Die Karriere von Andries Noppert schien spätestens im Sommer 2020 vorbei. Nachdem ihm bereits im Vorjahr der italienische Zweitligist Foggia keinen neuen Vertrag angeboten hatte, kam der heute 28-jährige Torhüter mit Mühe und Not beim FC Dordrecht unter.
Nopperts Engangement in der zweithöchsten Spielklasse der Niederlande dauerte nicht mal ein Jahr, dann war er wieder arbeitslos. Das Thema Profifußball schien abgehakt. Und jetzt, zwei Jahre später, steht der 2,03-Meter-Hüne im Kader der niederländischen Nationalmannschaft bei der WM in Katar. Als Stammspieler.
Dass es so weit überhaupt gekommen ist, ist für Noppert immer noch unglaublich: "Hin und wieder gibt es diese Momente, in denen man denkt: Ist das das alles wahr?", sagte der Schlussmann der Elftal den versammelten niederländischen Journalisten in Katar. Wenige Augenblicke zuvor hatte er zum ersten Mal überhaupt für Oranje auf dem Platz gestanden - und das gleich bei einer Weltmeisterschaft. Beim 2:0-Sieg gegen Senegal hielt Noppert seinen Kasten sauber, kassierte überhaupt erst zwei Gegentore in vier Spielen bei diesem Turnier.
Zigaretten und Alkohol: Ex-Coach lästert über Noppert
Doch wie konnte es so weit kommen? Der Kontrast zwischen Nopperts jetziger Situation und der vor zwei bis drei Jahren könnte kaum größer sein. Heute: Nationalspieler, zahlreiche Glanzparaden bei der WM, bei seinem Klub Heerenveen wurde Nopperts Trikot nach dessen WM-Nominierung zum Verkaufsschlager. Damals: Arbeitslosigkeit, Zigaretten und ein ausgelöster Feueralarm sowie Saufgelage mit den Fans.
Schon die Zeit des Torhüters bei Foggia war schwierig. Der Goalie hatte große Probleme mit der fremden Sprache und italienische Medien berichteten immer wieder darüber, dass er sich gerne ein alkoholisches Getränk mit den Fans seines Klubs genehmigte. Oder zwei. Oder vielleicht auch ein paar mehr.
Rückblickend hat auch sein damaliger Torwarttrainer keine guten Erinnerungen an Noppert. Dem niederländischen Portal fcupdate.nl sagte Nicola Dibitonto: "Er hat geraucht wie ein Schlot. Ich erinnere mich, dass er sich eines Abends in Palermo im Hotelzimmer eine Zigarette anzündete und dabei den Feueralarm auslöste."
Frustriert beendete der niederländische Torhüter sein Foggia-Abenteuer und wechselte in die Heimat zum FC Dordrecht. Beim neuen Klub lief es aber auch nicht viel besser. Nur zwei Einsätze standen für Noppert zu Buche, ehe ihn eine langwierige Knieverletzung außer Gefecht setzte. So wurde er im Juli 2020 erneut arbeitslos - und sollte es diesmal auch mehrere Monate bleiben.
Familie drängte Noppert zu Polizei-Job
Knapp ein halbes Jahr sollte es dauern, bis sich Noppert wieder fußballerisch beweisen durfte. Doch der Weg dahin war steinig. Seine Familie drängte ihn dazu, sich einen Job bei der Polizei zu suchen. Aber: Der Torhüter gab nicht auf, hielt sich eigenständig fit und erarbeitete sich im Januar 2021 die nächste Chance. Die, die ihm im Nachhinein wohl sein Ticket zur WM im Wüstenstaat sicherte.
Die Go Ahead Eagles aus Deventer lotsten den Keeper zurück in Hollands zweite Spielklasse und dort wurde er erstmal dort eingesetzt, wo er sich am besten auskannte: auf der Ersatzbank. Knapp ein Jahr lang gab es für Noppert nur die Reservistenrolle, dann schlug seine große Stunde: Deventers Stammtorwart Warner Hahn verletzte sich, sein Ersatzmann rückte auf und machte seine Sache brillant.
Noppert wurde prompt zu Beginn des Jahres zur Nummer eins bei den Eagles befördert, zum Juli dieses Jahres wechselte er nach seinen starken Leistungen zum SC Heerenveen in Hollands höchste Spielklasse. Innerhalb von nur einem halben Jahr vom Bankdrücker in Liga zwei in die Eredivisie - nicht schlecht.
Van Gaal: "Einziger Torhüter, der fit ist"
Dass Noppert am Ende wirklich mit zur Weltmeisterschaft nach Katar durfte, hat er Bondscoach Louis van Gaal zu verdanken. Und - so ehrlich müssen wir an dieser Stelle sein - etwas Glück. Der 63-fache Nationaltorhüter Jasper Cillessen wurde ebenso wenig nominiert wie Freiburgs Mark Flekken. Über letzteren sagte van Gaal noch vor einem Jahr: "Er ist ein echter Van-Gaal-Keeper." Aus dem "ist" dürfte jetzt ein "war" geworden sein.
Rotterdams Justin Bijlow, der vor dem Turnier als Nummer eins der Niederländer gehandelt wurde, bekam den Platz zwischen den Pfosten ebenfalls nicht. Und so nominierte van Gaal Noppert als seinen Stammtorhüter. Die gewohnt trockene Begründung des Nationaltrainers vor dem Turnier: "Er ist unser einziger Torhüter, der wirklich fit ist." Bereuen dürfte van Gaal diese Entscheidung nicht. Noppert spielt ein tadelloses Turnier und trifft am Freitag im Viertelfinale der Weltmeisterschaft um 20 Uhr auf Argentinien.
Vor zwei bis drei Jahren hätte der Torhüter bei einem Pflichtspiel noch 90 Minuten auf der Bank gesessen und seine Hände maximal an ein Bier nach Abpfiff bekommen, jetzt muss er Angriffe von Lionel Messi und Co. parieren. Und wer weiß: Sollte Noppert mit den Niederländern am Ende tatsächlich Weltmeister werden, sein Trainer hätte bestimmt nichts gegen eine Sieger-Zigarette danach.