Torsten Lieberknecht ist seit elf Jahren bei Eintracht Braunschweig als Spieler und Trainer aktiv. Im Interview spricht er über die Lage nach dem Abstieg aus der Bundesliga, die Rivalität im Norden und Vergleiche zu Augsburg, Freiburg und Mainz. Außerdem: Neid gegenüber finanzstärkeren Konkurrenten, alte Bilder und ein legendäres Zitat.
SPOX: Herr Lieberknecht, gehört Eintracht Braunschweig nach der Hinrunde wieder zu den Topfavoriten auf den Aufstieg?
Lieberknecht: Wir haben es geschafft, uns zu stabilisieren. Wir können aber nicht gegen die Wahrnehmung ankämpfen, dass wir als Bundesliga-Absteiger eine Favoritenrolle innehaben. Das spielt für uns letztlich aber keine Rolle. Wir sind einfach froh, dass wir uns durch einige Siege in einer Liga, in der es sehr eng zugeht, nach oben gespielt haben.
SPOX: Hat sich die Mannschaft so entwickelt, wie Sie es sich nach dem Erlebnis Bundesliga-Abstieg erhofft haben?
Lieberknecht: Ich habe das Gefühl, dass wir eine Mannschaft haben, die eine sehr gute Entwicklung nehmen wird. Sie hat aber meiner Meinung nach noch viel Luft nach oben. Wir haben noch nicht unser ganzes Potenzial ausgeschöpft.
SPOX: Sie haben kürzlich in einem Interview gesagt, dass Braunschweig gemessen an den wirtschaftlichen Möglichkeiten der erfolgreichste Verein im Norden sei.
Lieberknecht: Wir haben in den letzten Jahren sehr viel sportlichen Erfolg gehabt. Gemessen an dem, was uns und was anderen Vereinen hier im Norden an Ressourcen zur Verfügung steht, waren wir in den letzten Jahren am erfolgreichsten. Das soll jetzt nicht vermessen klingen, aber anhand dieser Fakten ist das so.
SPOX: Stört es Sie nicht, wenn Sie die größeren finanziellen Möglichkeiten in Hannover oder Wolfsburg sehen?
Lieberknecht: Nein, überhaupt nicht. Letztes Jahr in der Bundesliga haben wir doch gut bei den direkten Vergleichen in den Derbys ausgesehen (lacht).
SPOX: Spüren Sie die Rivalität, selbst wenn sie nun wieder in verschiedenen Klassen spielen?
Lieberknecht: Durchaus, ja. Man merkt schon, dass man uns im Norden mit wachsamen Augen beobachtet. Wir sind eine gute sportliche Kraft und haben vor allem eine enorme Strahlkraft, was die Fanbindung angeht. Da wird man von der Konkurrenz zwangsläufig beobachtet.
SPOX: Nach Ihrer eigenen Aussage belegen Sie zwischen diesen größeren Klubs eine Nische. Haben Sie eine Art Braunschweiger Weg entwickelt?
Lieberknecht: Auf alle Fälle, schon seit längerer Zeit. Bereits 2008 haben wir nach der Ausgliederung des Profi-Fußballs angefangen, uns sportlich zu positionieren. Dann haben wir - Aufsichtsrat, Geschäftsführung und Sportliche Leitung - versucht, den Verein Stück für Stück zu konsolidieren und auf gesunde Füße zu stellen. Es wurde zudem massiv in die Infrastruktur am Stadion und im Nachwuchsleistungszentrum investiert. Auf der aktuellen Jahreshauptversammlung konnte unser Präsident Sebastian Ebel nun verkünden, dass wir schuldenfrei sind und einen Gewinn erzielen konnten. Die Nische, die wir besetzen wollen, lässt sich gut mit Freiburg oder auch Mainz und Augsburg vergleichen.
SPOX: Hing der Abschied von Torjäger Domi Kumbela, der angeblich hohe finanzielle Forderungen stellte, mit diesem Braunschweiger Weg zusammen?
Lieberknecht: Nein, das ist nicht an unserer finanziellen Situation gescheitert. Es war einfach so, dass Domi ein höchst lukratives Angebot aus der Türkei wahrnehmen wollte.
SPOX: In ähnlicher Art und Weise taucht der Braunschweiger Weg bereits in der Abschlussarbeit Ihres Trainerlehrgangs auf. Dort schrieben Sie vom Spagat zwischen Tradition und Zukunft, der in Braunschweig umzusetzen sei. Wie genau sieht dieser Spagat aus?
