Deutschland trifft im Testspiel am Dienstag zum ersten Mal seit der WM 2014 auf Brasilien (ab 20.45 Uhr im LIVETICKER). Es ist also das erste Aufeinandertreffen seit dem 7:1 für die DFB-Elf im Halbfinale von Belo Horizonte. Zeit für die SPOX-Redaktion, auf jenen denkwürdigen Abend zurückzublicken. Mit dabei: Bier auf dem Müller-Trikot, wacklige Livestreams, schlafende Freundinnen - und Erleichterung im Maracana.
Jochen Tittmar (Redaktion Spox.com)
Das Wichtigste war der Feierabend. Es war ein anstrengender Tag im Büro, die Frühschicht ging länger als gewöhnlich. Wenn WM ist, kann man als Sportjournalist eben nicht immer mit einem pünktlichen Schichtende rechnen.
Ich also heim, bisschen Haushalt, bisschen Kochen und danach Couch. Ich erinnere mich nicht unbedingt aufgrund des krassen Ergebnisses gut an dieses Spiel zurück, sondern eher wegen der Art und Weise, wie ich die Partie verfolgte.
Früher hätte ich mir einen solchen Kick sicherlich mit Kumpels und drei Fanta angeschaut, aber man wird ja älter und genügsamer. Letztlich lag ich - natürlich in meiner SV-Nufringen-Jogginghose mit der Nummer sechs - alleine auf der Couch herum. Und Deutschland traf. Und Deutschland traf wieder. Und wieder.
gettyBrasiliens größte Schmach der Geschichte
Handy und Computer waren nicht in Reichweite und ich war zu faul und zu müde, um mich großartig zu bewegen, so dass ich mir keine Live-Reaktionen in den sozialen Netzwerken gegeben habe. Ich fläzte einfach nur in der Gegend herum und musste ab dem 3:0 teils richtig laut auflachen.
Ich fand es einfach nur lustig, in welchem erbärmlichen Zustand ich mir dieses historische Spiel reingezogen habe. Natürlich taten mir auch die Brasilianer leid, die ausgerechnet bei der Heim-WM die größte Schmach ihrer Länderspiel-Geschichte erleben mussten.
Andererseits lief das Spiel ja so wahnsinnig ab, dass ich auch irgendwie darauf hoffte, es würde jetzt einfach so weitergehen und am Ende steht da ein 10:0 an der Anzeigetafel. Im Halbfinale einer WM. Ich stehe nicht in Verdacht, Fan der deutschen Nationalmannschaft zu sein, aber ich wollte, dass dieser Torreigen nicht aufhört - und mein Lachen auch nicht. Zum Glück hat mich dabei niemand beobachtet. Oder?
Stefan Petri (Redaktion Spox.com)
Ich weiß nicht, wie es anderen geht, aber wenn ich an die WM in Brasilien denke, dann denke ich nicht zuerst ans Finale, sondern ich denke ans Jahrhundertspiel gegen Brasilien. Ich denke an das 7:1. In 50 Jahren erinnern wird uns wahrscheinlich noch dunkel daran, dass es gegen Argentinien eine enge Kiste war und Götze ein geiles Tor gemacht hat. Aber ein 7:1 gegen die Dribbler vom Zuckerhut? Das bleibt ewig.
(Gut, könnte auch daran liegen, dass ich vor der WM ein bisschen kleingläubig eine Woche Urlaub in der Türkei mit einem Kumpel gebucht hatte. Abflug am Finaltag - aber ob Deutschland immer noch dabei ist? Das Ende vom Lied: Ich habe einen Großteil des Endspiels in einer Hotellobby mit anderen Touristen geguckt und den Ausnahmezustand in Deutschland deshalb komplett verpasst.)
