäfte. So könnte nach Informationen von Sky Sport Griezmann zu Paris Saint-Germain abgegeben werden, um im Gegenzug eine Neymar-Verpflichtung zu vereinfachen. Durch diese "Ersparnis" hoffe man insgeheim sogar darauf, mit Martinez von Inter Mailand auch den zweiten Wunschkandidaten an Land ziehen zu können.
"Inter hat bereits klargestellt, dass sie auf eine Ablösesumme bestehen. Entweder zieht Barca die Ausstiegsklausel in Höhe von 111 Millionen Euro oder ein Transfer scheitert. Sie müssen sich wohl für einen der beiden entscheiden - Neymar oder Martinez", glaubt Oliva nicht an einen katalanischen Doppelschlag auf dem Transfermarkt - ganz zu schweigen von Bayerns David Alaba und dem Dortmunder Raphael Guerreiro, die ebenfalls mit Barcelona in Verbindung gebracht werden, aber keine Position bekleiden, auf der akuter Handlungsbedarf herrscht.
Aus einem überbezahlten Kader, dem zunehmend die absoluten Ausnahmespieler ausgehen, ragen zwei hervor: Messi und Marc-Andre ter Stegen. Während bei ersterem trotz wachsender Unzufriedenheit mit der Arbeit von Bartomeu und Sportdirektor Eric Abidal sowie der Forderung nach Verstärkungen ein Abgang unwahrscheinlich erscheint, steht beim deutschen Torhüter eine wegweisende Entscheidung an.
Marc-Andre ter Stegen will zu den Topverdienern aufsteigen
Die Parteien verhandeln über eine Verlängerung des 2022 auslaufenden Vertrages. Eine Ausdehnung des Kontrakts bis 2024 inklusive Gehaltserhöhung auf 6,5 Millionen lehnte der ehemalige Gladbacher nach Berichten der im Barca-Kosmos gut informierten Sport ab, auch eine nochmalige Aufstockung und ein Vertrag bis 2025 stellte ihn nicht zufrieden.
Der Grund: Ter Stegen will in die Riege der Top-Verdiener aufsteigen und ein Netto-Verdienst in zweistelliger Millionenhöhe kassieren - aufgrund seiner Leistungen eine nachvollziehbare Forderung. Nur: Das Gehaltslimit ist beim FC Barcelona erreicht, Geld für derart kostspielige Verlängerungen fehlt, begründet durch die Fehler der Vergangenheit.
Seinen Optimismus hat Bartomeu trotz aller Probleme nicht verloren: "Letztlich ist Barca der größte Klub der Welt. Die Tatsache, dass sich überall die Einnahmen reduzieren, ändert nichts daran, dass wir weltweit die höchsten Einnahmen generieren - das wird auch nach dem 30. Juni noch so sein."
Entschieden düsterer bewertet Oliva die Aussichten der Katalanen: "Der FCB muss sich mit ernsthaften Problemen auseinandersetzen. Alle Elite-Teams werden leiden, aber Barcelona ganz besonders. In erster Linie hat Barca dieses Chaos selbst verursacht, weil sie nicht nachhaltig gehandelt haben. Nun stehen sie vor einem Notstand, den es in dieser Form noch nicht gab."
FC Barcelona: Die teuersten Transfers seit 2016
Spieler | Saison | Abgebender Verein | Ablöse |
Philippe Coutinho | 2017/18 | FC Liverpool | 145 Millionen Euro |
Ousmane Dembele | 2017/18 | Borussia Dortmund | 125 Millionen Euro |
Antoine Griezmann | 2019/20 | Atletico Madrid | 120 Millionen Euro |
Frenkie de Jong | 2019/20 | Ajax Amsterdam | 75 Millionen Euro |
Malcom | 2018/19 | Girondins Bordeaux | 41 Millionen Euro |
Paulinho | 2017/18 | GZ Evergrande | 40 Millionen Euro |
Andre Gomes | 2016/17 | FC Valencia | 37 Millionen Euro |
Clement Lenglet | 2018/19 | FC Sevilla | 35,9 Millionen Euro |
Nelson Semedo | 2017/18 | Benfica Lissabon | 35,7 Millionen Euro |