Kevin allein in Istanbul

Kevin Großkreutz unterschrieb bei Galatasaray bis 2018
© imago

Kevin Großkreutz wird Galatasaray verlassen, ohne je für den Klub gespielt zu haben. Ein Missverständnis von Anfang an. Dass Großkreutz nie glücklich wurde hat Gründe und ist auch eigenes Verschulden. Seine Perspektive ist auch nicht die Beste.

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Die Bilder, sie hätten nicht unterschiedlicher sein können. Lukas Podolski stolzierte in das Gebäude. Da ein Handschlag, hier die Ghetto-Faust, hier eine Umarmung. Jeder durfte mal. "Hey Ali, come with me", sagte er zum klubeigenen Fotografen und eilte mit ihm in das Arbeitszimmer, um die nächsten Fotos für seine sozialen Kanäle auszusuchen. Zwischendurch noch ein Smalltalk mit dem Pressesprecher, natürlich inklusive Umarmung und Abklatschen für den Mann, mit dem er regelmäßig die Basketball-Heimspiele Galatasarays besucht.

Und dann kam Kevin Großkreutz. Er nickte, wenn er begrüßen wollte. Freundlich, aber eben auch sehr zurückhaltend. "Hallo", sagte er den Mitarbeitern mit möglichst leiser Stimme, setze sich dorthin, wo normalerweise Besucher Platz nehmen, wenn sie in das Galatasaray-Trainingsgelände kommen. Als ihn ein Klub-Mitarbeiter um seinen Pass bittet, um eine Formalie vorzubereiten, lehnt Großkreutz ab: "Ich fliege doch heute."

Nicht angekommen

Zwei Stunden später publiziert er ein Foto bei Instagram vom Istanbuler Flughafen. Zu sehen ist ein Flieger mit den Farben und dem Logo von Borussia Dortmund. Die Message sollte klar sein: "Ich komme heim, mit dem Flieger meines Heimatklubs."

Dass es ein taktisch brutaler Fehler war, zwei Tage vor dem Istanbuler Derby zwischen Fenerbahce und Galatasaray, ein Foto zu posten, dass das offensichtliche Desinteresse am heiligsten Moment des Jahres eines Galatasaray-Fans belegt, ist das eine. Dass Großkreutz immer noch nicht angekommen ist und das Derby ihm offenbar egal, das andere.

Das Leid des 28 Jahre alten Allrounders wird bald ein Ende haben. Kevin Großkreutz teilte seinem Klub am Dienstag mit, dass er zur Winterpause gehen will. Die nie glückliche Beziehung wird nach den Vorstellungen des Weltmeisters - und wohl auch des Klubs - im Winter zu Ende sein.

Großkreutz: "Ich bleibe!"

Weil Galatasaray die Unterlagen nicht frist- und formgerecht einreichte, verbat die FIFA Galatasaray Großkreutz in der Hinrunde einzusetzen. Der Ex-Borusse blieb, obwohl er die Chance hatte, seinen Vertrag zu annullieren und womöglich auch einen Schadensersatz zu bekommen. "Ich habe sofort gesagt, dass ich hier bleibe. Ich will die Zeit nutzen, die Menschen und die Mannschaft kennenzulernen und zu helfen, auch wenn ich nicht spielen kann", sagte Großkreutz Anfang November im SPOX-Interview.

Großkreutz blieb, er trainierte mit der Mannschaft, spielte bei Testbegegnungen mit und manchmal flog er nach Hause, um dort individuell zu trainieren: "Ab und zu fliege ich noch zur Familie nach Dortmund, weil auch der Verein der Meinung ist, dass mir das gut tut", sagte Großkreutz.

Die Besuche waren nicht selten. Und sie wurden häufiger. Und wenn Großkreutz nicht flog, kam die Familie. Oft saß er dann mit seinem Vater in den zahlreichen Cafes und Restaurants in der Nähe des Trainingsgeländes. Eine Bindung zur Mannschaft hatte er kaum, obwohl er nicht nur Lukas Podolski und seine ehemaligen Dortmunder Weggefährten Koray Günter und Yasin Öztekin an seiner Seite hatte, sondern auch viele andere deutschsprechende Spieler.

Zu viel Zeit...

