Klar, die Hauptrollen auf Real Madrids Weg zu den Titeln in LaLiga und in der Champions League spielten die erfahrenen Superstars. Thibaut Courtois zwischen den Pfosten, David Alaba als Abwehrorganisator, Luka Modric und Toni Kroos als Strippenzieher und natürlich allen voran Karim Benzema, der auch aufgrund seiner herausragenden Auftritte gegen PSG, Chelsea oder Manchester City einer der Top-Favoriten auf den Ballon d'Or in diesem Jahr ist.
Dass aber auch die aufstrebenden Youngster einen entscheidenden Teil zum Erfolg beitrugen, darf keineswegs vergessen werden. In den K.o.-Duellen mit Chelsea und City waren es zum Beispiel die Einwechslungen von Eduardo Camavinga und Rodrygo, die das Blatt in den finalen Phasen der Partien noch einmal zugunsten der Königlichen wendeten. Für Trainer Carlo Ancelotti waren also auch die hochveranlagten, aber noch keineswegs fertigen Spieler im Kader von extremer Wichtigkeit.
Neben Rodrygo und Camavinga ist dabei natürlich allen voran noch Vinicius zu nennen, der sich mittlerweile längst als Stammkraft etabliert hat und im CL-Finale gegen Liverpool dann sogar das goldene Tor zum 1:0-Sieg erzielte. Sie alle sind Produkte der neuen, modifizierten Transferstrategie, die Reals Präsident Florentino Perez seit 2015 verfolgt.
Real Madrid, Transfers: Top-Talente statt nur teure Stars
Real verzichtet inzwischen größtenteils auf Transfers für horrende Summen. Selbst Kylian Mbappe wäre ja zumindest hinsichtlich der Ablöse vollkommen umsonst nach Madrid gekommen, entschied sich letztlich bekanntlich aber doch für einen Verbleib bei Paris Saint-Germain.
Statt in bereits große Namen investieren die Königlichen vermehrt in hochtalentierte, junge Spieler, die im Bernabeu reifen sollen und schließlich ihr volles Potenzial abrufen. Auch deshalb ist Real finanziell gesund - im Gegensatz etwa zum Erzrivalen aus Barcelona, der unter Josep Maria Bartomeu auf dem Transfermarkt die 2000er-Galacticos-Jahre Reals adaptierte und dafür heute den Preis zahlt.
Während Bartomeu in Barcelona Hunderte von Millionen Euro in Stars wie Antoine Griezmann, Philippe Coutinho oder Ousmane Dembele investierte, die die Erwartungen allesamt nicht erfüllen konnten, war man in Madrid schlauer. Seit James Rodriguez im Sommer 2014 kam, hat Real nur noch für Eden Hazard und Luka Jovic mehr als 50 Millionen Euro ausgegeben.
Camavinga kam für 31 Millionen Euro aus Rennes, Alaba war ablösefrei, für Rodrygo und Vinicius überwies man jeweils 45 Millionen Euro an Santos respektive Flamengo. Thibaut Courtois kostete 35 Millionen Euro, Toni Kroos nur deren 25. Und diesen Sommer stößt Antonio Rüdiger zum Nulltarif zum Team.
Reals Kurswechsel, Barcas Chaos: Neymar spielt eine Rolle
Eine wichtige Rolle sowohl in Barcas finanziellem Chaos als auch in Reals Strategiewechsel spielte indes PSG-Superstar Neymar. Nachdem Perez 2013 das Rennen mit Barcelona um den Brasilianer verloren hatte, setzte er alles daran, beim nächsten Neymar nicht leer auszugehen. Was ihm in den Fällen von Vinicius und Rodrygo auch gelungen ist. Barcelona indes, vernebelt von den 222 Millionen Euro, die man 2017 aus Paris für Neymar bekam, übernahm sich finanziell beim Versuch, jenen zu ersetzen.
Reals Kursänderung sorgte zudem dafür, dass die Übergangszeit zwischen der Mannschaft der 2010er Jahre, die viermal die Champions League gewann, zu einem neuen Team, deutlich reibungsloser verläuft als Barcelonas Zeit nach Lionel Messi, Xavi oder Andres Iniesta. Der jüngste Champions-League-Triumph ist der beste Beweis dafür.
Denn obwohl Modric mit 36 und Benzema mit 34 immer noch Topleistungen abliefern, ist Veränderung eben unausweichlich. Und Real weiß das, hat bereits mehrere junge Spieler im Kader, die von Benzema und Co. lernen und irgendwann fähig sein werden, in deren Fußstapfen zu treten.