Lieberknecht: Wir haben den Spagat geschafft, zumindest einen Großteil davon. Die Tradition ist keine Bürde mehr, sondern man sieht sie nun in Braunschweig als großes Pfund. Dieses Pfund haben wir mit in unser zukunftsorientiertes Arbeiten aufgenommen. Dadurch konnten wir viele Leute mitnehmen und unseren Weg vernünftig nach außen kommunizieren. Wir haben es geschafft, sie zu überzeugen, dass uns dieser Spagat gelingen wird. Bei anderen Traditionsvereinen aus unteren Ligen funktioniert dies nicht immer.
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SPOX: Wie reagieren Sie auf Aussagen, dass alimentierte Vereine wie Ingolstadt oder Leipzig den Traditionsvereinen die Plätze in der ersten und zweiten Liga wegnehmen?
Lieberknecht: Ich beurteile das aus Trainersicht und aus diesem Blickwinkel wird dort sehr gute Arbeit geleistet. Man hat dort andere finanzielle Möglichkeiten. In Ingolstadt wird schon länger versucht, den Aufstieg zu realisieren. Dieses Jahr sind sie oben dabei, weil die Mannschaft eben seit längerer Zeit in dieser Form zusammengespielt hat. Aber wir arbeiten für uns und versuchen, das sportlich zu lösen. Wir sind auf keinen Fall neidisch.
SPOX: Haben Sie durch den Aufstieg 2013 einen Vorteil gegenüber Ihren Konkurrenten?
Lieberknecht: Wir wissen natürlich, wie schwer es ist aufzusteigen. Der Kopf wird mit so viel Druck überlastet, dass du dich davon erstmal befreien musst. Da spielt auch das Geld keine Rolle mehr. Dies wird man gerade bei Vereinen wie Ingolstadt, Kaiserslautern und Leipzig merken.
SPOX: Also haben auch finanzschwächere Traditionsvereine zukünftig Chancen in der Bundesliga?
Lieberknecht: Erst einmal muss man sich als Verein etablieren und dann sukzessive weiterentwickeln. Bei uns gibt es einen Grundstock, auf dem wir jedes Jahr wieder neu aufbauen. Uns ist es gelungen, mit ganz wenigen Mitteln von der dritten in die erste Liga aufzusteigen. Dies ist mit sehr viel Arbeit und Engagement verbunden. Dass es geht, sieht man aktuell in Darmstadt oder Heidenheim.
SPOX: Was hat sich in Ihrer langen Amtszeit am meisten in Braunschweig verändert?
Lieberknecht: Um das festzustellen, braucht man nur zu uns zu fahren und im Vergleich dazu alte Bilder betrachten (lacht). Man sieht unseren Erfolg am Stadion, an der Geschäftsstelle oder am Nachwuchsleistungszentrum. Vergleicht man all dies mit älteren Aufnahmen, erkennt man, was sich alles getan hat.
SPOX: Eine Leistung, für die Ihnen die Fans sehr dankbar sind.
Lieberknecht: Das stimmt. Was die Fangemeinschaft bei der Eintracht angeht, war schon immer ein großer Zusammenhalt vorhanden. Er ist in dieser Zeit sogar weiter gewachsen, weil die Leute uns mit unserer Art sehr sympathisch finden. Dadurch haben wir einen großen Fanzulauf.
SPOX: Wo wird sich denn die Eintracht in den nächsten Jahren noch besser aufstellen müssen?
Lieberknecht: Wir müssen jedes Jahr aufs Neue versuchen, eine schlagkräftige Mannschaft auf die Beine zu stellen. Wir wollen unter die Top 25 der Bundesliga und uns weiter etablieren, das ist ein erster Ansatz. Wir wissen aber auch, dass der Anspruch wohl von Jahr zu Jahr steigen wird - insbesondere durch das Jahr in der Bundesliga.
SPOX: Sie haben in dieser einen Bundesliga-Saison die Liga mit Ihrer Emotionalität bereichert, sind dabei aber auch immer wieder mit den Schiedsrichtern in Konflikt geraten. Haben Aufsteiger in der Bundesliga generell einen schweren Stand bei kniffligen Entscheidungen?
Lieberknecht: Nein, überhaupt nicht.
SPOX: Ihr Kollege Andre Breitenreiter vom SC Paderborn 07 hat Ihr legendäres Zitat vom "kleinen Pissverein" allerdings aufgenommen und ist der Meinung, dass die Kleinen in der Bundesliga bei engen Entscheidungen benachteiligt werden.
Lieberknecht: Das ist am Anfang einfach eine Wahrnehmung, die man entwickelt. Man muss zum Beispiel nur nach Freiburg schauen, die hatten damit auch zu kämpfen. Ob das am Ende wirklich so ist, weiß ich nicht und glaube ich auch nicht. Diese Wahrnehmung war zwar definitiv da, aber ich denke, wir hatten es insgesamt mit ordentlichen Schiedsrichterentscheidungen zu tun.
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