Elf Jahre war Cacau für den VfB Stuttgart im Einsatz und durchlebte mit dem Verein eine seiner erfolgreichsten Epochen. Im Interview mit SPOX spricht er über seine neue Aufgabe als DFB-Integrationsbeauftragter, über die Probleme einer Flüchtlingsfamilie, alte Weggefährten und wagt einen Ausblick auf den "neuen VfB".
SPOX: Cacau, das Thema in Deutschland ist nun seit einem Jahr die Flüchtlingsproblematik. Sie sind seit kurzer Zeit der DFB-Integrationsbeauftragte und sind nun Teil der Debatten. Keine leichte Aufgabe.
Cacau: Ich war seit 2010 Integrationsbotschafter für den DFB und habe in dieser Zeit bereits viele Veranstaltungen besucht. Schließlich kam der Verband mit dieser Idee auf mich zu, bei der ich jetzt auch aktiv den Inhalt mitgestalten kann und nicht nur repräsentative Aufgaben übernehme. Es ist natürlich eine Herausforderung, besonders in diesen innenpolitisch schwierigen Zeiten, aber ich freue mich sehr darauf.
SPOX: Wie bewerten Sie die aktuelle Lage?
Cacau: Das ist ein extrem schwieriges Feld, das stark von Missverständnissen und Vorurteilen geprägt ist. Durch einzelne Geschichten werden Argumente gesammelt und von beiden Seiten Urteile gefällt. Dabei muss man bei diesem komplexen Thema immer wieder differenzieren. Es ist eine sehr angespannte Lage: Egal, wie man sich äußert, jeder wird sofort in eine Schublade gesteckt. Deshalb ist es so wichtig, auch mit den Leuten zu sprechen, die vielleicht nicht der eigenen Meinung sind. Hier muss ein gemeinsamer Weg gefunden werden. Es ist eine Herausforderung für dieses Land und es ist alles andere als einfach, aber nur eine sachliche Auseinandersetzung bringt uns wirklich weiter.
SPOX: Sie selbst waren einmal neu in diesem Land. Was hatten Sie für ein Bild von Deutschland?
Cacau: Da gab es noch die alten Vorurteile: In Deutschland musst Du aufpassen, Rassismus ist dort ein großes Problem. Das kam allerdings von Leuten, die noch nie in Deutschland waren. Ich war gespannt, was mich erwartet. Schließlich war es das komplette Gegenteil. Ich wurde sehr freundlich aufgenommen, sehr positiv angesprochen, was mir ungemein geholfen hat. Dadurch fühlst du einen viel stärkeren Drang, dich selber einzubringen, die Sprache zu lernen und Kontakte zu pflegen.
SPOX: Der Fußball wird immer internationaler, das DFB-Team ist inzwischen auch total multikulti. Wird über solche Probleme auch im Team gesprochen?
Cacau: Grundsätzlich glaube ich an die verbindende Kraft von Fußball. Jeder ist auf dem Platz gleich. Es gibt einen Ball, einheitliche Regeln und die Herkunft ist dabei völlig egal. Vielleicht war es deshalb im DFB-Team oder beim VfB Stuttgart nur selten ein Thema. Für Spieler, die direkt aus dem Ausland kommen, wird ohnehin viel getan, damit sie sich wohlfühlen. Da gibt es eigentlich keine Hürden. Die Probleme einer Flüchtlingsfamilie sehen da ganz anders aus: Es gibt die Menschen, die sie hier nicht akzeptieren, es warten viele Herausforderungen, die sie häufig nicht alleine bewältigen können. Dazu kommt eine neue Art der Bequemlichkeit, die vielleicht das Gefühl vermittelt, dass man doch nicht die Sprache lernen oder sich hier einbringen muss.
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SPOX: Auch Sie sind noch einmal ins Ausland gegangen und spielten ein Jahr in Japan bei Cerezo Osaka. Wie fällt ihr Fazit aus?
Cacau: Das war eine sehr schöne Erfahrung. Meine ganze Familie hat sich in Japan sehr wohl gefühlt. Wir haben tolle Leute kennengelernt, eine neue Kultur, ein neues Land. Gerade die Mentalität unterscheidet sich noch einmal extrem von der in Europa oder Südamerika. Das war ein Erlebnis, das ich nie vergessen werde.
