Die Bilanz der WM-Qualifikation spricht eine deutliche Sprache: An elf der insgesamt 18 Treffer Frankreichs war Franck Ribery beteiligt. Und ausgerechnet er fällt nun für das Turnier in Brasilien aus. Eine Katastrophe für Frankreich?
Keine Frage, der Ausfall von Ribery wenige Tage vor dem Beginn der Weltmeisterschaft ist sehr bitter, jedoch ist es vielmehr Riberys persönliche Tragödie als die der Equipe Tricolore. Längst genießt Europas Fußballer des Jahres in Frankreich nicht das Standing, das er sich in der Bundesliga mit ungezählten herausragenden Leistungen redlich verdient hat.
Geschätzt aber nicht geliebt
Zu oft schien der Bayern-Akteur in der Vergangenheit gehemmt, sobald er sein rotes für ein blaues Trikot eintauschte. Vor allem bei großen Turnieren blieb er hinter den Erwartungen zurück oder hatte, wie bei der EM 2008, Pech mit Verletzungen. Jedoch hat es nicht nur sportliche Gründe, warum er in der Grande Nation eher geschätzt aber keinesfalls geliebt wird.
Nach wie vor gilt der Offensivakteuer als einer der Protagonisten der WM 2010, dem wohl dunkelsten Fußball-Kapitel des Landes. Das erbärmliche Ausscheiden vor vier Jahren und die Art und Weise, wie sich Mannschaft und Trainer der Weltöffentlichkeit präsentierten, hat man den Spielern von damals im eigenen Land noch immer nicht verziehen.
Ribery, 2010 Rädelsführer und einer der Hauptanstifter gegen den damaligen Nationaltrainer Raymond Domenech, wäre bei der WM einer von nur noch fünf verbliebenen Spielern gewesen, die auch in Südafrika im Kader waren.
Neustart gefordert
Vieles hat sich seither getan, neue Hoffnungsträger geben der Mannschaft ein neues Gesicht. Unbelastet von den Fehltritten ihrer Vorgänger, die die einst so glorreiche Equipe Tricolore in einen Trümmerhaufen verwandelten. Der bitter benötigte Neuanfang wurde im Anschluss an die Endrunde in Südafrika von Laurent Blanc eingeleitet, DD soll das Begonnene weiterführen, auch und gerade im Hinblick auf die Heim-EM in zwei Jahren. Schon jetzt trägt die Mannschaft die so oft zitierte Handschrift ihres Trainers.
Vorbei die Zeit der Diven, die lange Zeit den französischen Fußball prägten. Der Teamgedanke steht über allem. Wer sich nicht unterordnet, fliegt. Auch Samir Nasri bekam das zu spüren, als er nicht berücksichtigt wurde. "Er hat selber gesagt, dass er als Ersatz nicht zufrieden sei. Ich kann Ihnen sagen, das merkt und spürt man", begründete Frankreichs Nationaltrainer seine Entscheidung.
Unruhen wie vor vier Jahren darf und wird es nicht mehr geben. Eine neue Identifikation mit der Nationalmannschaft soll geschaffen werden, mit neuen Spielern. Nach dem Fiasko von 2010 liegt es nun an der jungen Generation, es besser zu machen. "Einen Neustart", fordert Verbandspräsident Noël Le Graët.
Hoffnungsträger Pogba
Allen voran Paul Pogba soll das Gesicht dieses Neustarts werden. Einer aus dem Team, das im vergangenen Jahr den Titel bei der U-20-WM in der Türkei holte. Er gilt als der kommende Superstar bei den Blauen und wird nach einer bärenstarken Saison bei Juventus von Europas Großklubs gejagt. Zusammen mit Yohan Cabaye dürfte Pogba, Sieger des Golden-Boy-Awards, im defensiven Mittelfeld der Franzosen die Geschicke leiten. Dahinter stehen mit Raphael Varane und Mamadou Sakho zwei weitere junge Hoffnungsträger in der Innenverteidigung.
Und in der Offensive? Die Lücke, die Ribery hinterlässt, müssen nun andere füllen. Ersetzen kann man den Bayern-Star ohnehin nicht, das weiß auch Deschamps. Im letzten WM-Test gegen Jamaika stellte er seine Offensive daher um und probierte eine neue Variante mit zwei echten Stürmern. Aus der in Frankreich vieldiskutierten Frage "Benzema oder Giroud?" wurde "Benzema und Giroud". Die Erkenntnis: "Es kann gehen", stellte Deschamps nach der Partie zufrieden fest. Kann, muss aber nicht.
Immerhin steht dem Weltmeister von 1998 mit Antoine Griezmann ein weiterer Rohdiamant zur Verfügung. Ebenfalls einer aus dieser neuen und unbelasteten Generation. Ganze 16 Mal traf er in der vergangenen Saison für Real Sociedad, auch bei den letzten Tests hinterließ er einen starken Eindruck. Er wäre die naheliegende Lösung als Ribery-"Ersatz".
Positive Stimmung im Land
Vom ganz großen Wurf in Brasilien will keiner sprechen, zu sehr sind bei den Franzosen die Enttäuschungen der Vergangenheit im Hinterkopf. Das Los meinte es vermeintlich schon mal gut. In der Vorrunde traut man lediglich der Schweiz zu, die Equipe herauszufordern.. Ansonsten bietet sich dem Team die Gelegenheit, sich zu akklimatisieren und einzuspielen. Gerade den jungen Spielern könnte das zugute kommen.
Auch die Vorbereitungsspiele dürfen positiv stimmen, wenngleich in Frankreich wohl niemand so vermessen wäre, dem 8:0-Kantersieg gegen völlig hilflose Jamaikaner mehr Bedeutung beizumessen, als er verdient hätte. Auch das 4:0 über Norwegen sollte nicht überbewertet werden.
Eines hat die Mannschaft ihren Vorgängern schon jetzt voraus. Die Stimmung im Land rund um "Les Bleus" ist wesentlich positiver als noch vor vier Jahren. Im Gegensatz zu vergangenen Turnieren steht die breite Öffentlichkeit in Frankreich hinter ihrem Team. Längst ist das französische Kartenkontingent vergriffen, sowohl bei der EM 2012 als auch beim Turnier 2010 war dies nicht der Fall. Ein leises aber deutlich wahrnehmbares "Allez les Bleus" scheint durch das Land zu gehen. "Träumen ist erlaubt", wurde Deschamps zuletzt vielsagend zitiert.
