Südamerika ist erstaunlich weiß befleckt auf der Landkarte von Rudi Gutendorf. 55 Stationen hat der heute 87-Jährige bis 2003 als Trainer und Trainerausbilder durchlaufen, im südlichen Teil des amerikanischen Doppelkontinents, einer Hochburg des Global Football, ließ sich "Riegel-Rudi" vergleichsweise selten blicken.
Bolivien, Peru, Venezuela und Chile lernten Gutendorfs mitunter ungewöhnliche Methoden kennen. Als Nationaltrainer von Chile führte er 1972 das Eisenpendel ein.
"Dadurch sollten Reflexe und Beweglichkeit geschult werden. Die Spieler mussten sich bei der Übung immer wieder wegducken, um nicht von der Kugel getroffen zu werden", erzählt Gutendorf.
Der Trainer-Weltenbummler hat dem Land aber auch nachweislich Gutes getan. Bei der Mini-WM 1972, die Brasilien anlässlich des 150-jährigen Unabhängigkeitsjubiläums durchführte, belegte Chile einen sensationellen Platz fünf.
Gutendorf Urheber neuer Trainingsplätze
Außerdem sorgte Gutendorf dafür, dass ein für damalige Verhältnisse moderner Trainingskomplex errichtet wurde, der der Nationalmannschaft bis heute als Vorbereitungslager für große Turniere dient.
Auf dem Complejo Deportivo Juan Pinto Duran, benannt nach einem eifrigen Juristen, der bis zu seinem Tod 1957 (Pinto Duran starb mit 44 bei einem Autounfall) Bankdirektor, Präsident des Großklubs Universidad de Chile und Initiator der WM 1962 in Chile war, wimmelt es dieser Tage wieder von TV-, Radio- und Printreportern.
La Roja bereitet sich auf die WM in Brasilien vor und als eines von fünf Teilnehmerländern aus Südamerika wird Alexis Sanchez & Co. nicht nur in der Heimat der große Wurf zugetraut, wenngleich das Überstehen der Vorrunde mit den Gegnern Spanien und Niederlande schon ziemlich beachtlich wäre.
22-jährige Studentin stirbt
Auch Johnny Herrera ist dabei und das ist keineswegs selbstverständlich. Chiles Nummer zwei hinter Claudio Bravo hat in den letzten vier Jahren annähernd so viel Zeit mit Anwälten und in Gerichtssälen verbracht wie in den Stadien der Primera Division, der ersten chilenischen Liga, als Torhüter von Audax Italiano und Universidad.
In den Morgenstunden des 20. Dezember 2009 fuhr Herrera am Steuer seines Wagens angetrunken durch einen Vorort von Chiles Hauptstadt Santiago. An einer Kreuzung erfasste er die 22-jährige Studentin Macarena Cassasus, die noch etwa 300 Meter mitgeschleift wurde, ehe Herrera anhielt. Das Mädchen starb noch auf der Straße.
Ein Alkoholtest ergab 0,46 Promille im Blut von Herrera. Der Unfallhergang konnte nie einwandfrei rekonstruiert werden. Die Studentin ging wohl bei rot über die Straße, allerdings soll Herrera geschätzte 140 km/h schnell gewesen sein, was seine Anwälte vehement bestritten.
Ein Gericht verurteilte Herrera zu 41 Tage Gefängnis und zwei Jahren Führerscheinentzug. Seine Anwälte handelten mit der Familie des Opfers eine Zahlung von umgerechnet 30.000 Euro an die Hinterbliebenen aus, zudem spendete Herrera Torhüter-Equipment für mehrere Fußballschulen in Chile. Hinter Gitter musste er nicht.
"Habe nur ein bisschen getrunken"
Auf Herreras Karriere hatte der tragische Unfall keine negativen Auswirkungen. 2011 holte ihn Universidads neuer Trainer Jorge Sampaoli zu Chiles Vorzeigeklub Colo-Colo. Wenige Monate später wurde er von Journalisten zum besten Torhüter Chiles und ganz Südamerikas gewählt.
Für ein Comeback in der Nationalmannschaft, in deren Kader Herrera erstmals 2002 berufen wurde, reichte es jedoch nicht, was in chilenischen Medien immer wieder mit dem Unfall in Verbindung gebracht wurde. Ein Mann, der den Tod eines jungen Mädchens wegen grober Fahrlässigkeit zu verantworten habe, sei im Auswahlteam auch nicht erwünscht.
Am 17. September 2012 lieferte Herrera seinen Kritikern auf absurde Weise neue Nahrung. Die Polizei stoppte ihn mit 1,06 Promille Alkohol am Steuer.
Während die Staatsanwaltschaft für den Wiederholungstäter eine Haftstrafe von zwei Jahren, ein Ausreiseverbot sowie eine neuerliche Untersuchung des Unfalls mit Todesfolge forderte, plädierte Herrera auf unschuldig. "Ich habe nur ein bisschen getrunken. Ein Freund hatte Geburtstag", sagte er vor Gericht.
"Herrera steht über dem Gesetz"
Am 27. Juni 2013 sprach das Gericht das Urteil: 150 Tage Freiheitsstrafe auf Bewährung und erneut zwei Jahre Führerscheinentzug. Nicht nur Patricio Casassus, der Vater der 2009 getöteten Studentin, hielt die Rechtsprechung für eine Farce.
"Das Urteil fühlt sich an wie ein Messerstich in den Rücken. Aber ich habe damit gerechnet. Man wollte Herrera nicht ins Gefängnis stecken, weil man ja von seinen Einnahmen als Fußballer profitiert und er schön weiter seine Steuern zahlt. Herrera steht über dem Gesetz", sagte Casassus in einer Radiosendung am Tag nach der Urteilsverkündung.
Herrera reagierte darauf mit Verständnis, forderte das aber auch für sich ein. "Mir ist klar, dass Macarenas Familie tausend Mal mehr leiden muss als ich. Aber auch für mich ist es schwierig, seit dreieinhalb Jahren mit dieser Schuld zu leben. Es ist nicht gerade angenehm, von vielen Menschen als 'Mörder' bezeichnet zu werden."
Stress mit den eigenen Fans
Selbst die eigenen Fans gingen auf Distanz zu Herrera. Nachdem er die Anhänger von Universidad für das Abbrennen von Bengalos während eines Copa-Libertadores-Spiels gegeißelt und als "dumm" bezeichnet hatte, reagierten die "U"-Fans in Form eines Schriftzugs auf einem Banner, das am Trainingsgelände des Klubs aufgehängt wurde: "J. Herrera. Partymachen ist nicht dumm. Dumm ist einen Menschen tot zu fahren."
Herrera hatte aber stets auch einen Fürsprecher: Jorge Sampaoli. Chiles Nationalcoach, der Herrera als Trainer von Universidad verpflichtet hatte, stärkte Herrera stets den Rücken und holte ihn auch in seinen WM-Kader.
Kurz vor dem Ende der Nominierungsfrist musste Herrera eine letzte gerichtliche Anhörung über sich ergehen lassen, weil er am 23. Dezember 2013 abermals am Steuer von der Polizei angehalten wurde - trotz geltenden Führerscheinentzugs. Herrera hat auch diese Hürde genommen.