WM

"Die Schweiz wollte mich, die Türkei nicht"

Von Interview: Florian Regelmann
Gökhan Inler ist der unumstrittene Chef im Mittelfeld der Schweizer Nationalmannschaft
© Getty
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SPOX: Jetzt spielen Sie in Udinese. Im Vergleich zu Mailand und Rom ist es dort eher idyllisch. Wie kann man sich Ihr Leben vorstellen?

Inler: Ich wohne außerhalb der Stadt und dort gefällt es mir sehr gut, weil ich optimal abschalten und mich erholen kann. Die Mentalität der Leute mag ich sehr. Österreich ist nahe, Slowenien ist nahe, viele Schweizer sind hier - ich habe mich gleich wohl gefühlt, wie zuhause eigentlich, und so konnte ich mich gut auf den Fußball konzentrieren.

SPOX: In dieser Saison ist es allerdings sportlich nicht gut gelaufen. Kurzzeitig geriet Udinese sogar in Abstiegsgefahr. Wie fällt Ihr Fazit aus?

Inler: Dieses Jahr war sehr schwierig für mich. Unsere Ziele waren vor der Saison sehr hoch, auch zu Recht, weil wir im Sommer mit Quagliarella nur einen Spieler verloren haben, aber  dann haben wir trotzdem ein Spiel nach dem anderen verloren. Der Trainer wurde entlassen, es kam ein neuer Coach, dann kam der alte wieder zurück - es ging drunter und drüber. Aber zum Schluss haben wir uns wieder gut gefangen und viel gepunktet.

SPOX: Vor allem, weil Antonio Di Natale eine Mörder-Saison gespielt hat.

Inler: Antonio ist der Spieler, der mich in dieser Saison in der Serie A am meisten beeindruckt hat. Ihn zeichnet eine unglaubliche Ruhe aus. Er macht vielleicht nicht viel im Spiel, aber wenn es drauf ankommt, ist er da und steht dort, wo man ihn braucht und macht die entscheidenden Tore. Er ist mit 29 Toren mit sieben Toren Vorsprung Torschützenkönig geworden und hat den Rekord von Oliver Bierhoff gebrochen. Das sagt alles. Einfach ein Weltklasse-Stürmer.

SPOX: Sie helfen in Udinese den jüngeren Spielern - und auch in der Nationalmannschaft sind Sie mit 25 Jahren ein Leader. Wie sehen Sie Ihre Rolle?

Inler: Ich will der Mannschaft einfach helfen, das ist mein Job. Ich versuche, etwas Ruhe reinzubekommen, die jungen Spieler zu unterstützen und meine Erfahrung weiterzugeben. Wir haben eine super Mannschaft, alle geben Gas - und wir haben vor allem einen super Trainer.

SPOX: Was hat Ottmar Hitzfeld seit seinem Amtsantritt alles bewirkt?

Inler: Er hat in erster Linie seine Erfahrung und seine Persönlichkeit mitgebracht. Sein großes Thema war von Anfang an Respekt. Darauf hat er sehr geachtet. Kommunikation ist ihm sehr wichtig - er geht überragend mit der Mannschaft um, weil er ein toller Mensch ist. Auch nach dem schlechten Start mit der Niederlage gegen Luxemburg ist er ruhig geblieben und hat Druck von der Mannschaft genommen.

SPOX: Ein Kennzeichen der Mannschaft und des gesamten Schweizer Fußballs ist der ausgeprägte Multi-Kulti-Faktor. Ist das manchmal ein Problem?

Inler: Nein, überhaupt nicht. Der Zusammenhalt in der Mannschaft ist top. Auch die Secondos passen perfekt ins Team. Es ist nicht wichtig, wo wir herkommen. Wichtig ist, dass wir alle für die Schweiz spielen und Erfolg haben wollen.

SPOX: Aber eigentlich wollten Sie doch mal für die Türkei spielen.

Inler: Ja, ich wollte für die Türkei spielen und wurde auch in der U 21 einmal aufgeboten. Dann habe ich in einem Freundschaftsspiel gegen Schottland die zweite Halbzeit gespielt. Das war eine tolle Erfahrung. Ich habe gehofft, dass ich wieder ein Aufgebot bekomme, aber es kam nichts. Niemand hat mich angerufen, das hat mich enttäuscht. Köbi Kuhn, der damalige Schweizer Nationaltrainer, ist auf mich zugekommen und wollte mit mir reden. Die Schweiz hat sich sehr um mich bemüht - und wenn eine Nation mir Wert gibt, dann gebe ich ihr den zurück. Die Schweiz wollte mich, die Türkei nicht. Das war entscheidend und jetzt bin ich stolz, für die Schweiz spielen zu dürfen. Jeder, der meine Geschichte kennt, hat auch Verständnis dafür gezeigt.

SPOX: Wer sind für Sie die Favoriten auf den WM-Titel?

Inler: Auf jeden Fall Spanien und Argentinien. Brauchen Sie noch mehr? (lacht)

SPOX: Nein, das reicht schon. Aber warum ausgerechnet Argentinien?

Inler: Die Qualifikation von Argentinien war sicher nicht so stark, da haben sie große Probleme gehabt, aber ich glaube trotzdem, dass sie über eine enorme Qualität verfügen und dass Maradona das Team zur WM richtig einstellen wird. Aber natürlich sind auch die Niederlande oder Deutschland zu beachten. Das deutsche Team wird wie immer kompakt und robust auftreten. Gerade aufgrund des ungewohnten Ambientes halte ich in Südafrika aber auch Überraschungen für möglich.

SPOX: Welche deutschen Spieler gefallen Ihnen am besten?

Inler: Da gibt es viele Spieler. Philipp Lahm ist jemand, den ich gerne spielen sehe. Er marschiert viel. Und ich halte auch viel von Mario Gomez im Sturm.

SPOX: Letzte Frage: Ihr Markenzeichen ist Ihr Millimeter-Schnitt. Keine Lust, mal die Haare wachsen zu lassen?

Inler: Nein, das kommt nicht in Frage. Das muss genau so sein, wie es ist. Jede Woche vor dem Spiel wird rasiert - und mein Coiffeur bin ich selbst.

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