"Ich hätte nie Bock, beim FC Bayern zu spielen"

Benno Seelhöfer
29. März 201722:53
Marius Ebbers erzielte insgesamt 108 Treffer in der ersten und zweiten Bundesligagetty
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Aufstiege, Abstiege - Marius Ebbers hat in seiner Profi-Karriere so Einiges miterlebt und durchgemacht. Mit SPOX sprach er über sein Leben nach der Profi-Karriere, jugendlichen Leichtsinn und warum ihn Wolfgang Overath für den Abstieg der Kölner verantwortlich machte.

SPOX: Herr Ebbers, Sie sind mittlerweile 39 Jahre alt und kicken immer noch: In der Oberliga Hamburg beim SC Victoria. In 13 Spielen haben Sie dort in dieser Saison zwölf Tore geschossen. Wann ist denn mal Schluss?

Marius Ebbers: Im Moment habe ich auf jeden Fall noch Bock, Fußball zu spielen und mich zu bewegen. Irgendwann macht das der Körper auf dem Niveau aber nicht mehr mit. Wann das sein wird, keine Ahnung. Das sage ich schon seit zwei, drei Jahren und am Ende mache ich dann doch immer noch ein Jahr weiter. Ich gucke von Woche zu Woche, wie es körperlich weitergeht und dann schauen wir, was im Sommer passiert.

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SPOX: Wie angenehm ist der Fußball im Amateurbereich für Sie, so ganz ohne Medienrummel?

Ebbers: Ich fand die Medien nie wirklich anstrengend. Natürlich gab es vereinzelt auch Tage, an denen ich keinen Bock hatte. Als ich bei Victoria anfing, habe ich erstmal ein Jahr lang nichts mit der Presse zu tun haben wollen. (lacht)

SPOX: Als zweites Standbein nach dem Profifußball führen Sie das Modegeschäft "Ebb & Flow" in Hamburg.

Ebbers: Die Idee dazu geht auf meine Zeit bei Alemannia Aachen zurück. Dort habe ich jemanden kennengelernt, der ein Modegeschäft führte. Ich fand das einfach faszinierend und spannend. Als abzusehen war, dass ich mit dem Profifußball Schluss mache, hatte ich die Idee, den Laden zu eröffnen. Ich ließ ihn im ersten halben Jahr neben dem Fußball laufen, anschließend bin ich komplett einsteigen.

SPOX: Sind Sie auch selbst als Designer tätig?

Ebbers: Nein. Wir kaufen und verkaufen nur. Es gab die Idee, mal etwas Eigenes zu designen und wir waren auch schon in der Planung, aber letztlich ist das noch nicht realisiert worden.

SPOX: Ihr Laden befindet sich in Hamburg an der Schanze, Ihr Ex-Verein St. Pauli ist um die Ecke. Das bleibt Ihr Klub, oder?

Ebbers: Natürlich. Ich lebe Hamburg und das bleibt auch so. Das Stadion ist einen Steinwurf von meinem Laden und einen noch kürzeren Steinwurf von meiner Wohnung entfernt. Ich hatte dort die schönste Zeit meiner Karriere. Ich schaue auch immer noch auf meine anderen Vereine, aber St. Pauli verfolge ich am meisten. Stadionbesuche sind aber sehr unregelmäßig geworden. Freitagabends spiele ich meist selbst, Samstag muss ich arbeiten und Sonntag bin ich froh, wenn ich mal gar nichts machen muss.

SPOX: Ihre letzte Profistation begingen Sie 2014, als Sie zu den Fort Lauderdale Strikers in die amerikanische NASL wechselten. Dort absolvierten Sie jedoch nur acht Pflichtspiele. Wieso?

Ebbers: Es gibt dort eine Frühling- und eine Herbst-Saison. Ich besaß nur einen Vertrag für die Spring Season. Für mich war das so in Ordnung. Ich wollte auch gar nicht länger bleiben, sondern einfach die Erfahrung machen. Das war eine super Zeit. Da mein Sohn in Hamburg lebt und ich mich um den Laden kümmern muss, wollte ich es auf diese drei Monate begrenzen.

SPOX: War die USA die klare Nummer eins oder gab es damals noch andere Überlegungen bezüglich des Auslands?

Ebbers: Im Prinzip war die USA die einzige Option. Für China und Dubai war ich wohl nicht interessant genug. So herausragend war meine Karriere dann doch nicht, auch wenn ich sie selbst sehr herausragend fand. (lacht) Irgendwann kam ein Anruf des damaligen Co-Trainers von Fort Lauderdale. Er war Deutscher und so hat sich das dann entwickelt. Zwischenzeitlich gab es noch die Option, zu Chicago Fire zu gehen. Da hatte Arne Friedrich den Kontakt hergestellt. Der Wechsel in die zweitklassige NASL spiegelt auch ein wenig meine Karriere wider, denn die 2. Liga war ja sowieso immer mein Steckenpferd.

SPOX: Sie haben einmal gesagt, dass für Sie eigentlich eine "eineinhalbte" Liga richtig wäre.