Doch während beispielsweise Podolski inzwischen längst anerkannt und voll integriert ist, fiel es Großkreutz schwer, sich zu adaptieren. Womöglich hätte es sogar schneller funktioniert, hätte er gespielt, anstatt stupide zu trainieren. Doch so blieb Großkreutz viel Zeit: Um zu grübeln, um sein chronisches Heimweh frisch zu halten - um darüber zu sinnieren, dass er nicht hierher gehört.

Seit ein paar Tagen hat Galatasaray mit Mustafa Denizli einen neuen Trainer: Eine Koryphäe in der Türkei, der in seiner langen Karriere das Kunststück fertigbrachte, mit Galatasaray, mit Fenerbahce und mit Besiktas jeweils Meister zu werden.

Denizli ist mit seinen 66 Jahren zwar schon recht betagt, aber er versteht die Sprache der Spieler. Aufgrund seiner Vergangenheit in Deutschland, wo er 1989 Alemannia Aachen trainierte, hat er ein Faible für deutsche Spieler. Mit Fabian Ernst und Michael Fink wurde er 2009 Meister mit Besiktas, gerade Ernst erlebte eine glorreiche Phase, war er doch Denizlis verlängerter Arm. Und Denizli setzte auch auf Großkreutz, suchte zuletzt das Gespräch mit seinem Schützling.

Neuer Trainer wollte höheres Tempo

Ob Großkreutz fremdelte, weil Denizli die Intensität des individuellen Trainingsplans des Spielers bemängelte? Darüber darf spekuliert werden. Während Denizli-Vorgänger Hamza Hamzaoglu Großkreutz mehr oder weniger seinem eigenen Schicksal übergab, will der neue Mann die Zügel anziehen. "Ich habe ihm gesagt, dass wir das Tempo etwas erhöhen müssen", so Denizli.

Im Anschluss an das Gespräch verständigte man sich, dass Großkreutz in der kommenden Woche final nach Dortmund fliegen wird, um danach regulär mit der Mannschaft zu arbeiten: ohne ständige Reisen, ohne individuelle Einheiten in Deutschland. Fortan sollte Großkreutz ein vollwertiges Mitglied der Mannschaft werden, um schon in wenigen Wochen sein Pflichtspiel-Debüt zu geben.

Doch schon am Dienstag kam es zum plötzlichen Bruch: Großkreutz nahm nicht am Training teil, obwohl er auf dem Gelände war. Denizli suchte nach der Einheit das Gespräch und wurde vor vollendete Tatsachen gestellt: "Er sagte mir, dass die vielen Reisen strapaziös wären, aber das eigentlich Problem die Sehnsucht nach seiner Familie sei", erzählt Denizli, "ich habe ihm gesagt, dass er hier glücklich werden kann, wenn er bald spielen wird, aber er will weg."

Quo vadis, Kevin?

Denizli mutmaßt zwar, dass Großkreutz seine Meinung bald wieder ändern könnte, hat aber für sich selbst bereits abgeschlossen: "Er ist für uns ab sofort ein Trainingsgast. Wenn ich mit jemanden auf eine Reise gehe, müssen wir in die gleiche Richtung gehen wollen. Wenn er unglücklich ist und andere unglücklich macht, gibt es wohl nur eine Lösung."

Diese heißt Wechsel im Winter: Dann wird Großkreutz wohl nach Deutschland zurückkehren, wenn die Ursache seines Wechselwunschs, sein Heimweh, stimmt. Im Sommer verhandelte er erfolglos mit Eintracht Frankfurt. Mit dem 1. FC Köln verbindet Großkreutz eine große Sympathie, auch wenn er wohl kaum in das stabile Kölner Gefüge passt.

Und da wäre noch der FC Liverpool, wo Jürgen Klopp arbeitet. Mit dem ehemaligen BVB-Trainer hat Großkreutz ein freundschaftliches Verhältnis, sie telefonieren regelmäßig - auch die Familien. Doch dass Großkreutz aufgrund seiner langen Pause derzeit kaum das Tempo für die Premier League hat, ist die eine Sache. Dass Liverpool eigentlich auch weit weg von zu Hause ist, die andere...

Kevin Großkreutz im Steckbrief

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