SPOX: Als Fußballer mussten Sie sich vieles erarbeiten und schafften erst mit 27 Jahren den Sprung in die Bundesliga. In Ihrem ersten Jahr als Chefcoach führten Sie Eintracht Frankfurts B-Jugend hingegen gleich zur deutschen Meisterschaft. Genießen Sie es, nun als Trainer-Talent gefeiert zu werden?
Alexander Schur: Es war die Krönung einer grandiosen Saison - aber ich weiß, dass ich nach wie vor ein Trainer-Novize bin und ich mich weiterentwickeln muss.
SPOX: Man hätte mit mehr Euphorie rechnen können. In der regulären Saison wurde der FC Bayern mit 3:0 und der VfB Stuttgart mit 5:0 deklassiert, im Halbfinale und im Finale gelangen gegen Hertha und Leverkusen weitere Siege gegen die vermeintlich besten Jugendteams des Landes.
Schur: Die Mannschaft war in allen Bereichen der Konkurrenz einen Schritt voraus. Technisch, taktisch, körperlich, vor allem mental. Der Druck wurde im Laufe der Saison immer größer, weil immer ersichtlicher wurde, wie gut unser Jahrgang ist. Dass sie ausgerechnet in den entscheidenden Spielen ihr wahres Gesicht gezeigt und die besten Leistungen abgerufen haben, zeigt, welche Gewinnermentalität im tiefsten Inneren von jedem meiner Spieler steckt.
SPOX: Sie konnten sich demnach zurücklehnen?
Schur: So auch nicht. Das Hauptmanko der Mannschaft war, dass sie nicht wusste, wie wichtig es ist, in jedem Training bis an die Grenzen zu gehen und sich zu quälen. Bei harten Einheiten wurde lamentiert, wie anstrengend es doch sei. Bei mir waren sie damit aber an der falschen Adresse.
SPOX: Immerhin durchlitten Sie Felix Magath.
Schur: Ich habe Magaths Training überlebt. Im wahrsten Sinne überlebt. Noch nie wurde ich so an die körperlichen Grenzen getrieben, daher muss kein Spieler zu mir kommen und mir etwas vorjammern. Denn ich habe das alles schon vor zehn Jahren durchlitten - und danach zu schätzen gelernt, dass erst durch solche Extremerfahrungen die Erkenntnis reift, welche Möglichkeiten in einem schlummern, wenn Geist und Körper harmonieren.
SPOX: Besteht nicht die Gefahr, vor all den Teenagern zu sehr wie ein esoterisch angehauchter Oberlehrer zu wirken?
Schur: Die Gefahr besteht, aber ich glaube, dass ich authentisch bin. Ich habe nicht nur Magath in seiner wohl härtesten Zeit ertragen, ich war in Frankfurt auch Teil einer Mannschaft, die mit der Kraft des Willens zweimal das Unmögliche möglich gemacht hat. 1999, als wir mit einem 5:1 gegen Kaiserslautern den Bundesliga-Klassenerhalt schaffen. Und 2003, als wir nach einem unfassbaren 6:3 gegen Reutlingen in die Bundesliga aufstiegen. Wer so etwas erlebt hat, besitzt eine gewisse Überzeugungskraft. (lacht)
SPOX: Sie werden demnach der nächste Felix Magath?
Schur: Überhaupt nicht. Jeder Trainer muss seine eigene Identität finden, um dauerhaft erfolgreich zu sein.
SPOX: Aber?
Schur: Ich bin noch auf der Suche. Für einen Neuling lief das erste Jahr optimal, aber ich brauche mehr Erfahrung, um mich selbst als Trainer besser kennenzulernen. Ich war die letzten Monate mehr damit beschäftigt, an meinen Fehlern zu arbeiten.
SPOX: Was waren das für Fehler?
Schur: Einerseits war ich zu diplomatisch. Beispielsweise habe ich mich anfangs nicht entschieden genug gegen die versuchte Einflussnahme der Spieler-Eltern gewehrt. Sie wollen das Beste für ihre Kinder, was ich verstehe, aber als Trainer darf so etwas keine Rolle spielen. Andererseits wurde mir aufgezeigt, dass ich fachlich noch sehr viel lernen muss.
SPOX: Geht das konkreter?
Schur: Welche Übungen sind geeignet, um die Viererkette zu stärken? Wie viel Zeit muss ich für die taktische Schulung einplanen? Was mache ich, wenn ich einen Trainingsplan für eine gewisse Anzahl von Spielern konzipiert habe, aber einer kurzfristig absagt? Es waren teils simple, organisatorische Dinge, die mich vor Schwierigkeiten stellten. Am meisten musste ich meine Beobachtungsgabe schulen. Wenn bei einem Freundschaftsspiel der Gegner ein Tor erzielt hat, habe ich teilweise nicht erklären können, warum.
SPOX: Dabei haben Sie über 250 Erst- und Zweitliga-Partien bestritten.
