Paolo Guerrero darf trotz seiner Dopingsperre zur WM 2018. Die vom internationalen Sportgerichtshof verhängte Strafe wurde provisorisch aufgehoben. Ein Urteil, das Guerrero die Tür zu seinem Karrierehöhepunkt öffnet, den Anti-Doping-Idealisten jedoch mehrere verschließt.
Irgendwie passte der positive Dopingtest im Oktober 2017 zu Guerrero. Der Kapitän der peruanischen Nationalmannschaft musste sich nicht zum ersten Mal vor dem Schiedsgericht verantworten.
Flaschenwurf in Hamburg, Schiedsrichterbeleidigung in Uruguay, nach dem Brutalo-Foul gegen Sven Ulreich 2012 sah sich Guerrero sogar mehreren Strafanzeigen ausgesetzt. Die Anklagebank kannte Guerrero bereits.
Und doch passte die positive Probe auch irgendwie nicht zu Guerrero. Nicht mehr. Der 34-Jährige schien seit seinem Wechsel nach Brasilien geläutert, konzentrierte sich auf Familie und Fußball. Mit "irgendeiner Art von Drogen oder verbotenen Substanzen" habe er nie etwas zu tun gehabt.
Paolo Guerreros Karrierestationen als Profi
Zeitraum | Team | Spiele | Tore | Assists |
2002 bis 2004 | FC Bayern München II | 69 | 49 | 2 |
2004 bis 2006 | FC Bayern München | 45 | 13 | 10 |
2006 bis 2012 | Hamburger SV | 183 | 51 | 29 |
2012 bis 2015 | Corinthians Sao Paulo | 78 | 34 | 13 |
seit 2015 | Flamengo Rio de Janeiro | 68 | 21 | 11 |
Der Fall Guerrero: Chronologie der Urteile und Entscheide
- 5. Oktober 2017: Guerrero wird nach dem Qualifikationsspiel gegen Argentinien in Buenos Aires positiv auf eine Substanz der verbotenen Liste "S6. Stimulanzien" getestet: Benzoylecgonin, ein Abbauprodukt von Kokain.
- 7. Dezember 2017: Die FIFA Disziplinarkommission verhängt eine Sperre von einem Jahr bis zum 3. November 2018. Die Sperre beinhaltet alle Pflicht- und Freundschaftsspiele.
- 20. Dezember 2017: Die FIFA Berufungskommission beschließt, die Sperre gegen Guerrero auf ein halbes Jahr zu kürzen - bis 4. Mai 2018. Grund: Guerrero ist nur bis zu einem gewissen Grad eine Schuld zuzuweisen, da er die Substanz offenbar unwissentlich über einen Tee zu sich genommen hat.
- 14. Mai 2018: Der internationale Sportgerichtshof CAS weitet die Sperre von sechs auf 14 Monate aus. Zwar stimmt der CAS der Argumentation der FIFA Berufungskommission zu, nach Einspruch der Welt-Anti-Doping-Agentur, die eine 22 Monate lange Sperre vorschlägt, entscheidet er, eine Sperre von 14 Monaten sei angemessen.
- 30. Mai 2018: Das Schweizer Bundesgericht gibt Guerreros Antrag auf "superprovisorische Erteilung der aufschiebenden Wirkung" statt. Das Urteil des CAS wird als "unbegründet" angesehen. Der CAS untersteht dem Schweizer Recht.
- 31. Mai 2018: Der CAS kündigt an, nicht gegen das Urteil des Bundesgerichts vorzugehen.
- 4. Juni 2018: Guerrero wird für den finalen 23-Mann-Kader der peruanischen Nationalmannschaft für die WM 2018 in Russland nominiert.
WM-Gegner Frankreich, Dänemark und Australien unterstützen Guerrero
Zwar ist Guerreros Sperre nicht aufgehoben, der Peruaner würde vermutlich jedoch 50 Länderspiele für diese erste und mit Sicherheit auch letzte WM-Endrunde eintauschen - oder gar 100.
