Erik ten Hag soll die zweite Mannschaft des FC Bayern in die 3. Liga führen und Spieler an die Profis heranführen. Er liebt Offensivfußball und ist Taktikfanatiker, bringt aber nicht nur Qualitäten als Trainer mit.
Erik ten Hag war nervös. Angespannt. Er fluchte, erhob sich immer wieder von seiner Bank und schrie wahlweise seine Spieler oder die Schiedsrichter an. Das Tor war einfach zu früh gefallen, in Minute 15. Das Tor für den FC Volendam zum 1:0 im Playoff-Rückspiel um den Aufstieg in die Eredivsie gegen Go Ahead Eagles Deventer.
Mit einem überraschend klaren 3:0 aus dem Hinspiel im Gepäck war Deventer in die Provinz Nordholland gereist. In Volendam ging es primär darum, ein frühes Gegentor zu vermeiden. Das ist üblich in K.o.-Phasen, egal ob im Champions-League-Halbfinale oder Aufstiegsplayoff der Jupiler League, der zweiten holländischen Liga.
Es sollte aber das einzige Tor des Spiels bleiben und deshalb stand nach 90 Minuten ein kleines niederländisches Wunder fest: Go Ahead Eagles Deventer spielt in der nächsten Saison gegen Ajax Amsterdam, PSV Eindhoven und Feyenoord Rotterdam.
Von Platz sechs in die Eredivisie
Der Mann, der dieses Wunder vollbracht hat, ließ sich nach Spielende von seinen Spielern auf Schultern durch das Volendamer Stadion tragen. Der Schreihals vom Spielbeginn: Erik ten Hag. Ein 43 Jahre alter Fußballlehrer, dessen erste Station als Cheftrainer Deventer war.
Nach dem Ende der regulären Saison lag der Klub, für den Bert van Marwijk, Harry Decheiver und Marc Overmars spielten, auf Rang sechs der Jupiler League.
In Holland steigt nur der Erste direkt in die Eredivisie auf, die letzten beiden freien Plätze werden in Playoffs zwischen dem Dritt- und Vorletzten der Eredivisie und den zweit- bis elfplatzierten Klubs der Jupiler League ausgespielt.
Deventers letzter Gegner Volendam sammelte in der regulären Saison zwölf Punkte mehr als Deventer und galt als klarer Favorit auf den Aufstieg. Doch ten Hag führte die Go Ahead Eagles souverän zum Aufstieg. Das 0:1 in Volendam war die einzige Niederlage in sechs Playoff-Spielen, vier Mal blieb Deventer ohne Gegentor.
Mammutaufgabe in München
Nach nur einer Saison ist aber schon wieder Schluss für ten Hag beim Aufsteiger; die Herausforderung, um Punkte gegen Ajax oder Eindhoven zu spielen, konnte nicht mithalten mit ten Hags neuer Mammutaufgabe: als Trainer des FC Bayern München II den Aufstieg in die 3. Liga zu schaffen und nebenbei Spieler an die Triple-Profis zu führen.
Die Nachricht, dass ten Hag zu dem Verein kommt, den Landsmann Arjen Robben zum Champions-League-Sieg schoss, wurde in Deutschland und den Niederlanden gleichermaßen überrascht aufgenommen.
"Damit hat in Holland niemand gerechnet", sagt der Sportjournalist Leon ten Voorde im Gespräch mit SPOX.
Ten Voorde kennt ten Hag seit über 30 Jahren und begleitet als Reporter einer Regionalzeitung in Twente den FC Twente wie auch die niederländische Nationalmannschaft seit geraumer Zeit.
Beim FC Twente hat ten Hag in den frühen 90er Jahren gespielt und dort hat er auch seine Trainerlaufbahn eingeschlagen, als Co-Trainer von Fred Rutten zwischen 2006 und 2009. Beide arbeiteten später auch in Eindhoven noch einmal für drei Jahre zusammen.
Enger Kontakt mit Sammer
"Auch wenn viele überrascht waren, haben sich die Leute in Holland für ten Hag gefreut. Wenn man beim FC Bayern arbeiten kann, sollte man das auch tun", sagt ten Voorde.
Der Ansicht ist auch Edwin Lugt, obwohl der die Angelegenheit auch mit einem weinenden Auge betrachtet. Lugt ist Präsident von Deventer und hätte ten Hag liebend gerne behalten. Lugt hat aber auch Verständnis für den Erfolgstrainer.
