Es war leider keine wirkliche Überraschung, dass Vinícius Júnior bei der 0:1-Niederlage von Real Madrid beim abstiegsbedrohten FC Valencia von einigen Anhängern der Heimmannschaft rassistisch beleidigt wurde. Dieses Schicksal widerfuhr dem Brasilianer innerhalb von knapp zwei Jahren schließlich schon zum zehnten Mal, so häufig listet der spanische Ligaverband LFP derartige Vorfälle zumindest auf.
Allein acht davon fanden in dieser Saison statt - also nahezu bei jedem zweiten Auswärtsspiel. Im Januar ließen rechtsradikale Anhänger von Atlético Madrid eine Gummipuppe mit einem Vinícius-Trikot von einer Brücke hängen. Selbst bei den jüngsten Feierlichkeiten zum Titelgewinn des FC Barcelona waren "Stirb, Vinicius"-Chöre zu hören.
"Das war nicht das erste Mal, nicht das zweite und nicht das dritte Mal", meinte Vinícius hinterher bei Twitter und holte zum Rundumschlag aus: "Die Konkurrenz hält es für normal, der Verband auch und die Gegner ermutigen es. Es tut mir leid. Die Meisterschaft, die einst Ronaldinho, Ronaldo, Cristiano und Messi gehörte, gehört heute den Rassisten."
Während Verbandschef Luis Rubiales am Montag von einem landesweiten Problem mit Rassismus sprach, hielt sich die Liga zunächst bedeckt. Anstatt Reformen anzukündigen, lieferte sich Javier Tebas, der Präsident der LaLiga ein Privat-Scharmützel mit Vinícius in den Sozialen Netzwerken. Per direkter Antwort warf er ihm unter dessen Tweet vor, sich selbst zu wenig um die Thematik zu kümmern.
Der Flügelspieler sei zu mehreren Terminen nicht erschienen, in denen die Vorfälle hätten aufgearbeitet werden sollen. Der 22-Jährige griff Tebas daraufhin persönlich an: "Deine Ignoranz stellt Dich auf eine Stufe mit Rassisten. Ich bin nicht Dein Freund, mit dem Du über Rassismus quatschen kannst. Ich fordere Handeln und Strafen. Ein Hashtag bedeutet gar nichts."
Carlo Ancelotti: "Wir müssen dieses Spiel abbrechen"
Damit traf der Angreifer mehr als nur einen Punkt. Statt klare Kante gegen Rassismus zu zeigen und das Spiel abzubrechen und die Punkte am Grünen Tisch Real Madrid zu geben, sahen die Verantwortlichen wieder mal von einem Spielabbruch ab. Die stattdessen angesetzte zehnminütige Spielunterbrechung war höchstens halbherzig.
Das prangerte auch Reals Trainer Carlo Ancelotti vehement an: "Wir müssen dieses Spiel abbrechen. Jedes Spiel. Dasselbe würde ich ihnen auch erzählen, wenn wir 3:0 gewonnen hätten. Ich habe es noch nie erlebt, dass ein ganzes Stadion sich rassistisch benimmt und alle kollektiv 'Affe' rufen." Von Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva und Ex-Weltfußballer Ronaldo gab es Zuspruch.
Vinícius Júnior: Rassismusproblem im spanischen Fußball ist offensichtlich
Real Madrid brachte die Vorfälle vor einem ordentlichen Gericht zur Anklage. Die Vorfälle würden einen Angriff auf "das Zusammenleben in unserem sozialen und demokratischen Rechtsstaat" darstellen, hieß es in einer offiziellen Mitteilung. Die Ausschreitungen werteten sie als "Hassverbrechen".
Valencia reagierte ebenfalls und kündigte ein lebenslanges Stadionverbot für den Fan, auf den Vinícius bereits vor der Fankurve stehend gedeutet hatte, an. Einen kleinen Fisch aus einem Schwarm von unverzeihlichen Entgleisungen zu entfernen, ist aber noch lange nicht die Lösung des Problems. Dass der spanische Fußball ein strukturelles Problem mit Rassismus hat ist offensichtlich - und wird es nur noch mehr, je vehementer Verantwortliche wie Tebas versuchen, jede der zahlreichen rassistischen Entgleisungen als bedauerliche Einzelfälle abzutun.