Klose wird gegen Brasilien zum WM-Rekordtorschützen
Aber echt mal. 7:1 Wir hatten uns alle bei einem Kumpel getroffen, so in etwa acht Mann. Gute Pizza vorher, HD-Fernseher, lecker Getränke, bequeme Couch, alles war angerichtet. Und dann ... Ich weiß noch, dass ich mich extrem für Miro Klose gefreut habe. Dass mich der unnötige Gegentreffer am Ende doch ein bisschen geärgert hat. Dass ich nicht wirklich Mitgefühl mit den Brasilianern und deren Fans hatte (Hallo? Es ist Fußball! Macht sie so nieder, dass sie sich davon nie wieder erholen! Man stelle sich vor, welche Mätzchen die Brasilianer bei 5:0 für sie abgezogen hätten ...) - aber trotzdem beeindruckt war vom betenden, völlig zerstörten David Luiz nach dem Spiel.
gettyAber am eindringlichsten ist mir dieses Grinsen in Erinnerung geblieben. Ihr wisst schon, dieses glückselige, fast schon grenzdebile Grinsen, wenn man nicht fassen kann, was da passiert. Wenn man sich zu einem Kumpel rüberbeugt, man schaut sich an, dämliches Grinsen, und dann fängt man an zu lachen, weil man es einfach nicht glauben kann. Spätestens nach dem 3:0 ging es los mit diesem Grinsen - und so schnell hörte es nicht auf.
In unregelmäßigen Abständen stolpere ich auf YouTube über die Highlights dieses Spiels. Dann muss ich sie mir einfach anschauen. Auf Deutsch, auch gerne auf Englisch ("Five nill! FIVE NILL!!! Absolute Humiliation!"). Und dann schleicht sich wieder dieses Grinsen in mein Gesicht. Das wird auch in 50 Jahren noch so sein.
Felix Götz (Sportchef Spox.com)
Eine halbe Stunde war gespielt, als ich von einem Kumpel eine kurze WhatsApp-Nachricht bekam, die den unbegreiflichen Wahnsinn verdeutlichte: "Steht es bei euch auch 5:0?"
Zu diesem Zeitpunkt - wir saßen mit sieben Mann in München bei meinem Bruder im Wohnzimmer - war der Jubel längst einer leisen Ungläubigkeit gewichen. Mir persönlich taten die brasilianischen Fans einfach nur noch leid. Die tränenüberfluteten Gesichter lösten in mir Unbehagen aus, das Ergebnis fühlte sich in dieser Höhe schlichtweg falsch an.
Als ich zwei Jahre später bei den Olympischen Spielen in Rio war, wurde mir klar, welch große Wunden das 1:7 bei vielen Brasilianern hinterlassen hat. Jedes Mal, wenn ich mich als Deutscher zu erkennen gab, wurde ich umgehend auf dieses Spiel angesprochen.
Brasiliens Revanche bei den Olympischen Spielen 2014
Viele Brasilianer erzählten mir, wie sie das Desaster beim Mega-Public-Viewing an der Copacabana erlebt haben. Der für Deutsche unvorstellbare Optimismus der Carioca sorgte dafür, dass der Gedanke, Brasilien könnte das Halbfinale verlieren, überhaupt nicht existierte. Alle richteten sich auf eine lange Party-Nacht ein - stattdessen nichts als Tränen.
Dementsprechend hatte das Olympische Fußball-Finale 2016 für die Brasilianer einen enormen Stellenwert. Schon vor der Partie knisterte es direkt vor und im Stadion gewaltiger, als ich es je bei einem Fußballspiel erlebt habe. Die Atmosphäre war extrem aufgeheizt, Revanche für 2014 war angesagt.
Ich erinnere mich an den Rat einer Hotelangestellten, als ich mich auf den Weg ins Maracana machte: "Pass auf, falls Deutschland schon wieder gewinnen sollte. Einige Menschen könnten verrückt werden."