"Der FC Bayern ist der beste Verein der Welt, wir sind nur ein kleiner Klub. Wir sind aber stolz, wenn unser Trainer zu so einem Verein geht", sagte Lugt der "Süddeutschen Zeitung".
Eingefädelt hat den Transfer Matthias Sammer. Der Sportvorstand des FC Bayern pflegt seit vielen Jahren engen Kontakt mit ten Hag und hat ihn als Sportdirektor des DFB mehrmals für Vorträge zur Talenteausbildung in Holland gebucht.
"Erik ist ein Meister in der Talenteförderung", sagt ten Voorde. "Er kann sehr gut mit jungen Spielern umgehen. Er ist sehr kommunikativ und führt die jungen Spieler auf den richtigen Weg."
Ten Hag ist in Holland aber nicht nur bekannt dafür, den Teenagern die Flausen aus dem Kopf zu treiben. "Er hat sehr viel Ahnung vom Fußball. Erik ist ein Taktikliebhaber, fast schon ein Fanatiker", sagt ten Voorde.
Im Training lässt er Übungen bis zum Exzess wiederholen, solange bis es die Spieler richtig machen. Als Co-Trainer der Profis vom PSV Eindhoven stellte ten Hag nach deren Trainingseinheiten noch häufig nachmittags auf den Platz, um freiwillig den Nachwuchs zu coachen.
Klares System, klare Spielidee
Edwin Lugt nennt ten Hag den für junge Spieler "vielleicht besten Unterrichter". Ten Hag bevorzugt das niederländisch geprägte 4-3-3 mit maximal offensiver Ausrichtung und "zwei Arjen Robbens auf den Flügeln", so Lugt.
"Deventer hatte sicher nicht die beste Mannschaft in der zweiten Liga. Aber sie haben den schönsten Fußball gespielt und eben auch einen erfolgreichen", sagt ten Voorde, der ten Hag auch zutraut, in München Spieler so zu formen, damit sie für die erste Mannschaft interessant werden.
16 neue Spieler hatte er vor der Saison zu den Eagles geholt, keiner war älter als 23. Die Saison lief schleppend an, aber je länger die Saison dauerte, desto mehr war die Arbeit von ten Hag erkennbar.
"Man hat relativ schnell die Handschrift des Trainers gesehen. Er hat der Mannschaft ein klares System und eine klare Spielidee verpasst ", sagt ten Voorde.
Talenteförderung, Taktik und die Intensität des Trainings von einzelnen Spielformen - all das erinnert an die Arbeitsweise von Louis van Gaal. Ten Hag mag sich jedoch mit niemandem vergleichen lassen, er will seinen eigenen Weg gehen. Das meiste hat er von Fred Rutten gelernt, mit dem er sechs Jahre zusammengearbeitet hat.
Absoluter Vollprofi
Bei Sammers Entscheidung dürfte auch der Umstand eine Rolle gespielt haben, dass ten Hag auch Erfahrung im Managementbereich hat.
Er war nicht nur Trainer von Deventer, sondern übernahm auch die Aufgaben des Technischen Direktors von Marc Overmars. Er hat viele Spieler in Gesprächen selbst überzeugt, zu Deventer zu kommen und entsprechende Verhandlungen geführt.
Ten Voorde meint, dass sich die Bayern einen "absoluten Vollprofi" ins Boot geholt haben. "Die zweite Mannschaft der Bayern ist genau das richtige für ihn." Zu einem großen holländischen Verein zu wechseln, kam für ihn nicht infrage.
"Er ist für einen Trainer noch relativ jung und es gefällt ihm, in München mit talentierten Spielern zu arbeiten", sagt ten Voorde. Und auch Pep Guardiola dürfte als Fan des holländischen Fußballs und großer Verehrer von Johan Cruyff die Nachricht über ten Hags Verpflichtung positiv aufgenommen haben.
Beim Trainingsauftakt der zweiten Mannschaft am Montag war ten Hag noch nicht da, nach dem Aufstieg mit Deventer gönnt er sich noch ein paar Tage Urlaub. Die erste Übung wurde von Sören Osterland und Rainer Ulrich geleitet. Bald wird ten Hag übernehmen, laut ten Voorde "mit einigen neuen Ideen im Gepäck".
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