"Wir waren paralysiert, es war unfassbar"

Mario Krischel
10. März 201713:33
Norbert Düwel arbeitete in seiner Karriere bereits mit Sir Alex Ferguson zusammengetty
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Vom Amateurkicker, Uni-Dozenten, Buchautor und ManUnited-Scout zum Cheftrainer bei Union Berlin: Norbert Düwel steht in seiner Coaching-Karriere erst am Anfang und verzeichnet jetzt schon einen außergewöhnlichen Werdegang. Im SPOX-Interview verrät der 49-Jährige, was er und Carlo Ancelotti gemeinsam haben, wie die Arbeit mit Sir Alex läuft und warum er seine Entlassung bei Union nicht wirklich nachvollziehen kann.

SPOX: Herr Düwel, seit Ihrer Entlassung bei Union Berlin im August 2015 waren Sie nicht mehr als Trainer aktiv. Verraten Sie doch mal, was Sie die letzten eineinhalb Jahre gemacht haben.

Norbert Düwel: Ich habe im In- und Ausland hospitiert. In Deutschland war ich beim HSV und bei RB Leipzig, im Ausland habe ich mich bei skandinavischen Vereinen umgeschaut, in Dänemark und Norwegen, aber auch in England, beispielsweise in der zweiten Liga bei den Queens Park Rangers. Ich war aber auch viel unterwegs, um mir Spiele anzugucken. Ich konnte neue Erfahrungen sammeln, weitere Aspekte dazugewinnen. Ich habe mich sozusagen fortgebildet. Mir war es wichtig, am Ball zu bleiben.

SPOX: Können Sie vielleicht mal genauer erläutern, wie so eine Hospitation abläuft?

Düwel: Das ist unterschiedlich. Es hängt immer davon ab, bei welchem Verein man sich gerade befindet und wie der Trainer und der Manager dem Thema gegenüberstehen. In der Regel bin ich immer eine Woche dabei, um mir einen Zyklus anzuschauen. Sprich: Wie läuft die Woche ab? Wie bereitet sich die Mannschaft, wie bereitet der Trainer die Mannschaft auf das anstehende Spiel vor? Ich mache mich auch vorher schlau und gucke, was mich interessiert, was ich wissen will. Das ist nicht immer nur die reine Trainingsarbeit, sondern zum Beispiel auch die Gegebenheiten. Bei RB Leipzig war das natürlich besonders beeindruckend mit der neuen Trainingsanlage.

SPOX: Haben Sie auch Anfragen von Vereinen bekommen? Als Chef- oder Co-Trainer?

Düwel: Natürlich gab es Anfragen. Meine gute Arbeit in Berlin ist nicht ganz verborgen geblieben. Es gab Anfragen aus dem In- und Ausland, aber nicht jeder Kontakt führt zum Abschluss. Es ist ein dummer Spruch, aber es muss passen. Man selber und der Verein haben gewisse Vorstellungen und wenn die nicht einigermaßen deckungsgleich sind, macht das auch keinen Sinn.

SPOX: Jetzt haben Sie unter anderem beim FC Bayern, auf Schalke, in Basel und bei Inter Mailand hospitiert. Was für Eindrücke konnten sie bei den unterschiedlichen Stationen gewinnen?

Düwel: Ich hatte das Glück, ganz beeindruckende Trainerpersönlichkeiten kennenzulernen. Bei den Bayern war ich im Rahmen meiner Fußballlehrer-Ausbildung zweimal über jeweils vier Wochen und durfte Ottmar Hitzfeld über die Schulter schauen. Bei Manchester United, wo ich später dann noch gearbeitet habe, habe ich auch die Gelegenheit genutzt, Sir Alex Ferguson bei der Arbeit zuzusehen. Das war unglaublich, weil er als Persönlichkeit beeindruckend ist. Anschließend war ich dann auf Schalke, da habe ich Mirko Slomka kennengelernt, mit dem ich später in Hannover zusammengearbeitet habe. Jede dieser Hospitationen hatte für sich einen speziellen Background. Bei Inter Mailand war Jose Mourinho gerade Trainer. Zu sehen, wie er mit den Spielern umgeht, war beeindruckend. Er hat einen unglaublichen Führungsstil. Die Spieler, die unter ihm ran durften, sind tatsächlich so etwas wie die Auserwählten, die für ihn vieles möglich machen und sich zerreißen.

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SPOX: Bei ManUnited waren Sie von 2008 bis 2010 als Scout tätig: Hatten Sie direkt Kontakt zu Sir Alex?

