FC Barcelona in der Kaderanalyse: Neustart mit Problemzonen ohne Ende

Stefan Rommel
06. September 202114:05
Ronald Koeman im Gespräch mit Jordi Albagetty
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Welchen Kader kann man mit der Bürde von rund 1,3 Milliarden Euro Schulden noch bereitstellen? Wenn man einen Großverdiener nach dem anderen loswerden muss und auf der Zukauf-Seite so gut wie keinen Spielraum hat? Der FC Barcelona hat eine einzigartige Transferperiode hinter sich, die den Kader der katalanischen Großmacht gehörig verändert und - vorsichtig formuliert - nicht verbessert hat.

Der FC Barcelona in der Kaderanalyse - Tor

Personal: Marc- Andre ter Stegen (Vertrag bis 2025), Neto (bis 2023), Inaki Pena (bis 2023)

Situation: Wenn es einen Mannschaftsteil gibt, der keine Problemzone darstellt und der in der Spitze immer noch absolute Weltklasse darstellt, dann wird man in der letzten Verteidigungslinie fündig. In Marc-Andre ter Stegen verfügt Barca immer noch über einen Ausnahmekönner, der in seinem Status und in seiner Wirkmacht unantastbar ist. Ter Stegen dürfte in der Hierarchie der Mannschaft nach den prominenten Abgängen noch ein Stück wichtiger werden.

Dahinter hat sich Neto als Ter-Stegen-Ersatz in den letzten zwei Jahren bewährt. Der Brasilianer verkörpert zwar nicht Ter Stegens Weltklasse, zeigt sich bei seinen Einsätzen aber in der Regel solide. Mit 32 Jahren hegt Neto keine allzu großen Ambitionen mehr. Warum Barca im Sommer 2019 allerdings unglaubliche 26 Millionen Euro für eine klare Nummer zwei ausgegeben hat, bleibt wohl ein Geheimnis der damaligen Entscheidungsträger.

Immerhin: Mit Inaki Pena hat Barca eines der beiden hoffnungsvollen Talente nach oben zu den Profis gezogen. Pena war bereits letzte Saison eine Art Stand-by-Option, nun ist der interne Wechsel von Barca B vollzogen. Der 20-jährige Arnau Tenas rückt deshalb an Penas Stelle in der zweiten Mannschaft.

Die Rollenverteilung bei den Profis ist klar: Ter Stegen ist die Nummer eins, Neto sein stiller Stellvertreter. Beide trennen mehr als nur Nuancen, weshalb es für Barca unabdingbar ist, einen spielfitten Ter Stegen zu haben. Fällt der 27-Jährige länger aus oder kommt nach seiner im Mai diagnostizierten Verletzung nicht zügig in Form, bekommt Barca auch im Tor ein Problem.

Der FC Barcelona in der Kaderanalyse - Abwehr

Personal: Sergino Dest (Vertrag bis 2025), Gerard Pique (bis 2024), Ronald Araujo (bis 2023), Clement Lenglet (bis 2026), Jordi Alba (bis 2024), Sergi Roberto (bis 2022), Oscar Mingueza (bis 2023), Samuel Umtiti (bis 2023), Eric Garcia (bis 2026)

Situation: Vier nominelle Abwehrspieler haben die Katalanen im Sommer verloren - wobei letztlich nur Junior Firpo so etwas wie ein "echter" Abgang war. Der Linksverteidiger wurde an Leeds United verkauft. Jean-Claire Todibo (Nizza) und Juan Miranda (Real Betis) waren schon in der letzten Saison verliehen. Bleibt noch Emerson Royal und dessen verrückte Geschichte - die so sinnbildlich steht für die verkorksten Planungen der letzten Jahre: Nach dessen Kauf wurde der Spieler vor zwei Jahren sofort nach Sevilla verkauft - mit einem satten Minus von sechs Millionen Euro. Weil Emerson dort aber gut spielte, kaufte ihn Barca aus seinem Vertrag raus und gab erneut 14 Millionen Euro dafür aus. Letztlich machte Emerson ganze drei Pflichtspiele für Barca, vor einigen Tagen wurde der Rechtsverteidiger nun nach Tottenham transferiert. Immerhin nahm Barca dafür rund 20 Millionen Euro ein. Was bleibt, sind ein veritabler Schlingerkurs und ein schaler Beigeschmack.