Ebbers: Im Prinzip war ich, das mag sich jetzt vielleicht ein bisschen arrogant anhören, für die 2. Liga ein bisschen zu gut und für die erste zu schlecht. Daher hätte ich mir eine Zwischenliga gewünscht. Ich weiß nicht, woran es lag, dass ich in Liga zwei regelmäßig traf und in Liga eins nicht. Ich habe drei Jahre erste Liga gespielt und bin drei Mal abgestiegen. Wahrscheinlich war es eine Qualitätsfrage. Vielleicht lag es auch an den Teams, in denen ich gespielt habe. Das waren immer Aufsteiger, die eher defensiv agierten.

SPOX: In der Bundesliga waren Sie aber auch zugegen. Wie haben Sie das Wechselbad der Gefühle erlebt, als Sie 2010 mit St. Pauli in die 1. Liga aufstiegen, 2011 den HSV auswärts schlugen und dann doch wieder direkt abstiegen?

Ebbers: Das war eine wechselhafte, aber vor allem sehr ärgerliche Saison. Es ist zwar irgendwie ein doofes Gefühl, aber im Nachhinein denke ich, dass dieser Sieg gegen den HSV für viele wichtiger als alles andere war. Das ist eigentlich traurig.

SPOX: Wie meinen Sie das genau?

Ebbers: Bis zu dem Zeitpunkt hatten wir eine super Saison gespielt, in den letzten zehn oder elf Spielen holten wir aber nur noch einen einzigen Punkt. 1:0 beim HSV gewonnen - mehr geht eigentlich nicht. Das ist wohl ein bisschen wie nach dem Gewinn eines Weltmeistertitels, da fallen die meisten auch erstmal in ein Loch. In unserem Fall war es damals aber lediglich ein Derbysieg. Der war natürlich sehr schön und für viele sicherlich auch heute noch sehr wichtig. Hätten wir aber 1:1 gespielt, dafür die Klasse gehalten, im nächsten Jahr erneut gegen den HSV gespielt und ihn eventuell noch in die 2. Liga geschossen, wäre mir das deutlich lieber gewesen.

SPOX: Stimmt es eigentlich, dass Sie Wolfgang Overath 2004 für den Kölner Abstieg verantwortlich gemacht hat?

Ebbers: Ja, aber überhaupt nicht böswillig. Er fragte mich, was denn los wäre, da ich verletzt war. Und sagte dann: 'Weißt du, warum wir damals abgestiegen sind?' Ich dann: 'Nee, keine Ahnung, Herr Präsident.' Er meinte: 'Na deinetwegen, weil du ständig verletzt warst!' Seitdem bin ich der Schuldige für den Kölner Abstieg 2004. In dem Moment war ich überrascht, aber er hat es sicherlich augenzwinkernd gemeint. Das ist eine Anekdote, die ich mit meinen damaligen Teamkollegen immer gerne erzähle. Ich kann nur seinen Kölschen Slang nicht so gut nachmachen.

SPOX: Apropos Teamkollegen: 2013 haben Sie Christopher Nöthe bei St. Pauli, als dieser eine große Torchance vergab, im Nachhinein Rückendeckung gegeben. Erzählen Sie mal!

Ebbers: Es war eine relativ gute Chance, aber keine hundertprozentige. In den sozialen Netzwerken wurde sich dennoch auf ihn eingeschossen. Im Internet tummeln sich ja die Bundestrainer. Deshalb habe ich gesagt: 'Leute, die ihr jetzt hier das Maul aufreißt, lasst uns die Szene nachspielen!' Und das haben wir dann gemacht. Es wurde eine Spaß-Aktion, die in Zusammenarbeit mit Viva con Agua einem guten Zweck diente.

SPOX: Gab es in Ihren über 15 Jahren als Profi auch Situationen, über die Sie sich im Nachhinein ärgern?

Ebbers: Ja, auf jeden Fall. Zum Beispiel in meiner Anfangszeit, in den ersten Wochen bei den Profis des MSV Duisburg. Als ich noch Amateur war, hätte ich damals im Kader für ein Auswärtsspiel der ersten Mannschaft sein sollen. Die Chancen auf einen Einsatz gingen gegen Null - und dann hatte ich plötzlich Achillessehnenprobleme. (lacht)

SPOX: Was war wirklich los?

Ebbers: Es war einfach eine gute Party am Wochenende, die wollte ich nicht verpassen. Da war ich wohl noch nicht ganz bereit, wirklich diesen Schritt zum Profifußball zu machen. Ich weiß jetzt nicht, ob das meine Karriere großartig beeinflusst hat. Vielleicht wäre ich dann ja auch Nationalspieler geworden, keine Ahnung.

SPOX: Sie waren doch Nationalspieler: im Kleinfeldfußball.

Ebbers: Stimmt, aber da habe ich mich nicht unbedingt über Leistung qualifiziert, sondern eher durch meine Karriere. Der Kontakt kam über einen Bekannten von Viva con Agua zustande. Anschließend spielten wir eine WM in den USA und eine EM in Kroatien.