Düwel: Das hatte ich in der Tat. Ich habe nicht nur gescoutet, sondern auch die Champions-League-Gegner beobachtet. Da bin ich öfter mit Sir Alex direkt ins Gespräch gekommen, aber auch mit der gesamten Scouting-Abteilung. Dieser Klub ist zwar ein Riesenapparat, aber trotzdem steht der persönliche Kontakt immer an oberster Stelle. Ich habe mich immer, wenn ich mal wieder in Manchester war, auch mit Sir Alex getroffen und mich mit ihm ausgetauscht. Er ist eine unglaubliche Persönlichkeit.

SPOX: Also haben Sie immer noch Kontakte nach Manchester?

Düwel: Ja schon. Die sind zwar über die Jahre weniger geworden, aber es arbeiten immer noch viele dort, die bereits zu meiner Zeit da waren. Diese - Liebe würde ich nicht sagen - Begeisterung für den Verein ist immer noch sehr, sehr groß, weil es eine herausragende Geschichte dort war.

SPOX: Noch vorher waren Sie als Dozent an der TU München beschäftigt und haben sich währenddessen sogar als Autor versucht und zwei Bücher herausgebracht. Wie kam es dazu?

Düwel: Es ist so, dass es von der Uni immer ganz gerne gesehen wird, wenn man als Dozent in irgendeiner Art und Weise etwas veröffentlicht. (lacht) Dann wurde ich vom Verlag angefragt, ob ich nicht Lust hätte. Es war eine interessante und spannende Aufgabe, weil ich das vorher noch nie gemacht hatte und eigentlich auch nie damit gerechnet hätte, dass ich mal ein Buch schreibe. Das erste ("Richtig Frauenfußball", d. Red.) war dann ganz ordentlich und dann wurde ich eben gefragt, ob ich nicht nochmal Lust hätte. Dadurch ist dann das Kinderfußballbuch ("Dribbeln, passen, schießen - Profi-Tipps für Kids", d. Red.) entstanden.

SPOX: Und was bedeutet "Richtig Frauenfußball"?

Düwel: Nicht falsch verstehen, da gab es eine Reihe vom Verlag. Richtig Fußball war leider schon vergeben, (lacht) deswegen brauchte ich einen anderen Arbeitstitel. Ich behaupte nicht, dass ich allwissend bin, wie richtig Frauenfußball gespielt wird.

SPOX: An der Uni haben Sie außerdem die Studentinnen-Nationalmannschaft trainiert...

Düwel: Dazu kam ich ein bisschen wie die Jungfrau zum Kind. (lacht) Ehrlicherweise hatte ich darüber nie nachgedacht, aber es war sehr interessant. Wir hatten einmal eine Olympiade, also ein großes internationales Turnier, und waren dafür in Bangkok und in Belgrad. Das waren völlig neue Erfahrungen und deshalb sehr spannend.

SPOX: Und neben den Frauen haben Sie auch die Männer-Uni-Mannschaft trainiert. Ein Spieler war Manuel Baum, der jetzt Cheftrainer beim FC Augsburg ist. Standen Sie mit ihm zuletzt mal in Kontakt, oder haben ihm einen Ratschlag für die anstehende Aufgabe gegeben?

Düwel: Ich kenne ihn sehr gut, aber in der Situation, in der man zum Chefcoach ernannt wird, prasselt so viel auf einen ein, da hat man den Kopf voll und da muss ich mich nicht auch noch einmischen. Manchmal kommt es im Fußball ganz unverhofft, aber da kann meistens was richtig Gutes draus werden. Er macht beim FCA einen guten Job. Wie man hört, sind auch die Spieler sehr zufrieden. Natürlich wünsche ich ihm - gerade auch wegen der persönlichen Verbindung - für die Zukunft nur das Allerbeste.

SPOX: Wie haben Sie sich dann ihren Traum vom Profi-Fußball-Trainer erfüllt, nachdem es als Spieler "nur" für die Bayernliga gereicht hat?

Düwel: Es gehört immer das Quäntchen Glück dazu. Dass man zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist. Trotzdem ist totaler Fleiß nicht weniger wichtig. Ich habe während meiner Uni-Zeit die Fußballlehrer-Lizenz erworben, was mit sehr viel Stress verbunden war. Ich habe immer versucht, auch bevor ich noch nicht im Profi-Fußball war, Hospitationen zu bekommen, entsprechende Kontakte zu knüpfen, Networking zu betreiben und hart zu arbeiten. Auch einem Profi fliegt das nicht einfach zu.

