Sebastian Boenisch war im Sommer zum zweiten Mal in seiner Karriere vereinslos, ehe er sich dem TSV 1860 München anschloss. Im Interview spricht der 29-Jährige über seine Trennung von Bayer Leverkusen, seine Beziehung zu Polen und die Ambitionen mit den Löwen.
SPOX: Herr Boenisch, Ihr ehemaliger Mitspieler Tim Wiese steht am Anfang einer Wrestlingkarriere. Haben Sie seine ersten Schritte in der WWE verfolgt?
Sebastian Boenisch: Als ich das erste Mal davon hörte, musste ich schon ein bisschen schmunzeln. Jetzt freut es mich umso mehr für ihn, dass es tatsächlich zustande kommt. Ich glaube, dass Wrestling in Deutschland wieder etwas gepusht wird. Da gibt es meiner Meinung nach kein besseres Aushängeschild als ihn. Ich hoffe, er hat Erfolg und bleibt unverletzt.
SPOX: Als er noch aktiver Fußballprofi war, war sein Hang zum Bodybuilding noch nicht abzusehen. Er wog nur etwa 90 Kilogramm, heute sind es 120...
Boenisch: Während wir in Bremen zusammengespielt haben, hat er sich mit totaler Disziplin sogar auf 86 heruntertrainiert. Damals war er richtig drahtig. Als ich ihn später nach seiner Zeit in Hoffenheim das erste Mal gesehen habe, bin ich echt erschrocken. Aber so war er immer. Wenn er etwas gemacht hat, hat er es zu 100 Prozent durchgezogen. Er hat im Fußball immer alles gegeben. Jetzt gibt er beim Wrestling alles. Ich glaube, dass die Sportart gut zu ihm passt, weil er sein Herz auf der Zunge trägt. Das mag ich an ihm. Er hat immer polarisiert und damit die Mannschaft und das ganze Umfeld angesteckt. Da war er wie kein Zweiter.
SPOX: Viele Fußballer betreiben nach ihrer Karriere eine andere Sportart. Wiese geht ins Wrestling, in der Vergangenheit ist etwa Axel Kruse zum American Football gewechselt. Rein hypothetisch: Wenn Sie sich eine andere Sportart aussuchen müssten, welche wäre das?
Boenisch: Ich bin in den letzten Jahren riesiger Golf-Fan geworden. Das macht mir unheimlich viel Spaß. Mal schauen, ob ich es nach der Karriere im Golf mal in die Bundesliga schaffe. Das wäre super. (lacht)
SPOX: Wie viel Zeit haben Sie als Fußballprofi, um einem Hobby wie dem Golfspiel nachzugehen?
Boenisch: Es ist schwierig, zumal ich beinahe immer international gespielt habe. Aber wenn man mal einen Nachmittag frei hat, ist es schön, ihn auf dem Golfplatz zu verbringen. Dort hast Du auch mal fünf Stunden Dein Handy nicht in der Hand, was ich sehr angenehm finde. Natürlich telefoniert man zwischendurch mit seiner Frau, aber es beruhigt einen schon sehr. Ich hoffe, meine Karriere dauert noch lange, aber danach werde ich das Golfspielen sicherlich intensivieren.
SPOX: Lassen Sie uns über Ihren Werdegang sprechen: Die ersten Jahre Ihres Lebens weisen Parallelen zu denen von Lukas Podolski auf. Beide sind Sie in Gliwice geboren. Auch Ihre Familien hatten Verbindungen.
spoxBoenisch: Genau. Mein Vater hat damals in der zweiten polnischen Liga zusammen mit Lukas' Vater Fußball gespielt und unsere Mütter haben in der ersten Handball-Liga in Polen zusammen gespielt. Es ist nicht so, dass Lukas und ich regelmäßigen Kontakt hätten. Aber wenn wir uns mal sehen, verstehen wir uns super. Er ist ein richtig guter Typ und seine sportlichen Erfolge sprechen für sich.