Oder sie indirekt auch mit Vinicius' angeblich provokanter Spielweise und Persönlichkeit in Verbindung zu bringen. Wem auf vermeintliche Provokationen eines schwarzen Spielers nichts anderes einfällt, als diesem immer wieder Affenlaute entgegenzubrüllen, ist ein ziemlich dummer Rassist. Wer dem Beleidigten das Recht abspricht, sich gegen die Beleidigungen zu wehren, stellt sich auf die Seite der Rassisten. Wer nicht wahrhaben möchte, dass systematische rassistische Beleidigungen in der Öffentlichkeit eine ziemlich krasse Form des Rassismus ist, hat auf dem rechten Auge ein sehr großes Problem.
Und überhaupt: Vinícius mag das mit Abstand prominenteste Opfer von Rassismus in Spanien sein, jedoch ist er bei Weitem nicht das einzige. Auch Iñaki und Nico Williams, letzterer sogar spanischer Nationalspieler, von Athletic Bilbao, Samuel Chukwueze vom FC Villarreal oder auch Vinicius' deutscher Teamkollege Antonio Rüdiger waren schon betroffen.
Von Einzelfällen kann bei dieser Häufigkeit nicht mehr die Rede sein.
Vinícius Júnior: Die vom Verband gelisteten Rassismusvorfälle
Datum | Begegnung |
24. Oktober 2021 | FC Barcelona - Real Madrid |
14. März 2022 | RCD Mallorca - Real Madrid |
18. September 2022 | Atlético Madrid - Real Madrid |
30. Dezember 2022 | Real Valladolid - Real Madrid |
26. Januar 2022 | Real Madrid - Atlético Madrid (Puppe an der Brücke) |
5. Februar 2022 | RCD Mallorca - Real Madrid |
18. Februar 2022 | CA Osasuna - Real Madrid |
5. März 2023 | Real Betis - Real Madrid |
19. März 2023 | FC Barcelona - Real Madrid |
21. Mai 2023 | FC Valencia - Real Madrid |
Vinícius Júnior: Wer "Affe" ruft, nimmt dem Menschen die Würde
Das Narrativ "Rassismus ist schlimm und darf nicht passieren, aber Vinicius muss sich auch benehmen" hält sich dennoch hartnäckig, nicht nur in Spanien. Das begann nach dem Vorfall auf Mallorca, dem zweiten von der Liga aufgeführten Fall im März 2022, als Vinícius heftig mit Mallorcas Kapitän Antonio Raíllo aneinandergeriet, woraufhin Teile des heimischen Publikums verbal auf ihn losgingen.
Danach wurde es zu einer Art Trend, dass Vinícius von seinen Gegenspielern hart angegangen wurde, der Angreifer sich verbal und gestenreich dagegen wehrte und die Fans ihrerseits mit rassistischen Parolen reagierten. Rund ein Jahr nach dem ersten Vorfall auf Mallorca wünschte Vinícius dem Gegner während eines Streits mit Mallorcas Pablo Maffeo beispielsweise den Abstieg.
Der ehemalige Stuttgarter heizte die Gemüter weiter an, woraufhin die Zuschauer erneut über die Stränge schlugen. Was verständlicherweise wiederum Vinícius erzürnte. Auch zuletzt in Valencia ließ sich Vinícius nach Wiederaufnahme des Spiels in der Nachspielzeit zu einer Tätlichkeit hinreißen und sah folgerichtig die Rote Karte.
Hass schürte auch Vinícius' Tanz, seine Art, seine Tore zu feiern. Kurz vor dem Madrid-Derby im Herbst 2022 sprach Koke eine Warnung aus, dies doch im Stadion der Rojiblancos zu unterlassen. Es entfachte eine Debatte. Pedro Bravo, der Präsident des Verbandes der spanischen Spielerberater, meinte: "In Spanien muss man Gegner respektieren und aufhören, den Affen zu machen." Die Redewendung steht in Spanien zwar dafür, keinen Quatsch zu machen, wurde in diesem Kontext aber von Vinícius als rassistische Äußerung aufgefasst. Seine Antwort: "Du Rassist, ich höre nicht auf, zu tanzen."
Manche Reaktion des 22-Jährigen mag unglücklich gewesen sein, diese als Rechtfertigung für die rassistischen Entgleisungen zu nehmen ist jedoch natürlich, wie Ancelotti es formulierte, "inakzeptabel". Um es klar zu sagen: Man muss Vinícius nicht mögen, die Anhänger der anderen Klubs haben das Recht, ihn auszupfeifen und zu provozieren. Ein paar gepflegte Beschimpfungen gehören zum Fußball dazu. Aber sie müssen sich, wie überall anders sonst auch, an zivilisatorische Grundregeln halten.
Einen Menschen im Chor als Affen zu beschimpfen, nimmt diesem seine Würde als Mensch und verstößt gegen das Menschenrecht. Das ist nicht so schwer zu verstehen.