Der SV Türkgücü-Ataspor München marschierte zuletzt von der sechsten in die vierte Liga. Präsident Hasan Kivran träumt von der 2. Bundesliga, die sportliche Verantwortung tragen ehemalige 1860-München-Mitarbeiter.
Ruhig redet Türkgücüs Kaderplaner Robert Hettich im Gespräch mit SPOX und Goal. Langsam und fast schon ein kleines bisschen gelangweilt sagt er dann irgendwann: "Wir sind erst ganz am Anfang unserer Entwicklung." Dieser Anfang ist aber weder langsam, noch langweilig. Dieser Anfang schreit: zwei souveräne Aufstiege hintereinander! Von der sechsthöchsten bis in die vierthöchste Leistungsstufe! Bis in die Regionalliga Bayern! Transferoffensive!
Aber wenn das erst der Anfang ist, Herr Hettich, was ist dann das Ende? "In der nächsten Saison wollen wir im vorderen Drittel der Regionalliga landen. Die Vision unseres Präsidenten Hasan Kivran ist, irgendwann in der 2. Bundesliga zu spielen." Und genau das ist es, was bei Türkgücü zählt: der Präsident und seine Visionen.
"Er ist der Chef", sagt Hettich. Klar, Kivran macht den erstaunlichen Erfolgslauf doch erst möglich. Dank seines Kapitals und auch seiner Kontakte. "Mit AON, GAZI und FTI unterstützen uns bereits sehr renommierte Firmen", erklärt Hettich. "All diese Engagements gehen auf Geschäftskontakte unseres Präsidenten zurück." Das Geld sitzt dementsprechend locker.
SV Türkgücü-AtasporPräsident Kivran spielte einst selbst für Türkgücü
Der gebürtige Türke Kivran kam mit sechs Jahren nach München. Anschluss gab ihm auch der Fußball, als Jugendlicher spielte er einst selbst für Türkgücü. Später wurde er Geschäftsführer einer Leasing-Firma. Vom Verein heißt es, er sei "Unternehmer mit verschiedenen Beteiligungen". Seit dem 1. Januar 2016 fungiert der heute 53-jährige Kivran als Türkgücü-Präsident. Laut dem kicker investierte er seitdem einen hohen sechsststelligen Betrag in den Klub.
Um die Bürokratie kümmert sich sein Bruder Kenan, der als Geschäftsstellenleiter der einzige festangestellte Verwaltungsmitarbeiter des Vereins ist. Gemeinsam treiben sie die Ausgliederung der Profimannschaft in eine Kapitalgesellschaft voran, es seien nur mehr Kleinigkeiten zu klären. Gemeinsam wollen sie Türkgücü zu dem machen, was es mal war: eine große Nummer.
Kapitän Yilmaz: "Wir werden ein bisschen missverstanden"
1975 gründete eine Gruppe türkischer Migranten den SV Türk Gücü. Zu deutsch: Türkische Kraft. In den 1980er und 1990er Jahren spielte der Klub insgesamt sechs Jahre in der damals drittklassigen Bayernliga, zeitweise gemeinsam mit 1860 München. Über 10.000 Zuschauer kamen gerne mal ins Münchner Dantestadion, um Türk Gücü spielen zu sehen. 2001 aber ging der Klub in Konkurs, es folgten turbulente Jahre mit Neugründungen, Abstiegen und Fusionen. Und dann kam Kivran.
Er will viel und das will er schnell. Bei der Konkurrenz und deren Fans kommt der rasante Aufstieg nicht unbedingt gut an, was Türkgücü-Kapitän Yasin Yilmaz gar nicht verstehen kann. "Wir sind doch kein Klub, der aus dem Boden gestampft wurde", sagt er zu SPOX und Goal. "Viele wissen leider nicht, dass Türkgücü ein Traditionsverein ist. Wir werden ein bisschen missverstanden."
SV Türkgücü-AtasporEin Ex-1860-Trio bastelt am Aufstieg
Yilmaz wechselte 2017 vom Münchner Vorortklub FC Unterföhring zu Türkgücü - gemeinsam mit vier Mitspielern und Trainer Andreas Pummer. Vorwürfe der Konkurrenzschwächung und Wucherei waren vorprogrammiert und natürlich kamen sie auch. Vor allem in den sozialen Netzwerken, wo Kritik schnell in Hass mündet. "Wenn ich jeden Kommentar zur Anzeige bringen würde, würde ich meine Familie nicht mehr sehen", sagte Pummer damals. "Dann würde ich meine Freizeit auf dem Polizeirevier verbringen."
Für Türkgücü jedenfalls lohnten sich die Verpflichtungen: Pummer führte den Klub mit seinen alten, neuen Spielern zu den beiden Aufstiegen. Künftig muss er aber in die zweite Reihe treten. Er wird Co-Trainer des neuen Chefs Reiner Maurer, der dort schon reichlich Erfahrung hat, wo Türkgücü hin will: in der 2. Bundesliga. Zweimal trainierte Maurer 1860 München, Hettich war damals Pressesprecher des Klubs. Im Tor stand Michael Hofmann, jetzt ist er er Torwarttrainer von Türkgücü. Ein Ex-1860-Trio bastelt am Aufstieg von Türkgücü - und dafür an einem runderneuerten Kader.