"Ich dachte, der Klub wollte, dass ich bleibe. Ich verstand nichts von dem, was passierte. Eines Nachmittags riefen sie mich an und sagten mir, dass sie mit mir reden wollen. Da habe ich schon geahnt, dass sie mich verkaufen wollen. Sie haben mich mit netten Worten rausgeschmissen", sagte Emerson der Marca. Und weil sich auf der Zugangsseite gar nichts tat, geht Barca im Prinzip mit der Abwehr der letzten Saison in die neue Spielzeit - was nicht unbedingt einem Qualitätssiegel entspricht.

Zwar sind da immer noch genug große Namen unterwegs: Pique, Alba, Dest, Umtiti. Aber für höchste Ansprüche genügte die personelle Besetzung der Defensive schon in den letzten Jahren nur bedingt. Umtiti wollte Barca unbedingt loswerden, für den Franzosen und dessen Gehaltsforderungen fand sich aber partout kein Abnehmer. Damit bleiben Trainer Ronald Koeman in der Innenverteidigung genug Alternativen. Mit gleich sechs gelernten zentralen Verteidigern kann Koeman problemlos variieren und reagieren, etwa auf Verletzungen oder Sperren wie zuletzt bei Pique und Eric Garcia.

Dem FC Barcelona steht eine komplizierte Saison bevor.imago images

Die Problemzone ist eher auf den Außen zu verorten, da sind die Möglichkeiten zum Teil stark begrenzt. Jordi Alba auf links und Sergino Dest auf der rechten Seite sind die ersten Optionen, dahinter wird es aber dünn. Nach Emersons Abgang und der schweren Verletzung von Moussa Wague ist kein "richtiger" Ersatz mehr im Kader, auf der linken Seite ist Alba quasi alternativlos. Koeman wird sich mit Mittelfeldspielern oder dem einen oder anderen Innenverteidiger behelfen müssen, wenn Alba oder Dest (länger) ausfallen sollten.

Diese Unwucht in einem einzelnen Mannschaftsteil ist gefährlich genug und auf eine lange Saison gesehen ein beträchtlicher Nachteil für die immer noch ambitionierten Ziele dieses Klubs - und wird noch verstärkt durch das überschaubare Angebot im Mittelfeld.

Der FC Barcelona in der Kaderanalyse - Mittelfeld

Personal: Sergi Busquets (Vertrag bis 2023), Riqui Puig (bis 2023), Frenkie de Jong (bis 2026), Philippe Coutinho (2023), Pedri (bis 2022)

Situation: Auf der Website des FC Barcelona sind noch ganze fünf Mittelfeldspieler gelistet. Fünf! Nun ist die Kategorisierung in Abwehr, Mittelfeld oder Angriff zum Teil schwer, weil fließend. Dafür sind einzelne Spielerprofile zu variabel. Aber mit nicht einmal einem halben Dutzend Spieler im Kraftwerk einer Mannschaft in eine Saison mit eventuell an die 60 Pflichtspiele zu gehen, ist atemberaubend. Die ganze Malaise der finanziellen Situation zeigt sich wohl am besten in diesem Mannschaftsteil.

Barca musste unbedingt noch einige seiner Großverdiener loswerden, also herrschte bis zur letzten Minute der Transferperiode hektische Betriebsamkeit. Miralem Pjanic bekamen die Katalanen zumindest für ein Leihgeschäft noch von der Gehaltsliste - was auch der Bosnier in der Marca zu einer kleinen Replik in Richtung Koeman nutzte: "Ich hätte gerne gesehen, dass er mir ins Gesicht sagt, dass er keine Verwendung für mich hat. Aber ein Vier-Augen-Gespräch gab es nie und das verstehe ich nicht. Für mich war das kompliziert, weil es mir zum ersten Mal überhaupt passiert ist, dass mich jemand so behandelt. Das Schlimmste am Trainer war meiner Meinung nach dieser Mangel an Respekt."

Coutinho bleibt dagegen ein Spieler der Blaugrana und damit der Stachel tief in Barcas Wunde. Der komplette Deal ist seit drei Jahren ein finanzielles Desaster, was in Coutinhos viertem Jahr in Barcelona bleibt, ist die Hoffnung auf so etwas wie einen sportlichen Durchbruch. Coutinho könnte der Mannschaft mit seinen Fähigkeiten natürlich weiterhelfen und könnte nun auch jenen Raum zur Entfaltung bekommen, den er bisher vermisst hat. Aber das ist derzeit nicht mehr als eine wackelige Wette auf die Zukunft.

