Jeder kennt sie, diese eine WhatsApp-Gruppe mit Kumpels, in denen allerlei Blödsinn landet. Auch Roberto Carlos bleibt davon nicht verschont. Im Internet kursiert ein Video, in dem die brasilianische Fußball-Legende ermahnende Worte spricht. "Zu viel Rumgehure in dieser Gruppe, viel zu viel Rumgehure", sagt Carlos in die Kamera. "Lasst uns über die ernsten Dinge des Lebens reden, verdammt!"
Besonders gute Freunde scheinen dieses Video nicht erhalten zu haben, sonst wäre es wohl nicht an die Öffentlichkeit gelangt. Andererseits bekommt man durch den "Leak" auch nicht wirklich ein neues Bild von Carlos. Er, der fast so viele Kinder (9) wie Länderspieltore (11) hat, ist nun einmal dafür bekannt, sich gerne mit Frauen zu vergnügen. Zu seiner Zeit als Mitglied der Galacticos von Real Madrid zählte er zu den größten Partylöwen. "Ich habe mehr Nächte mit Roberto verbracht als mit all den Frauen, die ich in meinem Leben hatte", sollte sein engster Freund Ronaldo einmal sagen.
Busse mit Frauen: "Die Galacticos standen sich selbst im Weg"
Ivan Helguera, sein ehemaliger Abwehrpartner, bestätigte in diesem Zusammenhang erst vor rund einem Jahr in einem Instagram-Livechat, dass Carlos und Ronaldo ganze Busse mit Frauen gechartert und zu sich nach Hause eingeladen hätten. Nur wenige, darunter er, Zinedine Zidane, David Beckham und Luis Figo, hätten solchen Fiestas widerstanden. "Wenn ich so eine Frau wie Figo hätte, würde ich auch nicht ausgehen", waren die Worte, die Ronaldo damals an Reals Präsidenten Florentino Perez richtete, der angesichts der Jahr für Jahr schwächeren Leistungen seines Starensembles das Gespräch mit den Radaumachern suchte.
"Es ist kein Geheimnis, dass sich die Galacticos selbst im Weg standen. Sie hätten mehrmals die Champions League gewinnen können - wenn nicht gar müsse - hatten aber andere Prioritäten: teure Autos, teurer Schmuck, teure Partys, teure Kurzreisen. Und Frauen, Frauen, Frauen", erzählt der Journalist Manuel Pereira, der seit 1979 in Madrid lebt und arbeitet, im Gespräch mit SPOX und Goal. Präsident Perez habe den Fehler begangen, zu viel durchgehen zu lassen. "Das Problem war, dass er insbesondere die Brasilianer anhimmelte. Sie waren seine Lieblinge", berichtet Insider Pereira.
Camacho blieb nur vier Spieltage
Daher habe Perez in erster Linie die Schuld an den ausbleibenden Erfolgen auf der Trainerbank gesucht. Die glich in jener Ära einer Art Schleudersitz. Unvergessen das Kurz-Intermezzo von Klub-Legende Jose Antonio Camacho, der in der Saison 2004/05 nach nur vier Liga-Spieltagen seine Kündigung einreichte. Die Spieler hätten ihm geradezu auf der Nase herumgetanzt, lautete die Begründung des spanischen Übungsleiters. Sein Vorschlag, morgens um 7 statt 10.30 Uhr zu trainieren, stieß auf wenig Gegenliebe. "Ich bekam von oben keine Unterstützung", so Camacho.
Sein Nachfolger Mariano Garcia Remon hielt es auch nur bis Weihnachten aus, ehe Perez in seiner Verzweiflung einer Empfehlung von Carlos Folge leistete und dessen Landsmann Vanderlei Luxemburgo vom FC Santos in die spanische Hauptstadt lotste. Luxemburgo war zehn Jahre zuvor Carlos' Trainer beim SC Palmeiras gewesen und kannte auch Stürmer Ronaldo aus der Selecao, die er zwischen 1998 und 2000 betreut hatte.
Luxemburgo: Strenge Methoden, ernüchternder Fußball
Mit ihm erhoffte sich Perez mehr Professionalität bei den Königlichen. Der in Europa unbekannte Luxemburgo galt aber nicht nur als strenger Übungsleiter, sondern auch als innovativer Taktiker. Er sollte die Ansammlung von Egos und Mimosen zu einem funktionierenden Kollektiv formen. Dafür bekam er mit Thomas Gravesen zwar keinen besonders guten, aber immerhin einen laufstarken Neuzugang für das anfällige defensive Mittelfeld zur Verfügung gestellt. Der Plan schien trotz des frühen Ausscheidens in der Copa del Rey gegen Zweitligist Real Valladolid aufzugehen.
Luxemburgo, der vorher nie in Europa gearbeitet hatte, gewann seine ersten sieben Liga-Spiele mit dem weißen Ballett. Die Aufholjagd in der Meisterschaft blieb am Ende jedoch unbelohnt, der ewige Rivale FC Barcelona verspielte nur neun der 13 Punkte Vorsprung, die er vor Luxemburgos Ankunft auf seinem Konto gehabt hatte. Und weil sich die Königlichen auch im Achtelfinale der Champions League gegen Juventus Turin mit blutleerem Fußball verabschiedeten, ging die erste halbe Saison des Brasilianers als ernüchternd in die Geschichte ein.