SPOX: Macht sich das auch beim Fußball bemerkbar?
Cacau: Die Fans sind wirklich mit Begeisterung dabei, immer gut gelaunt und immer mit voller Unterstützung. Der große Unterschied ist vor allem der fehlende Druck von Seiten der Fans. Wenn es schlecht läuft, gibt es kaum Kritik. Da wird dann einfach noch mehr unterstützt und weiter fröhlich angefeuert. Das war schon mal etwas anderes. (lacht)
SPOX: Bevor Sie sich ins Abenteuer Japan stürzten, endete nach elf Jahren vorerst das Kapitel VfB Stuttgart. Können Sie sich noch daran erinnern, mit welchem Gefühl Sie damals nach Stuttgart wechselten?
Cacau: Im Fußball sieht man die Dinge eher kurzfristig. Ich hätte wirklich nicht gedacht, dass sich das zu so einer langen Geschichte entwickeln würde. Als mir nach der Saison 2005/06 ein Wechsel nahegelegt wurde, war ich auf der Suche, aber irgendwann habe ich mir gesagt: 'Ich lasse mich hier nicht abschieben!' Dann lief die Vorbereitung so gut, dass mir vom Trainer gesagt wurde, dass ich auf keinen Fall gehen darf. Es folgte die Meistersaison. Das war dann auch ein Stück weit Genugtuung.
SPOX: Die Meistersaison ist das perfekte Stichwort. Damals spielten im Team auch die jungen Sami Khedira und Mario Gomez. Konnte man damals schon absehen, dass die Zwei mal solche Karrieren hinlegen würden?
Cacau: Marios Karriere hat mich schon überrascht. Den Torabschluss hatte er schon immer, aber alles andere hat er sich sehr hart erarbeitet. Bei Sami war es wirklich nur eine Frage der Zeit. Er hatte damals mit Verletzungen zu kämpfen und wäre sonst schon viel früher bei uns durchgestartet. Dazu hat auch sein selbstbewusster Charakter beigetragen, der mit jedem Erlebnis gewachsen ist.
SPOX: Sie selbst saßen vor eben jener Meistersaison mit ein paar Kollegen zusammen und sprachen von einer Saison im Abstiegskampf. Was gab damals den Ausschlag für diese phänomenale Geschichte?
Cacau: Das war mit Fernando Meira und Pavel Pardo. Wir sprachen davon, dass es diese Saison sicher gegen den Abstieg gehen würde. Aber eine Spielzeit ist auch immer eine Entwicklung. Wir sind damals schlecht aus den Startlöchern gekommen. Auswärts waren wir gut, Zuhause weniger. Irgendwann kamen wir in einen Lauf, die Automatismen griffen, das nötige Glück kam dazu. Am wichtigsten war aber dieser extreme Zusammenhalt. Wir waren eine Einheit, es gab keinen wirklichen Star oder herausragende Einzelspieler. Diese Saison ging nur über Teamwork. Eine Grundlage, die für Vereine wie den VfB die einzige Möglichkeit ist, eine solche Leistung zu vollbringen.
SPOX: Und warum konnte man in den letzten Jahren diese negative Tendenz nicht abwenden?
Cacau: Abgesehen von den angesprochenen Punkten hat einfach die Achse gefehlt. Ein fester Kern. Damals hatten wir ein festes Gerüst mit einer echten Mannschaft. Und mit Blick auf die aktuelle Situation: Das Trainerteam, der Manager lassen sich nicht täuschen von den ersten Erfolgen, das war nicht immer so. Inzwischen wird hier selbstkritisch gearbeitet und immer wieder auf die noch vorhandenen Schwachstellen hingewiesen.
SPOX: Hannes Wolf ist ein weiteres junges Gesicht auf der Trainerbank eines Profiklubs. Sie haben mit zahlreichen Trainern zusammen gearbeitet. Welche Rolle spielt überhaupt das Alter bei einem Coach?