Dieses Höchste der Gefühle im Leben eines Fußballers gab letztlich wohl auch den Ausschlag für die Aufschiebung der Sperre. Das Schweizerische Bundesgericht habe laut Pressemitteilung "insbesondere den diversen Nachteilen Rechnung getragen, die der bereits 34 Jahre alte Fußballspieler erleiden würde, wenn er nicht an einer Veranstaltung teilnehmen könnte, welche die Krönung seiner Fußballer-Karriere darstellen wird".
Zuvor waren Guerrero unter anderem der peruanische Präsident, die drei Kapitäne der WM-Gruppengegner Perus sowie die Spielervereinigung FIFPro zur Seite gesprungen. Als "unfair" und "unverhältnismäßig" verurteilten Hugo Lloris (Frankreich), Simon Kjaer (Dänemark) und Mile Jedinak (Australien) in einem offenen Brief an die FIFA das Urteil des CAS. Selbst die südamerikanischen Konkurrenten aus Panama oder Uruguay proklamierten ihre seelische Unterstützung für Guerrero.
NADA-Vorstand sauer: "Das torpediert den Anti-Doping-Kampf"
So überschwänglich Guerreros Dank gegenüber dem Bundesgericht, seinen Unterstützern und dem FIFA-Präsidenten Gianni Infantino, bei dem er ein Gespräch ersuchte, ausfiel, so sauer stieß das Urteil den Anti-Doping-Idealisten auf.
Zum Beispiel Lars Mortsiefer, Vorstandsmitglied und Chefjustiziar der NADA: "Das Argument, dass man die Sperre verringern soll, weil der Saisonhöhepunkt ansteht, darf nicht ziehen. So etwas hören wir fast in jedem Verfahren. Das torpediert den Anti-Doping-Kampf. Es gab eine Sanktionierung, die einzuhalten ist. Es bleibt ein ungutes Gefühl, wenn Guerrero jetzt bei der WM spielt, und vielleicht erfolgreich spielt, dann ist da ein fader Beigeschmack."
So nervig und anstrengend die ständige Kontrolle über Nahrungs-, Hygienemittel, Medizin oder Sonstiges sein muss, da selbst die fahrlässige Zufuhr unerlaubter Substanzen strafbar ist, ist sie eben notwendig. Das wissen die Spieler und das weiß auch Guerrero.
Dennoch reagierte er auf die Ausweitung seiner Sperre auf 14 Monate genauso unprofessionell: "Für die Menschen, die zu dieser beschämenden Ungerechtigkeit beigetragen haben, die die WM und vielleicht auch meine Karriere gestohlen haben, hoffe ich, dass sie in Ruhe schlafen können."
Paolo Guerrero - der "beste Mittelstürmer in der Geschichte Perus"?
Diese Wut ist mittlerweile verflogen. Zwar will Guerrero weiterhin gegen seine Sperre vorgehen und eine vollständige Auflösung dieser erwirken, die Vorfreude auf Russland überwiegt aber vorerst - spätestens nach Guerreros Comeback im Trikot der Blanquirroja nach fünf Spielen auf der Tribüne.
gettyGuerrero erzielte zwei Treffer beim 3:0-Sieg über Saudi-Arabien. "Ich bin sehr glücklich über seine Rückkehr", sagte Peru-Trainer Ricardo Gareca. Mit Guerrero im Kader lastet der Offensiv-Output nicht allein auf den Schultern des Ex-Schalkers Jefferson Farfan, der auf Instagram schrieb: "Ich bin einfach glücklich über diesen Moment, Bruder. Du verdienst das und noch viel mehr, du bist ohne Zweifel der beste Mittelstürmer in der Geschichte Perus."
Schon die Ankunft Guerreros im Trainingslager bewirkte ein Mehr an Teamgeist, Motivation und Glaube. Guerrero verkörpert seit seinem vorläufigen "Freispruch" eine Alles-ist-möglich-Mentalität, die sich auf die gesamte Mannschaft übertrug: "Es gibt keine Grenzen mehr. Es gibt keine unmöglichen Träume mehr. Es ist bewiesen. Wenn Peru zusammenhält, ist alles möglich", rief Guerrero selbst zuversichtlich aus.
Bei der Rückholaktion seiner "gestohlenen Karriere" kannte Guerrero keine Grenzen, grenzenlos soll nun auch der Erfolg seiner Mannschaft bei der WM sein. Nur eben der fade Beigeschmack bleibt.