Oscar Tabarez wirkte schon etwas genervt, als er auf der Pressekonferenz vor dem Spiel gegen die Franzosen erneut mit Fragen zum Gesundheitszustand von Cavani durchlöchert wurde. "Ich werde nichts mehr über Cavani sagen, ich habe genug Informationen gegeben", winkte er irgendwann ab. Gerade waren wieder fünf Journalisten-Hände in die Höhe geschnellt, die dann plötzlich ganz langsam nach unten sanken.
Der Vollständigkeit halber hier Tabarez' Informationen: "Er hat direkt nach seiner Verletzung hart gearbeitet, um wieder zurückzukehren. Er konzentriert sich auf seine Träume und Hoffnungen." Der Stürmer-Star absolvierte am Donnerstag ein Individualtraining.
Cavani ist selbstverständlich das Thema Nummer eins vor diesem ersten WM-Viertelfinale. Schließlich war er es, der die letzten drei Treffer für Uruguay bei dieser Weltmeisterschaft erzielte - und damit auch die beiden, die den Südamerikanern schließlich den Einzug ins Viertelfinale bescherten.
Uruguay lebt nicht nur von Edinson Cavani
Ein gesunder Anteil Kalkül steckte freilich auch in den passiven Antworten des Uru-Trainers. Der Stürmer von Paris Saint-Germain kann ein Spiel im Alleingang entscheiden. "Er ist ein Idol bei PSG, ein Leader und vor allem ein Gewinnertyp. Er ist sehr respektiert in Frankreich aufgrund seiner Fähigkeiten, aber auch als Mensch. Er und Suarez bilden eines der besten Sturmduos der Welt", sagte Frankreichs Torhüter Hugo Lloris.
Sein Trainer Didier Deschamps betonte, seine Mannschaft auf "verschiedene Szenarien mit Cristhian Stuani oder Cristian Rodriguez vorbereiten" zu wollen. Diese Szenarien könnten schließlich auch trotz eines Cavanis in der Startelf irgendwann während des Spiels eintreten. "Aber es ist klar, dass Uruguay ohne Cavani ein anderes Gesicht hat", stimmte Deschamps den darauf wartenden Journalisten schließlich zu.
Der Cavani-Thematik folgte in beiden Lagern unmittelbar die mal mehr oder weniger zutreffende Floskel, dass das Team doch sonst auch genügend Qualität habe. Im Fall von Uruguay ist es keine Farce, sich dieser Phrase zu bedienen - vor allem dann nicht, wenn man den Plan des Trainers und die taktische Disziplin mit in Betracht zieht.
Frankreich gegen Uruguay: Ein anderes Spiel als gegen Argentinien
Uruguay funktioniert als Kollektiv mit herausragenden Einzelspielern. Aus einer physisch sehr starken und gut organisierten Defensive um Abwehrkünstler wie Diego Godin schaltet die Mannschaft von Tabarez mit guter Balance ins vertikale Offensivspiel um. Oder wie Deschamps zusammenfasste: "Ein starkes Team mit einem klaren Plan und gefährlichen Konterspielern."
Dass das Duell mit Uruguay für die hochgehandelten Franzosen ein gänzlich anderes werden wird als noch gegen Argentinien, dürfte auch an den letzten Stammtisch der Pariser Banlieues durchgedrungen sein.
Die Räume, die sich der Equipe Tricolore im Achtelfinale boten, wird Uruguay Kylian Mbappe und Co. nicht lassen. Für Frankreich gilt es gegen eine gute Defensive nun das zu tun, was die Mannschaft in der Gruppenphase noch vermissen ließ. "In der Offensive müssen wir schnell und intensiv agieren, Situationen früh antizipieren und dann unsere schnellen Angreifer in Szene setzen", forderte Keeper Lloris.
Der Kapitän proklamierte: "Wir wollen weitermarschieren und die Pferde loslassen, wenn der Schiedsrichter anpfeift."
Uruguays Oscar Tabarez: "Glauben an unsere eine Chance"
Diese Pferde will Tabarez zähmen. "Es wird schwierig, aber nicht unmöglich. Es gibt eine Chance, und an die glauben wir", sagte er.
Die Defensive dürfte dabei wie schon gegen Portugal das Mittel zum Erfolg sein. Uruguay spielte mit einer Raute im Mittelfeld, variierte zwischen aggressivem Angriffspressing und tiefer Linienverteidigung. Teilweise lief Portugal gegen ein 4-4-1-1 der Uruguayer an - erfolgslos.
Erfolgslos deshalb, weil die Südamerikaner zum einen über extrem gute Strafraumverteidiger wie Godin oder Jose Gimenez verfügt, zum anderen, weil die Urus selbst nach Herausrücken einzelner Spieler immer alle Positionen besetzten - ein dynamisches Defensivbollwerk.
Uruguay kassierte gegen Portugal ohnehin erst das erste Gegentor im Kalenderjahr 2018. Zuvor blieb die Seleccion Uruguaya sechs Spiele in Folge ohne gegnerischen Treffer.
Auch den französischen Pferden könnten so die PS genommen werden. Die stärkeren Waffen haben sicherlich Les Bleus, doch mit guter Taktik und Geschick könnten die Urus die eine Chance, um Tabarez zu zitieren, ergreifen. Es ist ein wenig wie in diesem nervtötenden Ohrwurm-Song, der zur Karnevalszeit und auf Mallorca aus allen Ecken dröhnt: Frankreich und Uruguay spielen Cowboy und Indianer.
Frankreich gegen Uruguay: die bisherigen Duelle
Jahr | Wettbewerb | Heim | Gast | Ergebnis |
1924 | Olympische Spiele, Viertelfinale | Frankreich | Uruguay | 1:5 |
1966 | WM in England, Gruppe 1 | Uruguay | Frankreich | 2:1 |
1985 | Freundschaftsspiel | Frankreich | Uruguay | 2:0 |
2002 | WM in Japan/Südkorea, Gruppe A | Frankreich | Uruguay | 0:0 |
2008 | Freundschaftsspiel | Frankreich | Uruguay | 0:0 |
2010 | WM in Südafrika, Gruppe A | Uruguay | Frankreich | 0:0 |
2012 | Freundschaftsspiel | Frankreich | Uruguay | 0:0 |
2013 | Freundschaftsspiel | Uruguay | Frankreich | 1:0 |
Frankreichs Pferde bekommen Gegenwind
Zwar vermag Frankreich die stärkeren Waffen zu besitzen, doch das heißt nicht, dass die Pfeile der Urus ungefährlich wären. Das Spiel gegen Portugal zeigte, wie flexibel Uruguay in der Offensive auftritt.
Nahitan Nandez rückte immer wieder weit vor auf seiner rechten Außenbahn. Cavani ließ sich gern auf die linke Seite fallen. Uruguay zog die portugiesische Abwehr mit einer Dreier-Angriffsreihe mit Suarez im Zentrum auseinander, verlagerte clever das Spiel.
Im nächsten Angriff wichen beide nominellen Stürmer auf die Außen aus - ohne Anspielstation im Zentrum. Suarez und Cavani haben eben die individuelle Klasse, auch daraus gefährliche Abschlüsse zu kreieren. Dazu kommt die enorme Stärke bei Standards, vor der auch Lloris warnte.
"Wir wollen ihre Defensive vor ein paar Probleme stellen", sagte Tabarez kampflustig. Ob mit oder ohne Cavani - Frankreichs Pferde bekommen Gegenwind.