Cacau: Mit einem so jungen Trainer habe ich nicht gearbeitet, aber meiner Meinung nach kommt es vor allem darauf an, wie ein Trainer auf die Spieler zugeht. Man muss mit Glaubwürdigkeit und einem klaren Plan seine Ideen vermitteln. Erfahrung spielt sicher auch eine Rolle, aber wenn man diese nicht vermitteln kann, bringt die ganze Erfahrung nichts. Die Kommunikation muss einfach stimmen. Jeder Spieler sollte das Gefühl haben, dass der Trainer selbst die kleinsten Dinge im Training sieht und anerkennt.
SPOX: Wer konnte das in Ihrer Karriere am besten?
Cacau: In Japan hatte ich einen brasilianischen Trainer, das hat schon vieles einfacher gemacht. Zudem hatte er einen klaren Plan im Kopf und eine Philosophie, mit der ich mich sehr gut identifizieren konnte. In Deutschland würde ich Christian Gross nennen. Er hat die perfekte Mischung aus Distanz und Nähe vermittelt, war klar in seinem Auftreten. Das hat einfach gepasst.
SPOX: In Stuttgart erarbeiteten sie sich über die Jahre eine ganz besonderes Standing bei den Fans. Können Sie sich noch daran erinnern, als es zwischen Ihnen und dem Publikum endgültig gefunkt hat?
Cacau: Das war nicht immer so, gerade wenn es nicht so gut lief. Auch weil ich irgendwann der einzige deutsche Nationalspieler war, lange schon für den Verein gespielt hatte und für die Medien eine einfache Zielscheibe war. Ich habe in erster Linie immer alles für das Team gegeben und das haben die Fans gesehen. Die Schlüsselszene kam aber erst spät in meiner VfB-Karriere. Im Spiel gegen Leverkusen, als sich Bernd Leno mit der Cannstatter Kurve angelegt hat und ich dazwischen bin. Da haben die Fans wohl gemerkt: 'Da ist jemand, der unsere Farben verteidigt.' Da hat die Kurve, die nicht immer so einfach zu kriegen ist, ganz klar ihre Zuneigung gezeigt. Das war ein schöner Moment.
SPOX: Kann sich diese Kurve dieses Jahr über den Aufstieg freuen?
Cacau: Ich habe ein gutes Gefühl. Doch in der Bundesliga ist anschließend Geduld gefragt. Es wird Jahre dauern, bis der Verein wieder dort ist, wo er vor fünf, sechs Jahren war. Man braucht ein gutes Händchen bei Transfers, muss Spieler aus der eigenen Jugend verstärkt einbinden und Leistungsträger halten. Dafür muss dann natürlich auch finanziell etwas mehr investiert werden, um weitere Qualität zu gewinnen. Bleiben die Fans und der Verein ruhig und geduldig, dann ist hier einiges möglich.
SPOX: Und sieht man Sie irgendwann auch wieder in irgendeiner Funktion beim VfB?
Cacau: Ich nehme jetzt erstmal meine Rolle beim DFB wahr, studiere Sportmanagement und will nächstes Jahr meinen A-Schein machen. Allerdings nur, um eine sporttheoretische Grundlage zu bekommen. Mich zieht es auf jeden Fall in Richtung Management. Ansonsten ist es aber erstmal schön, auch mal bei den Kindern zu sein, sie von der Schule abzuholen, beim Fußball dabei zu sein. Diese Zeit genieße ich aktuell sehr.
SPOX: Noch ein kurzer Blick nach Brasilien: Die Tragödie um das brasilianische Team Chapecoense ist nun einige Wochen her. Wie würden sie die aktuelle Stimmung in Brasilien beschreiben?
Cacau: Diese traurige Geschichte hat das ganze Land bewegt und man spürt den Schock nach wie vor. Auch weil Fußball immer noch mit weitem Abstand die populärste Sportart und zentraler Bestandteil des brasilianischen Alltags ist. Dazu kommen die dramatischen Hintergründe: Ein Spieler wusste erst seit Kurzem, dass er bald Vater werden würde, der andere hätte bald heiraten sollen. Das hat die ganze Nation berührt und es wird wohl noch lange dauern, bis wirklich wieder Alltag in Brasilien bzw. im brasilianischen Fußball einkehrt.
Cacau im Steckbrief