SPOX: Wie Podolski kamen auch Sie als kleines Kind nach Deutschland. Damals hieß Ihre Familie noch Pniowski. Wie kam es zu der Namensänderung?
Boenisch: Ich habe mir das von meinem Vater einmal erklären lassen. Als wir nach Deutschland gekommen sind, hat man ihm direkt gesagt, dass es mit dem Namen nicht ganz einfach wird, einen Job zu finden. Wir hatten deutsche Vorfahren, die Boenisch hießen. Dann ist schnell eins zum anderen gekommen und der Name ist hängengeblieben.
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SPOX: Im Gegensatz zu Podolski, der sich der deutschen Nationalmannschaft anschloss, entschieden Sie sich nach den U-Mannschaften für Polen. Wie kam es dazu?
Boenisch: Ich bin damals unter anderem gemeinsam mit Daniel Adlung, mit dem ich jetzt bei 1860 München spiele, U21-Europameister geworden. Ich war auf meiner Position als Außenverteidiger gut dabei. Dann war ich schwer am Knie verletzt, habe mich aber wieder zurück gekämpft und sogar eine Einladung für die deutsche A-Nationalmannschaft bekommen.
SPOX: Woran hakte es dann?
Boenisch: Ich war nach meiner Verletzung einfach noch nicht so weit und man wollte mich behutsam aufbauen. Wir haben gemeinsam entschieden, dass es keinen Sinn macht, zur Nationalmannschaft zu fahren. Danach gab es keinen Kontakt mehr. Der polnische Verband hat sich in dieser Phase intensiv um mich bemüht. Ich habe von dort ein 100-prozentiges Vertrauen gespürt und das dann aus voller Überzeugung gemacht.
SPOX: Wie groß ist Ihre Verbundenheit zu Polen?
Boenisch: In jungen Jahren haben wir regelmäßig dort Urlaub gemacht. Ich habe mich in Polen schon immer sehr wohl gefühlt, weil die Leute sehr freundlich waren und es speziell im Winter ein traumhaftes Land ist, mit den Bergen und dem vielen Schnee. Ich bin immer gerne bei der Nationalmannschaft gewesen. Wir haben in Warschau ein super Stadion. Ich hoffe auf jeden Fall, dass ich irgendwann noch einmal für Polen spielen darf. Das ist mein Ziel.
SPOX: Im Jahr 2012 haben Sie mit Polen die EM im eigenen Land gespielt. Was hat das für Sie bedeutet?
Boenisch: Beim ersten Spiel gegen Griechenland im Nationalstadion hatte ich brutale Gänsehaut! Ich will den Fans von keinem Land zu nahe treten, aber was die polnischen Fans da machen, ist der Wahnsinn. Alleine wenn die Nationalhymne von 60.000 Fans aus voller Kehle gesungen wird, ist das unbeschreiblich. Sportlich war die EM nicht so erfolgreich für uns, da haben wir uns unter Wert verkauft und die Fans enttäuscht. Auch ich persönlich habe nicht so gut gespielt. Ich war gerade erst zurück nach meiner Verletzung. Aber unter dem Strich kann mir die EM keiner mehr nehmen. Es war trotz allem eine sehr schöne Zeit.
SPOX: Nach dieser schönen Zeit bei der EM kam eine schwierige Phase. Mit 25 Jahren waren Sie erstmals vereinslos. Wie haben Sie sich in dieser Zeit gefühlt?
Boenisch: Ich hatte mich mit dem VfB Stuttgart eigentlich schon auf einen Wechsel geeinigt. Der Vertrag war schon fertig, letztlich ist die Sache dann aber geplatzt. Das war problematisch, weil ich die Gespräche, die nebenbei liefen, abgebrochen hatte. Umso schöner war es dann, als das Angebot aus Leverkusen kam. Dort habe ich vor allem in den ersten beiden Jahren sehr viel und gut gespielt.
SPOX: Im Sommer war Ihre Zeit bei Bayer Leverkusen nach vier Jahren zu Ende. Wie früh zeichnete sich das ab?