SPOX: Nach Ihrer Zeit als Co-Trainer von Mirko Slomka bei Hannover 96 sind Sie 2014 Cheftrainer bei Union Berlin geworden. Wie blicken Sie auf die Zeit in der Hauptstadt zurück?

Düwel: Ich habe dort einen guten Job gemacht. Einen Großteil des aktuellen Kaders habe ich damals zusammengestellt. Ich war nicht nur Trainer, sondern in gewisser Weise auch Sportdirektor.

SPOX: Und dann war in der zweiten Spielzeit schon nach dem 5. Spieltag Schluss...

Düwel: Naja, das war so eine Sache... Ist es sinnvoll, einen Trainer nach fünf Spielen mit nur einer Niederlage zu entlassen? Es war so und damit muss ich in diesem Geschäft leben. Ich hätte das Projekt gerne weitergeführt, weil ich gemerkt habe, dass da was rauszuholen ist. Ich glaube weiterhin, dass wir an die Tür zur Bundesliga hätten anklopfen können. In diesem Jahr ist Union soweit und das ist auch schön. Die Jungs und die Leute, die jeden Tag alles für den Verein geben, haben das verdient.

SPOX: Also kein Groll gegen den Ex-Klub?

Düwel: Auf keinen Fall! Gut, der Zeitpunkt und die Art und Weise meiner Entlassung waren diskutabel. Vor allem, weil wir in der Vorsaison nach einem kompletten Umbruch und vielen Unwägbarkeiten einen herausragenden siebten Platz erreicht haben, der so nicht zu erwarten war. Wir hatten am Ende die jüngste Mannschaft der Vereinshistorie, viele wären mit dieser Platzierung am Ende sehr zufrieden gewesen. Dass es in der neuen Saison so schnell zu Ende ging, war schade. Ich war auch enttäuscht.

SPOX: In der Presse sorgten Sie auch mit der frühzeitigen Ausbootung von Klublegende Thorsten Mattuschka und der Mittelfinger-Affäre im Heimspiel gegen 1860 für Aufsehen. Könnten diese Themen am Ende vielleicht ausschlaggebend gewesen sein, gegen Sie zu argumentieren?

Düwel: Es gibt die reinen Fakten und die Außendarstellung. Die Aktion bei mir mit dem Mittelfinger basierte auf einer Provokation von der Tribüne, das war also nichts anderes als bei Carlo Ancelotti in Berlin. Aber das wurde aufgebauscht, sodass leider die Arbeit auf und neben dem Platz in ein anderes Licht gerückt wurde. Und ich habe Mattuschka nicht degradiert, das war ein ganz normaler Prozess. Ich habe befunden, dass er in dem Moment nicht gut genug war für die erste Elf. Wenn ich bei so etwas Rücksicht auf Namen nehme, mache ich mich unglaubwürdig. Wir hatten in dieser Saison aber auch mit heftigeren Problemen zu kämpfen.

SPOX: Sie sprechen die Krebserkrankung von Benjamin Köhler an.

Düwel: Das war das Schlimmste, was ich erlebt habe. Ein Spieler war wie aus dem Nichts plötzlich mit dieser schlimmen Diagnose konfrontiert. Wir waren paralysiert. Ich kann mich noch an die Reaktionen erinnern, als ich der Mannschaft die Nachricht beigebracht habe. Das war unfassbar, in ihre Gesichter zu sehen. Da fehlte uns plötzlich nicht nur einer unserer besten Spieler, sondern es war eine lange Zeit diese Ungewissheit, ob er wieder gesund wird oder nicht. Die spontane Aktion, als wir das Spiel gegen Bochum in der siebten Minute unterbrochen haben und das ganze Stadion sich für Benny erhoben hat, war so unglaublich emotional. Am Ende war es die totale Erleichterung und Freude, als wir hörten, dass er den Krebs besiegt hatte.

SPOX: Benjamin Köhler feierte schließlich sein Comeback. Sehen wir auch Sie in der nächsten Saison wieder auf der Trainerbank?

Düwel: Vielleicht auch schon eher. Sie wissen ja, wie es in diesem Geschäft laufen kann. (lacht) Es ist auf jeden Fall mein Ziel, wieder Cheftrainer zu sein, darauf habe ich Jahre lang hingearbeitet. Und ich habe bis jetzt in allen Bereichen gute Arbeit geleistet. Ich könnte mir aber auch vorstellen, in einem anderen Bereich im Verein tätig zu sein. Für mich ist es ganz wichtig, dass ich das Gefühl habe, wieder etwas bewegen zu können.

Norbert Düwel im Steckbrief