Das Erbe des Königs ist zerstört: Der FC Barcelona hat seine Seele verkauft

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Der FC Barcelona war einst ein Klub, der Alleinstellungsmerkmale hatte und "Mes que un club" nicht nur ein Werbeslogan war. Inzwischen hat sich der Klub abgeschafft - und das nicht nur sportlich. Daran ändert auch nichts die Rückkehr der früheren Hüter der einstigen Werte des Klubs.

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Wenn Johan Cruyff ungemütlich werden wollte, musste sich der Niederländer keine Mühe geben. Das war ihm angeboren. Als Trainer des FC Barcelona sprach er mal so kryptisch, dass die anwesenden Reporter ihm - mal wieder - nicht folgen konnten. Cruyff stellte klar: "Wenn ich gewollt hätte, dass Sie es verstehen, hätte ich es besser erklärt."

Er war nicht der Ansicht, dass Journalisten irgendetwas von Fußball verstehen. So wie sein langjähriger Erzfeind Louis van Gaal. Es war einer der wenigen Punkte, in denen sich die ewigen Widersacher einig waren. Warum sich also dann die Mühe machen und sie wie Erwachsene behandeln? Cruyff beherzigte das in aller Regelmäßigkeit. Es war auch nicht so, dass der Niederländer gegenüber Nicht-Journalisten viel freundlicher war.

"Wenn er zu Hause war, konnte er komplett vom Fußball abschalten. Er hat nie negative Stimmen von dem, was er beim Fußball erlebt hat, mit nach Hause gebracht", erinnerte sich Sohn Jordi bei der BBC. Aber: "Er konnte in Gegenwart von Anderen auch sehr fordernd, autoritär und laut sein."

"Wir waren in den 80ern mit Severiano Ballesteros beim Golf spielen und Ballesteros war zweifellos der beste Golfer seiner Zeit", erzählte Cruyff-Freund Sjaak Swart mal im Socrates Magazin: "Und was macht Johan? Gibt ihm Anweisungen, wie er den Schläger zu schwingen hat. Unglaublich, diese Selbstverständlichkeit."

Die Ära von Johan Cruyff hat alles verändert

Mal abgesehen vom Golf hatte Cruyff ein wichtiges Pfund, was ihn als Spieler, als Trainer und später auch als Funktionär beim FC Barcelona auszeichnete: Er hatte Ahnung. Er hatte so viel Ahnung, dass man all die Jahre, in denen er dem Klub gedient hatte, als "Ära Cruyff" zusammenfassen muss. Er dachte den Fußball anders, er lebte den Fußball anders.

In seinem großartigen Buch über den FC Barcelona ("Barca: The rise and fall of the club that built modern football") erzählt Autor Simon Kuper, wie "König Johan" nach einer Mannschaftssitzung darauf wartete, bis der Trainer den Raum verließ, sich vor die Tafel stellte und allen sagte: "Natürlich werden wir es ganz anders machen."

Dieses ganz anders machen. Das wurde zum Motto des FC Barcelona. Die Historie hat viele große Klubs hervorgebracht, die - wenn man Titel zählt - sogar erfolgreicher als Barca waren und heute noch sind, aber die Katalanen haben sich Alleinstellungsmerkmale erschaffen, indem sie anders spielten, anders agierten, anders wirkten. Dieses heute inflationär benutzte "Mes que un club" ("Mehr als ein Klub") war nicht nur eine Werbetafel, sondern echt.

Der Klub erschuf seine eigenen Vordenker wie eben Cruyff, der als Spieler sehr prägend war, aber als Trainer die DNA nachhaltig beeinflusste. Barca bezog seine Macht nicht nur durch Budgets und Etats, sondern durch einen einzigartigen Spielstil. Sie spielten einen hervorragenden Angriffsfußball, den viele später nachzuahmen versuchten. Der Klub erschuf Erben, die diese Vorgehensweise weiterleben ließen. Wie Josep Guardiola.

Selbst Julian Nagelsmann rätselt über den FC Barcelona

Der Stil des FC Barcelona war so erhaben und so monströs, dass man aufgrund dieser Selbstverständlichkeit des Erfolgs auch außerhalb noch größer wirkte. Im Zentrum war der Fußball - drumherum wurde eine mächtige aber demütige, erfolgshungrige aber sympathische Welt aufgebaut, sodass Barca in Zeiten von Globalisierung und Internationalisierung weltweit einen unfassbaren Sprung machte, was seine Beliebtheit anging.