Ich gebe es ganz offen zu: Als das DFB-Team das Endspiel im Elfmeterschießen verloren hatte, atmete ich erleichtert auf. Diesmal fühlte es sich richtig an.
gettyOliver Mehring (Social Media Spox.com)
Vom Public Viewing im schwarz-rot-goldenem Fahnenmeer hatte ich mich bereits nach der EM 2008 verabschiedet, sodass ich auch bei diesem Spiel ganz gemütlich mit ein paar Freunden in einer Freiburger Studenten-WG zusammensaß. Gemeinsam Thai kochen, ein bisschen Wein - Mensch, was waren wir kultivierte Studenten.
Nicht jeder im Raum interessierte sich wirklich für den Rummel, der sich an der Leinwand abspielte, die von einem semi-geilen Beamer beleuchtet wurde. Zumal die wackelige DSL-Leitung den Livestream gerne mal ins Stottern brachte. Das führte schließlich zu einem ziemlich kuriosen Schauspiel: Spätestens mit dem dritten Tor waren sich nicht mehr alle im Raum sicher, ob das wirklich das reguläre Livebild war. Immer wieder trafen die Herren im schwarz-roten Trikot, immer wieder lagen sich Müller und Co. jubelnd in den Armen. Es gab Diskussionen, wir luden den Stream neu, noch ein Tor.
1:7 - Mitleid mit Brasilien
Spätestens zur Halbzeit saßen nur noch Fragzeichen im Raum: "Ist das jetzt wirklich passiert?" Wir waren peinlich berührt. Die Nummer war so verrückt und gleichzeitig so entspannend, dass wir anfingen, Durak (ein russisches Kartenspiel) zu zocken, um uns nebenbei die Zeit zu vertreiben.
Der Wein floss, die Gespräche drehten sich um die traurigen Brasilien-Fans, die immer wieder von der Kamera eingefangen wurden. Die Wucht des Sieges sorgte für eine eigenartige Atmosphäre. Die Folge: Wir starten ein kleines Trinkspiel und prosteten jedem deprimierten Gesicht zu, das auf der Leinwand erschien. Jubel brach aus, als die Brasilianer zumindest den Ehrentreffer erzielten. Dann war der Wein aus. Das Spiel irgendwann auch. Ich hatte einen im Tee. Schland, 7:1, geil!
Andreas Königl (Redaktion Goal.com)
"Im Fußball ist nichts unmöglich", heißt es immer so schön. Und der 8. Juli 2014 war eine dieser magischen Nächte, in der nichts unmöglich schien - zuhause, alleine auf dem Sofa vor dem Fernseher. Ich muss gestehen, ich schaue Fußball als Fan ohnehin lieber alleine, um mich voll und ganz auf das Geschehen zu konzentrieren, das Spiel voll aufzusaugen, ohne von jungfräulichen 'Ich gucke nur WM und EM'-Fans mit Deutschland-Fähnchen im Gesicht zugesülzt zu werden.
Doch an jenem Abend hätte mir ein bisschen Ablenkung sicherlich ganz gut getan, denn das was da passierte, war nur schwer zu begreifen und ließ meinen Kopf regelrecht explodieren, bis ich es dann einfach nur noch über mich ergehen ließ. Von einem "Geil, der Müller trifft schon wieder und soll sich die Torjägerkanone holen", nach dem 1:0, zu einem "Yeah, Miro - wer ist eigentlich Ronaldo?" nach dem 2:0 bis hin zum totalen Wahnsinn nach dem 3:0, 4:0 und 5:0.
Oscars Ehrentreffer gegen Deutschland stört
Zugegeben, ohne Neymar und Thiago Silva war ich vor der Partie durchaus optimistisch, aber das hatte wohl niemand erwartet. Meine Freundin lag während dem ganzen Spektakel im Bett, ich stürmte irgendwann mit Freudentränen in den Augen und knallrotem Kopf ins Schlafzimmer, rüttelte sie ... "3:0 nach 24 Minuten." Sie schaute mich an, nickte kurz und schlief weiter. Das Prozedere wiederholte sich noch ein paar Mal, mehr als ein "Tooohoolll" kam aber nicht über ihre Lippen - Frauen...