SPOX: Wie lief's?

Ebbers: Die WM war praktisch eine andere Sportart, weil die das Kleinfeld anders als in Europa spielen. Dort wird quasi auf einem Eishockey-Feld mit abgerundeten Banden gespielt. Deshalb hatten wir dort nicht die geringste Chance. Bei der EM sind wir dagegen einfach unglücklich ausgeschieden.

SPOX: Sie haben in Ihrer Karriere ziemlich viel miterlebt, nicht nur die klassischen Episoden wie Auf- oder Abstiege. Machte das für Sie den Reiz aus, dass Erfolg und Misserfolg oft so nah beieinander liegen?

Ebbers: Klar. Ich hätte nie Bock, beim FC Bayern zu spielen, weil die immer Erfolg haben. (lacht) Im Nachhinein hätte ich mir schon gewünscht, noch ein bisschen erfolgreicher zu sein. Trotzdem war's eine geile Zeit.

SPOX: Ein wichtiges Spiel in Ihrer Karriere fand am 10. April 2012 mit St. Pauli gegen Union Berlin statt. Erinnern Sie sich noch?

Ebbers: Habe ich da meinen hundertsten Treffer erzielt?

SPOX: Nein. Sie haben nach dem Spiel die DFB-Auszeichnung "Fair ist mehr" bekommen, weil Sie bei ihrem Treffer zum vermeintlichen 2:1 auf Nachfrage von Schiedsrichter Tobias Welz ein Handspiel zugegeben haben. Hätten Sie diese Entscheidung bereut, wenn das Spiel nicht doch noch gewonnen worden wäre?

Ebbers: Nein. Natürlich ist es am Ende noch perfekt gelaufen, Fin Bartels traf kurz vor Schluss zum 2:1. Ich bin auch nicht aktiv auf den Schiedsrichter zugegangen und habe gesagt: 'Schiri, das war Hand!' Ich habe aus dem Bauch heraus geantwortet, als er mich gefragt hat. Ich sagte ihm, dass alles sehr schnell ging und ich den Ball mit dem Kopf und der Hand berührt habe. Letztlich war es seine Entscheidung. Es ist schön, diese Auszeichnung erhalten zu haben. Das Drumherum fand ich aber dann doch etwas übertrieben.

SPOX: Hätten Sie anders geantwortet, wenn das ohnehin nicht unwichtige Spiel damals noch existenzieller gewesen wäre?

Ebbers: Wenn es das letzte Saisonspiel gewesen wäre und wir einen Sieg für den Klassenerhalt benötigt hätten, dann hätte ich bestimmt gesagt: 'Nee, alles in Ordnung.' Da bin ich ganz ehrlich. Wenn es um einen Abstieg und um Jobs geht, also auch um die auf der Geschäftsstelle und so weiter, dann wäre das wohl etwas anderes gewesen. Ich kann mir zumindest gut vorstellen, dass ich dann von einem regulären Tor gesprochen hätte. Grundsätzlich kommt eine solche Nachfrage auch auf die Situation an. Wenn der Schiedsrichter den Spieler fragt und dieser lügt sozusagen für den Verein, weil es um wirklich viel geht, dann steht der Spieler am Pranger. Ich weiß daher nicht, ob es immer die richtige Entscheidung ist, die Spieler zu fragen.

SPOX: Eine ähnliche Situation, die viele Gemüter erhitzte, war die Schwalbe von Timo Werner gegen Schalke.

Ebbers: Die Kameras zeichnen alles auf und dadurch kommt am Ende sowieso die Wahrheit ans Licht - ganz egal, was man nach dem Spiel erzählt. Was soll man da auch sagen? Es gibt so viele Spieler, die Schwalben machen. Letztlich gehört es wohl zum Fußball dazu. Würden wir keine Schwalben mehr sehen, könnte auch niemand mehr diskutieren - und das wäre ja langweilig. Solche Dinge passieren in jedem anderen Sport auch, nur sieht es da nicht jeder. Auch in der Diskussion um den Videobeweis hoffe ich, dass man eine Regelung findet, die den Sport so lässt, wie er ist.

SPOX: Woran denken Sie dabei?

Ebbers: Es darf nicht so weit kommen, dass alle zehn Minuten ein Videobeweis gefordert wird. Der Sport lebt auch von Fehlentscheidungen, sowohl von Schiedsrichtern als auch von Spielern. Deshalb glaube ich auch nicht an einen Bayern-Bonus. Auch das Foul kürzlich gegen Hertha war ein paar Sekunden nach der regulären Nachspielzeit. Ich weiß nicht, ob ein Schiedsrichter dann sagen kann: 'Den Freistoß aus einer gefährlichen Zone, den lasse ich nicht mehr ausführen, weil die Nachspielzeit vorbei ist.' Gott sei Dank bin ich kein Schiedsrichter. (lacht) Würde immer alles regulär ablaufen, hätte die Presse auch nichts mehr zu schreiben.