Boenisch: Das habe ich relativ früh gemerkt. Ich bin schon lange dabei und kann Situationen einschätzen. Ich hatte eigentlich vor, bereits im Winter zu wechseln. Es gab auch Möglichkeiten, aber nichts hat gepasst. Also habe ich im Training weiter Gas gegeben. In der Rückrunde habe ich ein paar sehr gute Spiele gemacht. Ich habe mich dann aber wieder verletzt und bin zweieinhalb Monate ausgefallen. Das hat die Situation erschwert und schließlich ist es zur Trennung gekommen.
SPOX: Wie tief saß danach der Stachel? Es gab die Geschichte mit einem Instagram-Post an Christoph Kramer, in dem Sie geschrieben haben, er habe "endlich den Absprung geschafft".
Boenisch: Das wurde von der Öffentlichkeit missverstanden. Das war ein Insider zwischen Chris und mir. Da muss man auch nicht mehr weiter ins Detail gehen. Chris weiß, worum es ging. Das hatte nichts damit zu tun, dass Chris Bayer verlassen hat. Ich habe direkt mit den Verantwortlichen gesprochen und gesagt, dass ich hier mit die schönste Zeit meiner Karriere hatte.
SPOX: Also gab es kein böses Blut?
Boenisch: Nein, auf keinen Fall. Ich bin dankbar für die Zeit in Leverkusen und nicht im Streit gegangen.
SPOX: Dennoch waren Sie im Sommer zum zweiten Mal vereinslos.
Boenisch: Ja, leider. Es ist nicht so, dass keine Anfragen da waren. Auch einige Bundesligaklubs haben sich gemeldet, aber nichts hat mich überzeugt. Ich trage auch Verantwortung für meine Familie. Es gab Angebote, die zwar finanziell sehr gut, aber für den Zeitpunkt meiner Karriere und meines Lebens nicht das Richtige waren. Wenn die Sommerpause zu Ende ist und die Vereine ihre Planungen abschließen, merkst Du, dass die Zeit gegen Dich läuft. Aber ich habe immer an meine Qualität geglaubt.
SPOX: Die Vorzeichen Ihrer zweiten Vereinslosigkeit waren dadurch, dass Sie mittlerweile Familienvater sind, andere. War es sogar eine glückliche Fügung, ein paar Monate Elternzeit zu haben?
Boenisch: Man verbringt dadurch schon deutlich mehr Zeit mit seinem Kind und sieht, wie es sich weiterentwickelt. Ich bin zwar Fußballer und gehöre auf den Platz, aber das hat die Situation auf jeden Fall einfacher gemacht.
SPOX: Wie muss man sich Ihren Alltag in den vereinslosen Monaten vorstellen? Wie hält man sich fit? Wie viel Kontakt hat man zu seinem Berater?
Boenisch: Es war nicht so, dass ich jede freie Sekunde auf mein Handy geguckt habe, ob mein Berater anruft. Da hatte ich vollstes Vertrauen in mein Management. Aber ich habe mich schon mit Vertrauten zusammengesetzt, um mir ein optimales Trainingsprogramm zusammenzustellen. Ich habe jeden Tag trainiert, weil ich wusste, die Chance wird kommen. Und die hat mir 1860 dann gegeben, wofür ich sehr dankbar bin.
SPOX: Was waren die ausschlaggebenden Punkte für Ihren Wechsel zum TSV 1860?
Boenisch: Es ging alles ziemlich schnell. Den ersten Kontakt gab es zwei Tage vor der Vertragsunterschrift. Man hat mir aufgezeigt, was hier in der nächsten Zeit alles geplant ist, welche Spieler schon da sind, welche Spieler vielleicht noch kommen werden. Das Gesamtpaket hat mich überzeugt. Man muss ja nur einmal schauen, was alleine in den letzten Monaten hier passiert ist.
SPOX: Und zwar?
