Die Nacht wurde lang auf dem 18. Polizeirevier an der Praça da Bandeira unweit des Maracanã-Stadions. Nicht in Handschellen, aber mit der Aura eines kriminellen Übeltäters musste sich Ray Whelan, der angebliche "Mister X", quälend langsam seinen Weg durch Mikrofone und Kameras bahnen. Auf den Hauptverdächtigen im Skandal um illegal verkaufter WM-Tickets warteten stundenlange Verhöre.
Am Dienstagmorgen wurde der leitende Angestellte der Match Services AG, in Sachen WM-Kartenverkauf alleiniger Dienstleister des Fußball-Weltverbandes FIFA, wieder auf freien Fuß gesetzt. In einer Presseerklärung beteuerte Match, dass Whelan unschuldig sei.
"Keine voreiligen Schlüsse"
Man sei der Überzeugung, dass die weiteren Untersuchungen zur Entlastung des Exekutiv-Direktors führen würden, teilte Match mit. Bis dahin werden Whelan und sein Mitarbeiterstab die Arbeit bei der WM wieder aufnehmen. Natürlich werde Match die Polizei-Ermittlungen vollumfänglich unterstützen und das in ihrer Macht stehende tun, um für eine Aufklärung der Affäre zu sorgen.
Auf die Frage, ob Whelan eventuell die Akkreditierung vonseiten des Weltverbandes entzogen werde, sagte FIFA-Sprecherin Delia Fischer am Dienstag: "Wir müssen erst alles wissen, bevor wir Entscheidungen treffen. Wir werden uns mit Match zusammensetzen, es dürfen keine voreiligen Schlüsse gezogen werden. Es gibt keine Bestätigung für die Anschuldigungen, wir brauchen Beweise."
Haftstrafe von zwei bis vier Jahren
Für Kommissar Fabio Barucke, der die "Operation Jules Rimet" gegen die Ticketmafia längst zu seinem Kind gemacht hat, ist Whelan indes ein "Facilitador". Also einer, der für die am 1. Juni hochgenommene Bande Zugang und Verkauf der Karten aus speziellen Kontingenten "erleichterte".
"Ray ist nicht der Chef", stellte der Polizeibeamte aber auch klar und versprach: "Wir setzen die Suche nach anderen am Betrugs-Coup Beteiligten fort." Sieben weitere Verdächtige stünden noch auf der Liste. "Die FIFA wird die laufenden Ermittlungen in vollem Umfang weiter unterstützen", ließ der Weltverband in einer Erklärung dazu wissen.
Whelan, dem auf der Polizeistation gleich zwei Anwälte zu Hilfe eilten, wird der Verstoß gegen Artikel 41-G des "Estatuto do Torcedor", des Verbraucherschutzgesetzes für Fußballfans, vorgeworfen: Verteilung von Eintrittskarten, die zu einem höheren als den aufgedruckten Preis verkauft werden. Eine Haftstrafe von zwei bis vier Jahren droht. Und auch noch mehr, falls ein Richter die Anschuldigung der Bildung einer kriminellen Vereinigung anerkennt.
694 Tickets für 1,8 Millionen Euro
Barucke kam über Mohamadou Lamine Fofana, nun doch erst einmal als Bandenkopf gehandelt, zu Whelan. Der Franko-Algerier war mit zehn weiteren Verdächtigen in der Vorwoche festgenommen worden - im Besitz von 131 gültigen WM-Tickets. Laut FIFA-Marketing-Direktor Thierry Weil gehören 70 zum Hospitality-Bereich, 60 zum normalen Kartenkontingent für Fans und eines dem Kontingent des brasilianischen Verbandes CBF an.
In einer Pressemitteilung hatte FIFA-Hospitality-Partner Match am Montag bekannt gegeben, dass auf 61 der beschlagnahmten Tickets die Namen von drei Firmen aufgetaucht seien, die insgesamt 694 Karten im Wert von 1,8 Millionen Euro gekauft hatten. Neben den Karten von Reliance Industries Limited (59), Jet Set Sports und Pamodzi Sports (je eine) habe Fofana über seine Firma Atlanta Sportif Management auch noch 105 Pakete im Wert von rund 90.000 Euro in der Hand gehabt.
Angesichts der kalkulierten Einnahmen eher "Peanuts". So zeigte die Report-Sendung "Fantástico" auf Globo TV am Sonntag eine Kladde, in der die Ticketverkäufe mit Summen festgehalten worden waren. Demnach setzte Fofana in der Vorrunde 112 Karten für umgerechnet rund 303.000 Euro um. Für das Finale besaß er 25 VIP-Karten, die ihm einen Stückpreis von 17.000 Euro einbringen sollten.
Reisepass einkassiert
In Fofanas Handy-Kontaktliste fand die Polizei einen "Ray Brasil". 900 Anrufe gingen in den letzten Wochen zu diesem Namen raus. Auf abgehörten Telefonaten verhandelten die beiden laut Barucke über WM-Tickets. Am Montag um 15.40 Uhr Ortszeit standen zehn Beamte vor dem Hotelzimmer 514 im mondänen Copacabana Palace, wo die FIFA-Oberen residieren. Die Schlinge um Whelan, der seit zwei Jahren seinen Wohnsitz in Rio hat, wurde zugezogen.
In der Hotelsuite des 64 Jahre alten Engländers, dessen Kinder Paul und Ellen auch im Match-Firmenkonstrukt arbeiten, lagen noch weitere 82 WM-Karten. Computer und Handy wurden als Beweismaterial ebenfalls sichergestellt, sein Reisepass wurde vorübergehend einkassiert.