Figo musste gehen, mehr Brasilianer kamen
Präsident Perez und die sportliche Leitung, zu der unter anderem der italienische Taktikexperte Arrigo Sacchi zählte, gewährten dem Trainer jedoch eine zweite Chance. Dafür opferten sie mit Figo sogar einen Publikumsliebling. Der portugiesische Rechtsaußen passte nicht in Luxemburgos System und zog auf unrühmliche Weise zu Inter Mailand weiter. Perez versuchte, die Fans zu besänftigen, indem er das brasilianische Supertalent Robinho für 24 Millionen Euro von Luxemburgos Ex-Verein Santos verpflichtete.
Auf Wunsch von Luxemburgo kam mit Julio Baptista zudem noch ein weiterer Brasilianer zu den Blancos. Der bullige Stürmer sollte ob der hohen Konkurrenz an vorderster Front im Mittelfeld agieren. Luxemburgo setzte fortan auf ein 4-2-2-2. In dem "magischen Quadrat", wie die zur Übertreibung neigende spanische Presse das Mittelfeld und den Sturm schon nach ein paar passablen Auftritten in der Vorbereitung nannte, fanden neben Baptista auch die restlichen Offensivstars Platz. "Es ist wichtig, eine Balance zu finden - mit dem Ball, aber auch ohne den Ball", sagte Luxemburgo. Welche Spielertypen auf dem Platz stehen, spiele dabei "keine Rolle". Der Real-Coach: "Alle müssen nach vorne und nach hinten arbeiten."
Roberto Carlos: Vom Freund zum Feind
So richtig Lust schienen sie darauf aber nicht zu haben. Nicht einmal seine Landsmänner. Ausgerechnet Linksverteidiger Carlos, der sich für Luxemburgos Anstellung stark gemacht hatte, gehörte zu den Spielern, die ihn Schritt für Schritt entmachteten. "Es war nicht der fehlende Respekt, es war die fehlende Einstellung. 'Luxa' hat wirklich gute Arbeit geleistet, aber wir haben es ihm nicht leicht gemacht", sagte Carlos Jahre später in einem Interview mit der brasilianischen Tageszeitung Folha de Sao Paulo. "Es reicht schon, wenn zwei oder drei Führungsspieler nicht den Vorgaben des Trainers nachkommen. Damit stecken sie die gesamte Mannschaft an." Das Problem von Luxemburgo: "Er wollte Dinge verbieten, die in Brasilien nicht üblich sind, in Europa aber schon."
Etwa den Konsum von Bier und Wein. "Wir hatten die Angewohnheit, wenn wir am Tag vor einem Spiel im Hotel ankamen, unsere Taschen ins Zimmer zu stellen und vor dem Abendessen unser Bier und unseren Wein zu trinken", berichtete er. "Es standen immer zwei Flaschen Wein auf dem Tisch." Ronaldo und er hätten Luxemburgo gesagt: "Wir Spieler hier haben unsere Gewohnheiten, also versuchen Sie, sie nicht zu ändern und nehmen Sie uns den Wein und das Bier nicht weg." Doch Luxemburgo widersetzte sich diesem Rat: "Erst nahm er uns das Bier und dann den Wein weg."
Perez zu Luxemburgo: "Du kannst Ronaldo nicht auswechseln"
Wenige Monate später, Anfang Dezember 2005, folgte seine Entlassung. So etwas spreche sich eben bis nach oben zu den Verantwortlichen herum, so Carlos. Tatsächlich war am Ende auch Präsident Perez derjenige, der infolge einiger unansehnlicher Auftritte das Tischtuch zerschnitt. Real hatte gerade den FC Getafe mit 1:0 geschlagen, als der Präsident Luxemburgo anrief und sich über dessen Entscheidung echauffierte, Torjäger Ronaldo in der 87. Minute vom Feld genommen zu haben.
Dass Mittelfeldspieler Beckham zuvor die Rote Karte gesehen und die Defensive der Madrilenen wieder einmal mächtig geschwommen hatte, schien den Real-Boss nicht sonderlich zu interessieren. "Du kannst Ronaldo nicht einfach auswechseln. Das geht nicht, Trainer, die Leute hier wollen Spektakel", zitiert Luxemburgo Perez in einem Beitrag für das Online-Portal The Coaches Voice. Daraufhin sei eine hitzige Diskussion entstanden, die zum endgültigen Aus des Trainers geführt habe.
Luxemburgo: Real-Kabine "wie Vereinte Nationen"
"Ohne diese Diskussion", mutmaßt Luxemburgo, "hätte ich vielleicht bleiben können." Der Trainer habe mit den Jahren aber auch realisiert, weder die nötige Zeit noch das nötige Vertrauen bekommen zu haben. Nicht von der Vereinsführung. Und schon gar nicht von den Spielern. "In die Kabine von Real Madrid zu kommen", schreibt der heute 67-Jährige bei The Coaches Voice, "ist wie vor die Vereinten Nationen zu treten. Du musst dich vor allen möglichen wichtigen Personen aus verschiedenen Ländern verständlich ausdrücken. Und zwar so schnell wie es geht."
Etwas mehr als drei Monate nach Luxemburgos Aus sollte übrigens Perez höchstpersönlich seine erste Amtszeit als Präsident eigenmächtig beenden. In seiner Rücktrittserklärung hieß es: "Ich habe die Spieler verzogen wie ein Vater, der seinen Kindern das Beste gibt und sie durcheinander bringt." Das Ende der Galacticos, es war perfekt.