Und ja, der Ehrentreffer von Oscar störte mich massiv. Doch so surreal das Spiel auch war, schoss mir sofort in den Kopf: "Wenn Du jetzt das Finale nicht gewinnst, ist das 7:1 gar nichts wert." Das CL-Finale 2012 hat mich gelehrt, dass es erst aus ist, wenn es aus ist. Und was nützt Dir eine Demontage des Gastgebers, wenn Du dann nach so einer Zerstörung nicht Weltmeister wirst und den Titel holst? Das Ende der Geschichte kennen wir ja zum Glück alle, auch wenn der Titel nach diesem Spiel für mich ein "Muss" war.
gettyMax Wittmann (Multimedia Spox.com)
Wie eigentlich bei jeder Weltmeisterschaft hielt sich die Euphorie in der Gruppenphase bei uns allen noch in Grenzen. Durch unsere Favoritenrolle haben wir alle erwartet, dass wir es sicher bis in die K.o.-Phase schaffen würden. Nach den knappen Spielen gegen Algerien und Frankreich war klar, dass es gegen Brasilien eine harte Nummer werden sollte. Denkste!
Die Anspannung tagsüber war überall zum Greifen. Ich war mit Kollegen nach den Vorlesungen am See (die gute alte Uni-Zeit), um die Sonne zu genießen. Anschließend sind wir noch in den nahe gelegenen Biergarten. Wo wir dann genau schauen würden, war lange Zeit gar nicht richtig klar. Wir entschieden uns dann nochmal zurück zum See zu fahren, um dort dem Public Viewing beizuwohnen.
Public Viewing mit ein paar hundert Leuten. Sieben Tore der Deutschen. Bei jedem Tor jubeln, feiern und trinken. Die Geschichte kannst du dir nicht ausdenken und so viel Bier kannst du gar nicht saufen.
Die Stimmung vor dem Spiel war wirklich nicht gerade positiv. Die Brasilianer haben sich gegen die starken Chilenen und Kolumbianer durchgesetzt. Heim-WM. Weltstars wie Neymar, David Luiz und eine Menge Euphorie im Gepäck. Ich weiß noch ganz genau wie es sich kurz vor Anpfiff dermaßen füllte, dass wir am Ende sicher ein paar hundert Leute waren. Die Stimmung war also aufgeheizt und mit dem Anpfiff nahm dann alles seinen Lauf.
Deutschland zerlegt Brasilien - und es ist kein Traum
Mit dem 1:0 viel die Anspannung erstmal ab. Das 2:0 und 3:0 folgte so schnell, dass man schnell merkte, dass das heute ein Klassenunterschied ist. Spätestens beim 4:0 hat sich dann mein Bier, welches ich noch in der Hand hielt, auch verabschiedet und zwar über mein geliebtes Müller-Trikot. Alle sind wirklich komplett ausgeflippt, du bist aus dem Jubeln nicht mehr raus gekommen, lagst ständig im Arm von jemand anderem, um dir gegenseitig zu sagen, dass das jetzt kein Traum ist.
Jeder konnte den Brasilianern ansehen, dass sie unter dem Druck zusammenbrachen. Und nach dem 5:0 war die Stimmung auch kurzzeitig gedrückt. Nicht, dass wir uns nicht gefreut hätten aber es war eine Demütigung der brasilianischen Nationalmannschaft im eigenen Land und nach der Niederlage 2006 gegen Italien konnte man es - zwar nicht in der Höhe - ein bisschen nachempfinden. Das sechste und siebte Tor wurde zwar immer noch gefeiert aber bei weitem nicht mehr so, wie die Tore in der ersten Halbzeit.
Es war ein verrückter Fußballabend. Der Anfang war wie ein Rausch, in der Mitte fragten wir uns alle, ob das gerade wirklich passiert und am Ende taten uns fast allen die Brasilianer leid. Tränen flossen und der Traum war zerstört. Wir waren im Finale und mein Müller-Trikot getränkt von ca. zehn Bier, die ich mir während des Jubelns eingefangen habe.