Schur: Das sind zwei komplett unterschiedliche Dinge. Auf dem Platz erlebt man viele Aspekte eines Spiels unterbewusst und spürt einfach, wenn etwas schief läuft. Dass die linke Seite überfordert ist oder dass ein Mitspieler mental aufgebaut werden muss. Von außen jedoch funktioniert das nicht, denn ein Trainer muss genau einordnen, warum ein Spiel zu kippen droht, und aus dieser Beobachtung heraus rationale Entscheidungen treffen. Diese Fähigkeit musste ich mir im Laufe der Saison antrainieren. Das Gute: Meine Spieler haben gesehen, wie ich an mir arbeite, und das honoriert, indem sie ebenfalls mit Disziplin vorangingen. So sind wir alle gewachsen.
SPOX: Eine Ausnahme ist Murat Bildirici. Wie schwer fiel es Ihnen, bereits im ersten Jahr einen deutschen Junioren-Nationalspieler auszusortieren?
Schur: Es liegt mir fern, die Zukunft eines jungen Spielers zu verbauen. Das Problem ist nur, wenn derjenige nicht versteht, dass ich den Kurs vorgebe und ausnahmslos alle Spieler meinem Weg folgen müssen, damit wir erfolgreich sind. In diesem Fall musste ich meine Autorität wahren und an die anderen Spieler das Signal senden, dass ich bis zum Ende konsequent bin, egal wie bitter so eine Entscheidung ist.
SPOX: Bildirici wäre nicht der Erste bei der Eintracht, der als hochgelobtes Talent abstürzt. Giovanni Speranza, Giuseppe Gemiti, Baldo di Gregorio, Daniyel Cimen oder zuletzt Faton Toski sind nur eine Auswahl von Spielern, die in Teenager-Jahren als kommende Stars gehandelt wurden. Ein auffälliger Trend in Frankfurt.
Schur: Es gibt zwei Facetten, um den Trend zu erklären. Erstens: Es gibt Spieler, die im Jugendbereich überzeugen, weil sie körperlich oder fußballerisch weiter waren als der Rest, bereits vor dem Seniorenalter jedoch ihr Potenzial ausgeschöpft haben. Zweitens: Bei einigen der genannten Spieler wie Speranza, Cimen oder Toski fehlte schlichtweg die Einstellung. Mit der Unterzeichnung des ersten Profi-Vertrags haben sie aufgehört zu arbeiten.
SPOX: Zuletzt gewann Frankfurt 1991 die B-Jugendmeisterschaft. Die einzigen Spieler, die es aus der Mannschaft in den Profi-Fußball geschafft haben, waren Matthias Hagner und Michael Anicic. Wie wollen Sie gewährleisten, dass Ihre Generation erfolgreicher ist?
Schur: Indem ich meinen Spielern die Fehler ihrer Vorgänger vor Augen halte. Vor dem B-Jugend-Finale gegen Leverkusen habe ich deswegen der Mannschaft eine Sammlung von Interviews mit den Spielern der 91er-Generation kopiert, die aus heutiger Sicht erzählen, was schief lief. Der Tenor war, dass sie sich damals auf dem Erfolg ausgeruht haben und dachten, dass die Karriere von alleine kommt. Das darf sich nicht wiederholen.
SPOX: Aber wie genau will der Verein das verhindern?
Schur: Wir stellen uns die gleichen Fragen wie Sie: Warum sind so wenige Spieler aus der Jugend durchgekommen? Warum gibt es vor allem bei den Offensivspielern eine solch hohe Misserfolgsquote? Viele wurden im Jugendbereich offenbar zu sehr gelobt und wie Könige behandelt. Das ist jedoch das Todesurteil für Talente. Bei der Eintracht soll Bescheidenheit groß geschrieben werden.
SPOX: Wie gehen Sie mit Frankfurts neuem Wunderkind Sonny Kittel um? Ein ungemein begnadeter Flügelspieler, der großen Anteil am Titelgewinn hatte und kommende Saison mit 17 Jahren schon in der Bundesliga debütieren könnte.
Schur: Bei Sonny wird das Dilemma offensichtlich: Er erfüllt alle objektiven Kriterien, um es nach ganz oben zu schaffen. Er ist schnell, beidfüßig, torgefährlich und dribbelstark, er bringt das ganze Paket mit. Von daher ist es nicht verwunderlich, dass es genug Leute im Umfeld gibt, die ihm einreden wollen, was für ein Star aus ihm werden könnte. Daher versuche ich, ihn so normal zu behandeln wie möglich. Er schleppt genauso die Bälle in die Kabine wie die anderen.
SPOX: Und?
Schur: Aus Selbstbewusstsein kann schnell Arroganz werden - und genau diese Hochnäsigkeit hat etliche Karrieren zerstört. Bei Sonny mache ich mir aber keine Sorgen. Er hat einen unglaublich hohen Anspruch an sich und er weiß genau, dass er sich sein Glück verdienen muss.
Ein Eintracht-Urgestein: Alexander Schur im Steckbrief