20 neue Spieler statt Feierabendfußballer
Ab der kommenden Saison arbeitet Türkgücü unter Vollprofibedingungen: sechs, sieben Trainingseinheiten pro Woche statt ein bisschen Gekicke am Abend wie bisher. "Die letztjährige Mannschaft bestand aus Feierabendfußballern, weswegen wir einen großen Umbruch vollziehen mussten", sagt Hettich. Von den Aufstiegshelden bekamen lediglich fünf einen neuen Vertrag. 20 neue Spieler sollen kommen - die meisten davon sind schon da. Die Wunschkriterien: aus der Region, mit Regionalligaerfahrung.
Hettich bediente sich bereits bei Greuther Fürth, beim FSV Zwickau, beim 1. FC Saarbrücken und auch hier und dort. Es kamen Keeper, Verteidiger, Mittelfeldspieler und Stürmer. Der prominenteste Spieler ist wohl Karl-Heinz Lappe, einst stürmte er in der 2. Bundesliga für den FC Ingolstadt. Der prominenteste Name Hasenhüttl: Patrick, Sohn von Southampton-Trainer Ralph. 22 Jahre alt und ebenfalls Stürmer. Mit Franco Flückiger kam ein ehemaliger U19-Nationalkeeper.
"Alle ablösefrei", sagt Hettich stolz. Und die meisten davon auch noch jung: in der Regionalliga müssen in jedem 18er-Kader schließlich mindestens vier deutsche U23-Spieler stehen. Bis zur vergangenen Saison hatte Türkgücü keinen einzigen. Der Altersdurchschnitt des Kaders sank von knapp 27 auf 23 Jahre.
SV Türkgücü-AtasporHettich: "Die meisten Fans haben türkische Wurzeln"
Je weiter der Altersschnitt sinkt, desto wichtiger wird Kapitän Yilmaz. 30 Jahre ist der Mittelfeldspieler alt und der einzige Spieler im Kader, der länger als ein Jahr im Verein ist. Der letzte Verbliebene der Unterföhring-Fraktion. "Es ist nicht so einfach, immer wieder neue Spieler zu integrieren und einen neuen Teamgeist heraufzubeschwören. Aber ich denke, das wird uns auch dieses Jahr gelingen", sagt Yilmaz.
Man spürt, dass ihm der Verein und seine Geschichte am Herzen liegen. "Es macht mich stolz, einen türkischen Verein anzuführen und für unsere Fans eine Identifikationsfigur zu sein", erklärt er. Ob Yilmaz unter dem neuen Trainer auch Kapitän bleiben darf, weiß er noch nicht. Aber eine Identifikationsfigur, die bleibt er ganz sicher.
"Die meisten unserer Mitglieder und Fans haben türkische Wurzeln", erklärt Hettich. "Für sie ist es natürlich auch wichtig, dass wir den einen oder anderen türkischstämmigen Spieler haben." Vorgaben, Spieler nur wegen ihrer Herkunft zu verpflichten, gibt es jedoch nicht. Yilmaz ist aktuell einer von nur drei türkischstämmigen Spielern im Kader.
Türkgücüs Zukunft: Keine Heimat, neuer Name
Zuhause ist Türkgücü an der Bezirkssportanlage im Ostpark, aber spielen darf die Mannschaft dort nicht. Der Klub stieg schneller auf, als seine Infrastruktur wuchs. In der vergangenen Saison trug Türkgücü seine Heimspiele in Heimstetten aus, einem östlichen Vorort von München. Bis zur Winterpause der nächsten Saison wird sich daran nichts ändern, dann zieht Türkgücü ins Stadion an der Grünwalder Straße um.
Dort wird es jedoch eng: obwohl die Frauenmannschaft des FC Bayern wegen Türkgücü ausziehen wird, tragen schließlich weiterhin auch 1860 München und die Reserve des FC Bayern ihre Spiele in diesem ältesten aller Münchner Stadien aus. Türkgücü erhofft sich durch den Umzug einen Anstieg des Zuschauerschnitts, der zuletzt im niedrigen dreistelligen Bereich lag.
Wie es in der Stadionfrage ab Sommer 2020 weitergeht, weiß aber keiner. Womöglich ein Neubau? Womöglich eine langfristige Zukunft im Grünwalder? Oder gar eine Rückkehr in das aktuell nicht profitaugliche Dantestadion, die alte Heimat?
Sicher ist dagegen, dass der Verein dann nicht mehr SV Türkgücü-Ataspor heißen wird, sondern nur Türkgücü München. "Der aktuelle Name ist für die Außendarstellung viel zu lange. Einmal wird Türkgücü geschrieben, einmal Ataspor, einmal Türk-Ata oder sogar Türkspor", sagt Hettich. "Der Name Türkgücü hat Tradition, ist auch über die bayerischen Grenzen hinaus bekannt." Und wird von Aufstieg zu Aufstieg noch bekannter.