Nicht wenige warfen Ancelotti vor, seine Jungstars mit Ausnahme von Vinicius zu selten von der Leine zu lassen. Der erfahren italienische Trainerfuchs wird als Gegenargument betonen, dass Rodrygo und Co. dadurch in der entscheidenden Saisonphase frischer waren und noch dazu hungriger, sich zu präsentieren. Ihr Einfluss in wichtigen Partien wie gegen PSG, Chelsea, City oder auch beim 3:2-Comebacksieg gegen Sevilla in der Liga geben Ancelotti Recht.
Rodrygo: Mehrmals X-Faktor für Real Madrid
Rodrygo war dabei mehrmals der X-Faktor. Ohnehin ist der rechte Flügel die eine Position in Ancelottis Aufstellung, die keine eindeutige Besetzung hat. Marco Asensio hatte sie häufiger inne, manchmal setzte der Coach wie im CL-Endspiel mit Fede Valverde auf eine etwas defensivere Variante. Zuletzt spielte sich auf ebenjenem rechten Flügel aber auch Rodrygo in den Fokus.
An dessen Potenzial herrschten niemals Zweifel. Mit 18 Jahren gelang dem NXGN-Gewinner von 2020 in seinem erst zweiten Champions-League-Einsatz überhaupt ein spektakulärer Hattrick gegen Galatasaray. Nur Real-Legende Raul war bei einem Dreierpack in der Königsklasse noch jünger.
Vinicius ist explosiver und hat den auffälligeren Spielstil als Rodrygo, doch dessen unglaublicher Torinstinkt hat ihn für Ancelotti zu einer zuverlässigen Option gemacht. Vor allem für enge Spiele, in denen eine Aktion das Spiel zugunsten der Blancos entscheiden kann.
Gegen PSG spielte Rodrygo den gefährlichen Ball in Richtung Vinicius, den Marquinhos nur unzureichend klären konnte und woraus letztlich Benzemas Siegtor erfolgte. Als Real im Viertelfinalrückspiel gegen Chelsea 0:3 zurücklag, war es Rodrygo, der eine Maßflanke von Modric sensationell cool per Volley verwertete und damit die Verlängerung erzwang.
Camavinga: Weniger offensichtlicher Einfluss
Gegen City war der Ruhm dann ohnehin ganz auf Rodrygos Seite. Im Halbfinalrückspiel brauchten die Madrilenen in der 90. Minute noch zwei Tore - und der gut 20 Minuten zuvor eingewechselte 21-jährige Rodrygo besorgte sie beide in blitzsauberer Manier.
"Ich kann es nicht erklären", sagte Rodrygo nach dem Spiel. "Gott schaute auf mich und entschied, dass heute mein Tag wird."
Camavingas Einfluss ist derweil weniger offensichtlich an spielentscheidenden Aktionen zu beziffern. Dennoch war er ein maßgebender Faktor für die Veränderung der jeweiligen Spielstatik zugunsten Reals.
Der französische Mittelfeldspieler bringt dem Geschehen mehr Intensität, sorgt mit seiner Laufstärke gleichzeitig auch für Stabilität. Camavinga ist der Prototyp eines Box-to-Box-Spielers, unfassbar dynamisch nach vorne und trotzdem allgegenwärtig in der Arbeit nach hinten - und sein exquisites Passspiel sowie starkes Timing in Tacklings machen ihn so wertvoll.
Real Madrid: "Die Zukunft ist sicher"
"Die Zukunft ist sicher", sagt Ancelotti und bezieht sich damit darauf, für das Mittelfeld Camavinga und Valverde und für den Angriff Vinicius und Rodrygo zu haben. Mit Valverde, 23, und Camavinga, gerade erst 19, sind zwei Drittel eines potenziellen Real-Mittelfelds für das nächste Jahrzehnt bereits da. "Ich mag es nicht, wenn ich nicht spiele. Ich will mehr spielen, aber das wird von alleine kommen", erklärte Camavinga bei Telefoot selbstbewusst.
In LaLiga stand er diese Saison nur 13-mal in der Startelf, weitere 13-mal kam er von der Bank. In neun seiner zehn Champions-League-Einsätze war er Joker und ist daher hungrig auf weitere Gelegenheiten, sich zu zeigen.
Klar ist: Trotz der Mbappe-Enttäuschung hat Real genügend Gründe, voller Vorfreude in die Zukunft zu blicken. Wegen jungen, aufstrebenden Toptalenten, die schon in der Gegenwart eine wichtige Rolle spielen.