Thesen zum 1:1 Deutschlands in Ungarn: Werners Formsuche lähmt die Offensive

Maximilian Lotz
12. Juni 202209:40
SPOXgetty
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Das vierte 1:1 der deutschen Nationalmannschaft in Serie ist nicht nur vom Ergebnis her ein Zeichen für Stagnation. Vor allem die Probleme in der Offensive werden deutlich, Timo Werners Suche nach seiner Form hält weiter an und erweckt schon fast Mitleid. In der Abwehr offenbaren die künftigen Dortmunder Teamkollegen Niklas Süle und Nico Schlotterbeck noch Abstimmungsprobleme. Und Hansi Flick muss einen Platz für Ilkay Gündogan finden. Drei Thesen zum Remis in Ungarn.

Werners Formsuche lähmt die Offensive

Einer der aktuell wichtigsten Nationalspieler zeigte sich hinterher selbstkritisch. "Ich muss mir natürlich ankreiden lassen, dass wir das 2:1 nicht machen. Das nehme ich auf meine Kappe", sagte Jonas Hofmann bei RTL. Mit aktuell zwei Treffern ist der Gladbacher der Toptorjäger der deutschen Mannschaft in der Nations League.

Der rechte Flügelstürmer, der sich unter Bundestrainer Hansi Flick zuvor als Rechtsverteidiger festspielte, markierte beim 1:1 in Ungarn als Rechtsaußen sein viertes Tor im zehnten Spiel unter Flick. Auch sein fünftes hätte er noch machen können, ja eigentlich müssen. Das wusste Hofmann auch selbst.

"Am Ende muss ich ihn einfach nur noch reinschieben. Das ist bitter, weil ich glaube, das wäre das Siegtor gewesen", kommentierte der Gladbacher die Szene in der 72. Minute. Statt selbst zu schießen, entschied sich Hofmann für den Querpass auf Timo Werner, der allerdings zu ungenau geriet. Dass dieser gut gemeinte Versuch, Werner das lange erhoffte Erfolgserlebnis auf dem Silbertablett zu servieren, scheitert, steht letztlich sinnbildlich für die Probleme in der deutschen Offensive.

Werner, der beim FC Chelsea eine - wohlwollend formuliert - durchwachsene Saison spielte, agierte auch in Ungarn unglücklich und fiel vor allem durch vermeidbare Abseitsstellungen auf. Flick ist für seine Geduld bekannt, doch Werners anhaltende persönliche Formsuche lähmt ein Stück weit die ganze Offensive. In den vergangenen fünf Länderspielen gelang Werner ein Tor, dazu noch die eher zufällige Torbeteiligung beim 1:1 in Italien.

Flick nimmt Werner erneut in Schutz

Flick selbst wollte das Sturmproblem nicht allein an der Personalie Werner festmachen. "Der gesamten Mannschaft hat die Überzeugung gefehlt. Er betreibt einen großen Aufwand. Er setzt den Gegner unter Druck und bietet sich immer wieder an. Wir haben aber zu wenig Chancen, die richtigen Abschlüsse sind nicht zu sehen. Das ist unser Thema, daran müssen wir arbeiten", betonte Flick. Generell mangelt es an Entschlossenheit vor dem Tor.

Nun ist die Auswahl an echten Neunern im deutschen Fußball arg begrenzt, aber angesichts der anhaltenden Flaute gilt es mit Blick auf die WM, Lösungen zu finden. Und sei es auszuprobieren, ob ein Simon Terodde auch auf diesem Niveau seine Tore macht.

Ungarn - Deutschland 1:1 (1:1): Die Statistiken zum Spiel

Ungarn - Deutschland 1:1 (1:1)

Tore1:0 Z. Nagy (6.), 1:1 Hofmann (9.)
Aufstellung UngarnGulacsi - Lang, Orban, At. Szalai - Fiola, Styles (87. Vecsei), A. Nagy, Z. Nagy (70. Nego), Sallai (76. Gazdag), Szoboszlai - Ad. Szalai (70. Adam)
Aufstellung DeutschlandNeuer - Kehrer, Süle, Schlotterbeck, Raum - Kimmich, Goretzka (69. Gündogan) - Hofmann (85. Nmecha), Havertz (85. Adeyemi), Musiala (78. Brandt) - Werner (78. Müller)
Gelbe KartenSallai (17.), Gulacsi (86.), Adam (90.+1.) - Schlotterbeck (36.)

Das hochgelobte künftige BVB-Abwehrduo hat Luft nach oben

Für die ablösefreie Verpflichtung von Niklas Süle vom FC Bayern München und den Transfer von Shootingstar Nico Schlotterbeck für 20 Millionen Euro vom SC Freiburg wurde Borussia Dortmund schon in der Endphase der abgelaufenen Saison gefeiert. Vom vermeintlich besten Innenverteidigerduo der Liga war die Rede.