Und nun? Alles, was man sich über Jahrzehnte an Sympathie, Stärke, Marke und Magie aufgebaut hat, verspielt der Klub in einem unfassbaren Tempo. Wenn Julian Nagelsmann heute sagt, dass der FC Barcelona der einzige Klub auf der Welt ist, "der kein Geld hat, aber jeden Spieler kauft", mag das im ersten Moment anmaßend klingen.

Aber es zeigt auch, wo der FC Barcelona in der Wahrnehmung angekommen ist. So etwas hatte man früher über Real Madrid gesagt - dem Kontrapunkt der Philosophie des FC Barcelona. Die edlen Königlichen, die die besten Spieler wollten, sich selbst Galaktische nannten und mit Weltstars angaben, waren es, die Schulden über Schulden machten und sich nicht darum scherten, was andere über sie sagen.

Beim FC Barcelona belächelte man das, hatte man doch selbst La Masia. Dort, wo Lionel Messi, Andres Iniesta, Xavi Hernandez und viele andere spätere Barca-Helden ausgebildet wurden und zur Legendenbildung des Andersseins einen großen Beitrag leisteten. Real kaufte, Barca bildet aus. Real macht Schulden, Barca macht Spieler. So war die plakative Denke, auch wenn Barcelona natürlich auch früher schon kaufte. Aber sie hatten eben auch ein Fundament an Spielern, die die Seele des Vereins in sich trugen.

La Masia: Ex-Direktor prahlt mit studierenden Talenten

Barca macht nicht nur Spieler, die super spielen können, sondern auch hell im Kopf sind und sich im Leben bewegen können, wenn es mit dem Fußball mal nichts werden sollte. Carles Folguera, einst Direktor in Masia, erzählte mal voller Stolz, dass man "unter den europäischen Spitzenklubs mit 50 Prozent den höchsten Anteil an 18- und 19-jährigen Spielern" hat, "die an einer Universität studieren". Folguera weiter: "Im Gegensatz zu den meisten Vereinen sind wir froh, wenn wir mehr Stunden mit dem Studium als mit dem Training verbringen."

Solange der sportliche Erfolg da war, ging das alles auch ganz gut. Man hatte die Hüter des Systems. Man hatte nach Cruyff mit Guardiola jemanden, der erst als Spieler, dann als B-Trainer und dann als Cheftrainer darauf achtete, dass man von der Spur nicht abkommt. Zwar nicht direkt, aber mit dem Weggang von Guardiola begann der Anfang der Abschaffung des Andersseins.

Es kamen und gingen Trainer und mit jedem rückte man etwas ab. "Pep Guardiola war wahrscheinlich der Höhepunkt. Nach ihm hatten wir viele Trainer und unterschiedliche Einflüsse. Wir haben vielleicht ein bisschen unsere Originalidee des Spiels vergessen", so Paco Seirul-lo, der nach 47 Jahren Klub-Zugehörigkeit in diesem Sommer seinen Posten als "Leiter Methodik" beim FC Barcelona räumen musste und unter Pep Fitnesstrainer war.

Neue Ideen bedurften jedes Mal auch neue Spieler. Spieler, die der eigene - lange so gerühmte - Unterbau nicht mehr lieferte und woanders teuer gekauft werden mussten. Dass das zu einem finanziellen Desaster führte, war die eine Sache. Die Geschichte, wie sich Barca gerade in der Zeit von Ex-Präsident Josep Maria Bartomeu an der Nase rumführen ließ, ist hinlänglich bekannt.

Als der BVB den FC Barcelona vorführte

Nur ein Beispiel: Als der FC Barcelona 2017 den Brasilianer Neymar für 222 Millionen Euro an Paris Saint-Germain verkaufte, verlor man jedes Gefühl für Realität und Geschäftssinn. In der Enttäuschung ( und in der Verzweiflung), Neymar verloren zu haben, wollte man als Nachfolger unbedingt Ousmane Dembele von Borussia Dortmund verpflichten.

Bei einem Treffen am Rande der Champions-League-Auslosung 2017 boten die Barca-Bosse zunächst deutlich weniger als die vom BVB geforderten 150 Millionen Euro. Die Führungsriege des BVB um Hans-Joachim Watzke hatte aber die Lunte bzw. die Panik gerochen und setzten Barca brutal unter Druck. Man habe keine Zeit mehr und müsse zum Flughafen, um den Flug nicht zu verpassen, sagten die BVB-Bosse.