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Mit Puig, De Jong, Routinier Busquets und dem Überflieger Pedri - der sich jedoch erst mal von den Megastrapazen der letzten Monate mit EM und Olympia erholen muss - ist Barca qualitativ herausragend besetzt, in der Breite aber nicht fähig, Ausfälle über einen längeren Zeitraum adäquat aufzufangen. Der letzte Tiefschlag erfolgte mit dem Wechsel von Ilaix Moriba nach Leipzig: Ein Spieler, der in La Masia ausgebildet wurde, der verlängern wollte und sollte, aber je nach Lesart zu hohe Forderungen stellte oder aber nicht genug wertgeschätzt wurde. Jetzt ist auch Moriba weg und damit eine Option weniger am Kader.

Ähnlich wie bei den Außenverteidigern ist auch im Mittelfeld alles auf Kante genäht und Koeman wird früher oder später improvisieren müssen.

Der FC Barcelona in der Kaderanalyse - Angriff

Personal: Ousmane Dembele (Vertrag bis 2022), Memphis Depay (bis 2023), Ansu Fati (bis 2022), Yusuf Demir (bis 2022), Martin Braithwaite (bis 2024), Sergio Agüero (bis 2023), Luuk de Jong (bis 2022)

Situation: Lionel Messi ist nicht mehr Spieler des FC Barcelona. Diesen Satz muss man immer noch zweimal lesen, um ihn zu begreifen. Die Post-Messi-Zeitrechnung beginnt jetzt und sie wird nicht einfach für den FC Barcelona. Mit Antoine Griezmann ging ein zweiter Eckpfeiler im Angriff auf den letzten Drücker von Bord und auch wenn der Franzose in seiner Zeit in Barcelona nie so richtig angekommen war: Seine schiere individuelle Qualität war immer auch eine veritable Bedrohung für jeden Gegner der Welt.

Etwas überspitzt und sehr hart formuliert hat sich Barca über die letzten fünf, sechs Jahre zurück entwickelt vom MSN-Angriff hin zu einem Sturm mit Martin Braithwaite und Luuk de Jong. Messi, Luis Suarez und Neymar dürften seinerzeit das Beste gewesen sein, was der Welt-Fußball zu bieten hatte. Nun spielen zwei in anderen großen Ligen gescheiterte Angreifer für den FC Barcelona und, mit Verlaub: Zwei No Names im Vergleich zu ihren prominenten Vorgängern.

Allein die letzten Tage und Stunden auf dem Transfermarkt zeigten die Wankelmütigkeit und sogar Planlosigkeit der Barca-Führung: In den Deal mit Griezmann und Atletico sollte dem Vernehmen nach Joao Felix eingepreist werden, eine Art Verrechnungsgeschäft wurde angestrebt. Felix ist ein wendiger, dribbelstarker und sehr kreativer Spieler, der aus der Tiefe mit in den Angriff stößt und alleine ganze Abwehrreihen beschäftigen kann. Gekommen ist dann aber nicht Felix, sondern De Jong. Ein kantiger Strafraumspieler, der sehr gut ist bei hohen Zuspielen und vielleicht auch noch als Wandspieler - in seinem Profil aber nicht weiter entfernt sein könnte von der anderen Lösung Felix.

Nun wird Koeman auch hier mit dem arbeiten müssen, was ihm auf den Hof gestellt wurde beziehungsweise noch übrig blieb. Das ist teilweise immer noch Weltklasse, Dembele, Fati, Agüero sind Spieler, die an einem guten Tag den Unterschied machen können. Nur: Es sind eben auch Spieler, die sehr verletzungsanfällig sind. Derzeit befindet sich das Trio auch mal wieder im Krankenstand.

Eine große Hoffnung ruht deshalb auf Memphis Depay, der sich bei und für Barca zu einem echten Glücksgriff entwickeln könnte. Der Niederländer kam zum Nulltarif und bringt so viel Qualität mit, dass er der Mannschaft sofort weiterhelfen kann. Um Memphis und vielleicht auch schon den zweiten Hoffnungsträger könnte sich Barcas Offensive schon bald neu ausrichten. Yusuf Demir ist eine Verheißung und ein unglaublich interessanter Spieler. Der Österreicher steht zusammen mit Fati für das "neue" Barca und vielleicht kann auch Eigengewächs Alex Collado irgendwann zu einem Stammspieler werden. Aber wie so oft beim FC Barcelona in diesen Tagen: Das sind alles große Hoffnungen - aber keine Garantien.