Bitte nicht noch einmal!
Auf der Geschäftsstelle des Hamburger SV laufen derzeit die Drähte heiß. Es soll nicht schon wieder passieren, dass ein junges, vielversprechendes Talent den Klub verlässt. Viel zu früh und vor allem für eine viel zu geringe Summe.
Kerem Demirbay ist für 1,7 Millionen Euro zur TSG 1899 Hoffenheim gewechselt. Dort ist er nun Leistungsträger und spielt in der kommenden Saison womöglich Champions League. Jonathan Tah machte für 7,5 Millionen Euro die Biege zu Bayer Leverkusen und wurde dort deutscher Nationalspieler.
Auch andere Abgänge der letzten Jahre veranlassten Stirnrunzeln bei den Protagonisten in Hamburg. Hakan Calhanoglu oder Heung-Min Son zum Beispiel. Beide wechselten ebenfalls nach Leverkusen. Zwar für beträchtliche Summen, weh taten die Transfers dennoch.
Derzeit droht der HSV seinen nächsten Rohdiamanten zu verlieren, und das bevor dieser den Profibereich überhaupt erreicht hat.
Der 17 Jahre alte Jann-Fiete Arp ist seit Wochen in aller Munde. In den Notizbüchern einiger nationaler und internationaler Schwergewichte sowieso. RB Leipzig soll bereits im vergangenen Jahr angeklopft haben. Jüngst hat angeblich auch Borussia Dortmund vorgefühlt und sogar der FC Chelsea soll laut englischen Blättern interessiert sein.
Arp hat das Potential zur Identifikationsfigur
Grund für Schweißperlen beim HSV: Der Youngster ist lediglich mit einem Fördervertrag bis Sommer 2018 ausgestattet. Allzu lange will sich der Verein jedoch nicht Zeit lassen, um mit Arp zu verlängern. Und zwar langfristig. Das stellte Sportdirektor Jens Todt unlängst klar. Und auch Profitrainer Markus Gisdol formulierte eine klare Forderung: "Es ist kein Geheimnis, er ist ein super großes Talent. Ihn müssen wir mit aller Macht bei uns behalten."
Mit seiner Vita ist Arp prädestiniert dafür, eine Identifikationsfigur in der Hansestadt zu werden. Wenn Lotto King Karl vor jedem Heimspiel leidenschaftlich "Hamburg, meine Perle" schmettert, könnte der Jüngling damit gemeint sein. Er ist eine neue Hamburger Perle aus der eigenen Schatzkammer.
Geboren im schleswig-holsteinischen Wahlstedt, wechselte er im zarten Alter von zehn Jahren zum großen HSV. Er durchlief alle Jahrgänge, entwickelte sich schnell weiter und stieß im Jahr 2015 bereits mit 15 zum U17-Kader auf.
Starke Torquote, vielversprechende Anlagen
Seit vergangenem Sommer ist Arp bei den B-Junioren sogar Kapitän. Er geht als Führungsspieler mit Leistung voran, 26 Treffer erzielte er in 21 Saisonspielen. Zwischen September und November setzte er die dicksten Ausrufezeichen, als er in zehn Spielen 21 Mal knipste - und dabei zwei Dreier- und zwei Viererpacks schnürte.
Die starke Torquote kommt nicht von ungefähr, seine spielerischen Anlagen machen den 17-Jährigen zum Hoffnungsträger. Er ist ein Spielertyp, der zuletzt auszusterben drohte. Anekdoten zufolge beanspruchte er bereits als Kind immer das Trikot mit der vielsagenden Rückennummer 9 für sich. Passenderweise. Er ist ein echter Mittelstürmer mit Torriecher und körperlicher Durchsetzungsfähigkeit. Dass er 1,87 Meter hoch gewachsen ist, hilft dabei.
Jugendtrainer: Arp "schon sehr komplett"
"Fiete ist für sein Alter schon sehr komplett", beschrieb sein Hamburger U17-Trainer Christian Titz im Interview mit Transfermarkt: "Er ist unser Kapitän und gut in der Box, macht gute Laufwege, kann den Ball gut abschirmen und hat einen sehr guten Schuss. Zudem ist er kein egoistischer Neuner, sondern stellt sich vorbildlich in den Dienst der Mannschaft."
Insidern, Experten und logischerweise auch den Scouts der Topklubs war Arp schon lange ein Begriff. In der breiten Öffentlichkeit hochgejazzt haben ihn jedoch zuletzt vor allem seine starken Leistungen für die deutsche U17-Nationalmannschaft bei der EM in Kroatien.
Wieder sprechen die Zahlen für sich: vier Spiele, zwei Dreierpacks, dazu der Siegtreffer im Viertelfinale gegen die Niederlande. Mit insgesamt sieben Toren trug Arp einen riesigen Anteil zum Halbfinaleinzug Deutschlands bei.
Favorit auf die Fritz-Walter-Medaille in Gold
Vor dem Duell in der Vorschlussrunde gegen Spanien am Dienstagabend stieß Nationaltrainer Christian Wück in ein ähnliches Horn wie Arps Vereinscoach: "Fiete ist unser Führungsspieler, auf und neben dem Platz. Und er behält auch in Drucksituationen einen kühlen Kopf."
Bei der Vergabe der Fritz-Walter-Medaille im kommenden Sommer dürfte Arp ein großer Favorit auf Gold in der Altersklasse U17 sein.
Er selbst gab sich kürzlich auffallend selbstkritisch, bemängelte seinen "schwachen linken Fuß" und betonte: "Mein Kopfballspiel ist besser geworden, aber ich bin noch lange nicht da, wo ich als zentraler Stürmer sein möchte." Um zu lernen, möchte sich der Angreifer inspirieren lassen: "Man sollte sich jeweils die besten Fähigkeiten verschiedener Spieler heraussuchen und in sein Spiel einbringen."
Für Gisdol kommt es nicht überraschend, "dass ihn Gleichaltrige nicht aufhalten können."
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Großer Schritt von Junioren zu Profis
Dass der Schritt vom Junioren- in den Profibereich gerade bei Stürmern jedoch alles andere als ein Zuckerschlecken ist, zeigten in der Vergangenheit Beispiele wie Samed Yesil oder Lennart Thy, die nach vielversprechenden Auftritten in den U-Nationalmannschaften nicht komplett durchstarteten.
Als Arp im Winter mit den Profis des HSV ins Trainingslager fahren durfte, betonte er auch sofort den Unterschied: "Hier sind die Gegner plötzlich 30 Jahre alt."
Die Anlagen sind da, der Durchbruch dadurch allerdings lange nicht selbstverständlich. Entsprechend fordert Gisdol Fleiß: "Wenn er weiter Gas gibt, werden wir in Hamburg viel Freude an ihm haben."
Die Worte des Cheftrainers klingen wie ein Appell mit dem Unterton: Lass dir vom Werben der Großen nicht den Kopf verdrehen und entwickle dich in Hamburg zum Profi. Zur Identifikationsfigur. Zu Hamburgs neuer Perle.
Ein Argument für einen Verbleib wollen Gisdol und Co. in den nächsten Tagen mit dem Klassenerhalt liefern. Der Kampf gegen das Abstiegsgespenst übertönt alles beim Dino.
Doch auch eine andere Sorge treibt die Verantwortlichen um: Bitte nicht noch einmal der Abgang eines Hoffnungsträgers...
Jann-Fiete Arp im Steckbrief