Nach kurzer Besprechung erhöhte Barca sein Angebot von 80 auf 105 Millionen und an zusätzliche 42 Millionen Euro an Bonuszahlungen, die der BVB natürlich längst schon erreicht hat. Eine Vorführung des FC Barcelona, die in der Historie des Klubs seinesgleichen sucht. Aber man wurde nicht schlauer und legte brutal nach. Mit Coutinho, mit Antoine Griezmann. Zwischen 2014 und 2019 gab der Klub ungefähr eine Milliarde Euro an Ablöse auf dem Transfermarkt aus - mehr als jeder andere Verein.

Was daraus geworden ist, sieht man heute. Der FC Barcelona hat nicht nur seinen sportlichen Glanz verloren, sondern mit Lionel Messi auch sein größtes Aushängeschild und den Mann, der alle Sorgen übertünchte. Messi war Segen und Fluch zugleich. Er schoss die Krisen weg, aber er traf so oft, dass man das aufkommende Desaster ignorieren konnte, bis Messi weg war, weil man ihn nicht mehr bezahlen konnte, und man endlich merkte, in welchem Chaos man steckt.

Die fünf teuersten Transfers des FC Barcelona

SpielerAblöse (Gesamtsumme)
Ousmane Dembele147 Millionen Euro (Borussia Dortmund)
Coutinho135 Millionen Euro (FC Liverpool)
Antoine Griezmann120 Millionen Euro (Atletico Madrid)
Neymar88 Millionen Euro (FC Santos)
Frenkie de Jong86 Millionen Euro (Ajax Amsterdam)

Laporta: Der einstige Visionär macht es wie seine Vorgänger

Anstatt sich darauf zu besinnen, was diesen Klub einst ausmachte und groß machte, schließt sich Präsident Joan Laporta nun dem an, was Krisen-Entwickler Bartomeu angestellt hat. Ausgerechnet Laporta, der eigentlich immer visionär dachte und das Große und Ganze sah und nicht nur den nächsten Tag. Dass er am Ende nicht darum kämpfte, Messi zu halten, machte ihn direkt nach seiner Wahl vielleicht unpopulär, aber es war die rational richtige Entscheidung.

Doch nun verscherbelt Laporta Hab und Gut des Klubs, um nicht etwa an den Strukturen zu arbeiten, La Masia neu auszurichten, sondern um Transfers zu machen. Robert Lewandowski ist mit bald 34 immer noch der vielleicht weltbeste Stürmer, aber er ist eben 34 und hat einen Vertrag bis 2026 bekommen. Es ist Gesetz der Natur, dass selbst ein vitales Wunder wie Lewandowski mit 37 oder 38 nicht das wert sein wird, was er heute wert ist. Barca muss dann wieder Geld in die Hand nehmen, doch die Frage ist dann: Welches?

Schon jetzt kann Barca seine neuen Spieler nicht registrieren, weil man über den Ausgabelimits der La Liga steht. So sickern Informationen durch, dass Barcelona (mehr oder weniger) sanften Druck auf Spieler wie Frenkie de Jong ausübt, dass sie entweder auf die Hälfte ihres Gehalts verzichten sollen oder gefälligst Angebote von anderen Klubs annehmen soll. Der de Jong, für den Barca 75 Millionen Euro zahlte.

De-Jong-Berater Hasan Cetinkaya erzählte mal, dass Ajax fast doppelt so viel Ablöse kassierte, als das, was man sich vorher erhofft hatte. Er wird wie folgt zitiert: "Der FC Barcelona stand unter enormem Druck, das Geschäft abzuschließen. Sie waren dann so erleichtert, dass der damalige Sportdirektor Pep Segura zu weinen begann, sobald alles unterschrieben war."

Dass man nun jenen de Jong wegzuschicken versucht, passt ins Bild des neuen FC Barcelona, der vielleicht kurzfristig wieder einen sportlichen Wert darstellen wird, wieder um den Champions-League-Sieg mitspielen wird, aber seine Werte längst abgeschafft hat. Dass man fast schon Mobbing an einen jungen Mann ausübt, um die eigenen Fehler zu korrigieren, passt zum Bild des über die Jahre dekadent lebenden FC Barcelona.

Die Rückkehr von Xavi Hernandez wird da nichts ändern. Der FC Barcelona ist inzwischen ein Klub wie jeder andere. Er hat kein Alleinstellungsmerkmal mehr. Er kämpft an der Seite von Real Madrid um die Gründung der Super League, er wirbt für Katar und hat seine Seele verkauft. Und er kann sie auch nicht mehr zurückkaufen.

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