Am Samstag liefen die beiden in Budapest nun erstmals gemeinsam auf. Klar, kann man da noch kein blindes Verständnis erwarten. Doch die Abstimmungsprobleme in der Defensive waren mehrfach offensichtlich.

Das begann schon beim frühen Gegentor durch Zsolt Nagy. "Wir sind nicht gut positioniert in der Mitte. Die Ungarn kommen letztendlich zweimal zum Abschluss. Wir kommen da zweimal nicht hin. So entstehen Tore, wenn man Fehler macht", sagte Flick hinterher.

Während sich Schlotterbeck im weiteren Verlauf fing und vor allem mit der Torvorlage für Hofmann seine Qualitäten im Passspiel unter Beweis stellte, zeigte Süle mit einigen unnötigen Ballverlusten Schwächen - und brachte so seinen Nebenmann in Bedrängnis: Nach einem Fehlpass Süles musste Schlotterbeck gegen seinen bisherigen Freiburger Kollegen Roland Sallai ein taktisches Foul ziehen. Die Konsequenz: Gelb und Sperre im nächsten Spiel gegen Italien am Dienstag.

Rüdigers Fehlen macht sich bemerkbar

Generell sollten die großen Lücken in der Abwehr in der zweiten Halbzeit eine Warnung sein. Dass das Torschussverhältnis mit 6:11 so deutlich für den Gegner ausfiel, kann bei der WM gegen andere Kaliber deutlich teurer werden.

Das Fehlen von Abwehrchef Antonio Rüdiger, der aufgrund der hohen Belastung von Flick eine Verschnaufpause bekam, machte sich jedenfalls bemerkbar. Immerhin: Die Abstimmungsprobleme zwischen Schlotterbeck und Süle dürften sich im Laufe der Zeit durch die tägliche gemeinsame Arbeit bei ihrem neuen Klub wohl auch besser in den Griff kriegen lassen.

Flick muss einen Platz für Gündogan finden

21 Minuten gegen Italien, 83 gegen England und nun wieder nur 21 gegen Ungarn. Nach einer überzeugenden Vorstellung bei seinem Startelf-Auftritt gegen die Three Lions, verpuffte Gündogans Jokereinsatz in Ungarn erneut.

22 Minuten bekam der Mittelfeldstar beim Saisonfinale der Premier League. Und die genügten ihm, um mit zwei Toren die Partie gegen Aston Villa zu drehen und Manchester City zum Meistertitel zu führen.

Flick hat auf der Doppelsechs ein gewisses Luxusproblem. Das Bayern-Duo Joshua Kimmich und Leon Goretzka ist eigentlich gesetzt. Nur: Goretzka sucht aktuell noch nach seinem Niveau, das er vor seiner langwierigen Verletzung in der abgelaufenen Saison hatte. Beim Remis gegen Ungarn blieb er weitgehend blass und konnte dem Spiel nicht seinen Stempel aufdrücken.

Gündogan schaffte dies nach seiner Einwechslung allerdings auch nicht, stattdessen nahm eher die Unordnung bei den zunehmenden ungarischen Angriffen in der Schlussphase noch zu. Die Unterschiede hinsichtlich Gündogans Effektivität bei seinem Klub und im Nationalteam lassen sich auch an verschiedenen Systemen festmachen. Bei ManCity ist Gündogan im 4-3-3 von Pep Guardiola auf einer der beiden Achter-Positionen zuhause.

Ilkay Gündogan wurde in Ungarn erneut nur für 21 Minuten eingewechselt.imago images

Gündogan will Torgefahr ausstrahlen

"Ich kann beides spielen, außer vielleicht den defensiveren Part auf der Sechs. Ich bin nicht derjenige, der jeden Zweikampf gewinnt, wenn man realistisch ist", sagt Gündogan über seine Lieblingsposition. "Für mich geht es auch darum, Torgefahr auszustrahlen und in den gegnerischen Sechzehner zu kommen. Das muss immer in Einklang passieren mit der defensiven Absicherung."

In Flicks 4-2-3-1-Grundordnung wäre auch die Position auf der Zehn eine Option für Gündogan. Dort könnten seine Offensivqualitäten, die er mit zehn Toren und sechs Assists in der abgelaufenen Saison für City unter Beweis gestellt hat, womöglich noch besser zur Geltung kommen - etwa hinter einem Premier-League-erprobten Kai Havertz als falsche Neun.

Nations League: Die Tabelle der Gruppe A3

PlatzMannschaftSpieleSUNToreDiff.Pkt.
1Italien31203:215
2Ungarn31113:304
3Deutschland30303:303
4England30211:2-12