Boenisch: Wir haben zwei sehr gute, neue Trainingsplätze und bekommen noch einen neuen Fitnessraum. Man spürt, dass hier etwas wächst. Ich wollte ein Teil davon sein, den Verein nach vorne bringen und mit meiner Erfahrung den jungen Spielern helfen. Die Stadt ist sowieso super. München ist Lebensqualität pur. Vor allem ging es aber darum, wieder Fußball zu spielen, weil ich da absolut geil drauf war und bin.
SPOX: Sie haben angesprochen, dass es auch Angebote von Bundesligisten gab. Was macht einen Verein wie Sechzig interessanter als einen Bundesligaklub aus dem unteren Tabellendrittel?
Boenisch: Ob das interessanter ist, weiß ich nicht. Da will ich keinem anderen Klub zu nahe treten. Aber bei Sechzig habe ich sofort gemerkt: Die wollen Dich, die bemühen sich um Dich. Diese Wertschätzung ist für einen Spieler das Wichtigste. Die Gespräche mit dem Trainer und dem Sportdirektor waren sehr positiv. Und meine Frau kommt aus Wien, was ja auch nicht so weit weg ist.
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SPOX: War bei Ihrer Entscheidungsfindung ein Faktor, dass München kulturell an Wien etwas näher dran ist als Leverkusen?
Boenisch: Ja, klar. Meine Frau hat Jahre lang mein Leben mitgelebt. Das bleibt nicht aus, wenn man mit einem Fußballer verheiratet ist. Aber wenn ich meiner Frau ermöglichen kann, etwas näher an zu Hause zu sein, passt das optimal.
SPOX: Welches Bild hatten Sie in den letzten Monaten und Jahren von den Löwen und hat sich dieses in Ihrer Anfangszeit hier bestätigt?
Boenisch: In den letzten Jahren habe ich das nicht so engmaschig verfolgt, aber was man mitbekommen hat, war, dass schon meist eine gewisse Unruhe geherrscht hat. Bislang habe ich jedoch den Eindruck, dass man hier gut arbeiten kann. Die Strukturen sind professionell, das Trainerteam und alle drum herum leisten sehr gute Arbeit.
SPOX: Was erwarten Sie sich von den kommenden Wochen bei den Löwen?
Boenisch: Für uns ist es wichtig, Kontinuität und Stabilität hineinzubringen. Es tut keiner Mannschaft gut, wenn man fünf Spiele hintereinander nicht punktet. Das macht keinen Spaß. Wir haben zuletzt Schritte in die richtige Richtung gemacht, aber wir sind noch lange nicht, wo wir hinwollen. Wir müssen uns weiter verbessern und mit guten Leistungen, Ergebnissen und Punkten das Umfeld nicht nur kurz-, sondern langfristig beruhigen.
SPOX: Sie hatten in Ihrer Karriere bereits mehrere längerfristige Verletzungen und zwei vereinslose Phasen. Macht man sich da automatisch Gedanken über die Zeit nach der aktiven Laufbahn?
Boenisch: Natürlich denkt man darüber nach. Ich werde im Februar 30. Ich weiß, dass die Karriere nicht ewig dauern wird. Ich habe den Anspruch, noch vier, fünf Jahre auf höchstem Niveau zu spielen. Nichtsdestotrotz muss man sich damit beschäftigen, was man nach der Karriere machen möchte. Das Leben geht ja weiter. Wir haben schon ein paar Weichen gestellt, aber einen finalen Plan gibt es noch nicht, weil sich in ein paar Jahren so viel verändern kann. Man lernt immer wieder Leute kennen, die einem die eine oder andere Türe aufstoßen können.
SPOX: Aber erst einmal der volle Fokus auf Fußball?
Boenisch: Auf jeden Fall! Das ist das, was ich schon als kleiner Junge machen wollte und ich habe bis hierher eine sehr gute Karriere gehabt, in der ich auch ein bisschen etwas gewonnen habe. Darauf kann man stolz sein, zumal viele nach solchen schweren Verletzungen gar nicht mehr zurückkommen. Ich war immer ein Kämpfer und werde das auch bleiben.
Sebastian Boenisch im Steckbrief