Als Ewald Lienen einst Trainer des FC St. Pauli wurde, waren die Temperaturen zwar kalt, aber immerhin die Worte warm. "St. Pauli ist eine der interessantesten Marken im deutschen Fußball und daher eine äußerst reizvolle Aufgabe für mich", lobte Lienen bei seiner Vorstellung und saß am folgenden Tag direkt zum ersten Mal auf der Trainerbank. Mit 13 Punkten war St. Pauli damals Tabellenletzter der 2. Liga und an einem nasskalten Dezembertag 2013 beim Tabellenführer FC Ingolstadt zu Gast.
Mit 1:2 verlor Lienens neue Mannschaft zwar, aber bald zeigte sich, dass es passt zwischen St. Pauli und Lienen. Trainer und Team lieferten und die Fans liebten den Trainer dafür genau wie für seine Art und seine Aussagen. Lienen führte St. Pauli zum Klassenerhalt und in der darauffolgenden Saison auf Rang vier. Als es dann in der neuen Spielzeit bedenklich kriselte, glaubte der Klub an seinen Trainer und der zahlte das Vertrauen zurück. Letztlich war St. Pauli drittbester Verein der Rückrunde und Lienen sagte: "Ich kann den Staffelstab guten Gewissens übergeben."
All das ist durchaus ungewöhnlich für den heutigen Profi-Fußball. Dass Lienen nach einer desaströsen Hinrunde nicht entlassen wurde und auch, dass er dann, als es lief, zurücktrat. "Dass Ewald Lienen die Größe besitzt, auf dem Höhepunkt einer Erfolgsgeschichte seinen Nachfolger mit auszuwählen und das Zepter zu übergeben, ist eine besondere Geschichte im Fußballgeschäft", weiß auch St. Paulis Präsident Oke Göttlich.
Olaf Janßen, der Neue, den Lienen mit auserwählte, ist eigentlich ein neuer Alter. Mit seinen 50 Jahren tritt Olaf Janßen erst seine zweite Anstellung als Profi-Trainer an, für St. Pauli war er schon seit vergangenem November als Co-Trainer tätig. Doch eigentlich war Janßen schon mehr als ein Co-Trainer, leitete er doch große Teile der alltäglichen Trainingsarbeit. Und nun leitet er eben auch die Kabinenansprachen und darf sich Cheftrainer nennen.
Sami, Aziz und das Geschenk
Für Göttlich war die Entscheidung für Janßen selbstverständlich. "Das fängt bei seinem Auftreten und seiner Ausstrahlung an", begann er kürzlich in der Morgenpost zu loben und fügte hinzu: "Er hat eine Präsenz, die vereinnahmend ist, die bei Spielern und nahen Mitarbeitern direkt eine Wirkung erzielt." Auch "inhaltlich und konzeptionell" sei Göttlich vollends von Janßen überzeugt.
Die Fans stört der Wechsel auf der Trainerbank auch nicht, sie empfingen den neuen Coach bei seinem ersten Heimspiel euphorisch. Es war nur ein Test gegen Werder Bremen, aber über 20.000 Fans kamen und sie begrüßten Janßen mit Applaus. Er selbst sprach von einem "tollen Gefühl" und kündigt durchaus glaubhaft an: "Ich denke, dass ich der Olaf Janßen sein und bleiben darf, der ich bin."
Das Team durfte derweil größtenteils das gleiche bleiben, das es in der erfolgreichen vergangenen Rückrunde war. Mit Sören Gonther ging zwar der Kapitän, aber der absolvierte in der vergangenen Saison ohnehin nur 22 Spiele. Der Rest blieb, etwa die zuletzt geliehenen Mats Möller Daehli und Cenk Sahin. Dazu kamen die ablösefreien Clemens Schoppenhauer (von den Würzburger Kickers) und Sami Allagui (von Hertha BSC).
Allagui bildet nun gemeinsam mit Aziz Bouhaddouz eines der vielversprechendsten Sturmduos der Liga, verantwortlich für die Einhaltung dieses Versprechens fühlt sich Allagui selbst: "Mein Job ist es, Aziz in Topform zu bringen und so einzusetzen, dass er viele Tore schießen kann."
Eingesetzt sollen sie auf dem Platz darüber hinaus auch von Möller Daehli werden, Janßen nennt den Offensivspieler ob seiner Fähigkeiten "ein Geschenk für jeden Trainer". Ein Geschenk wäre auch ein fitter Ryo Miyaichi, doch der 24-jährige Stürmer aus Japan riss sich zu Beginn der Vorbereitung das Kreuzband - und wird wohl große Teile der Saison verpassen. Ansonsten ist aber das ganze Team fit und gänzlich unverwundet. Durchaus erstaunlich bei einem Trainer, der über sich selbst sagt: "Wenn es um die Sache geht, dann werde ich - im positiven Sinne - zum Tier."
Janßen statt Lienen, Tier statt Typ
Nun sitzt also ein Tier auf der Trainerbank, ersetzt hat es den Typen - den "besten Typen der Saison 2016/17" sogar, zumindest wenn es nach einer Preisverleihung der 11Freunde geht. Von einem Gremium um Jupp Heynckes, Joachim Löw und Hans Meyer wurde Lienen gekürt. Als Typ bleibt Lienen St. Pauli auch erhalten, jedoch nicht vor, sondern hinter dem Scheinwerferlicht.
Technischer Direktor darf sich Lienen nun nennen, er soll die Ausbildung und Entwicklung der Trainer im Nachwuchsleistungszentrum verantworten - und sich um internationale Kooperationen kümmern. Vorrangig um die erste, die je ein deutscher Klub mit einem Premier-League-Verein eingegangen ist: St. Pauli und Stoke City wollen "intensiv" und "langfristig" zusammenarbeiten, wie die Klubs neulich vermeldeten.
"Wir versprechen uns im Sport einen Mehrwert durch Vorteile des weltweiten Scoutings von Stoke City, aber auch in Arbeitsweisen, Trainercoaching und Nachwuchsförderung", erklärte Geschäftsführer Andreas Rettig. Lienen soll "die Kooperation federführend mit Leben füllen". Auf dem Platz wird sie am 1. August erstmals mit Leben gefüllt, dann duellieren sich die beiden Teams freundschaftlich am Millerntor (18.30 Uhr, live auf DAZN).
Außerdem soll Lienen natürlich auch weiterhin die Verantwortlichen der Profi-Mannschaft beratend unterstützen. Neben Trainer Janßen also auch den designierten Sportdirektor Uwe Stöver, der den Dienst nach seinem freiwilligen Abschied vom 1. FC Kaiserslautern am 1. Oktober antreten wird, sowie Geschäftsführer Rettig.
Super-Team in keiner Super-Liga
Es ist ein Team hinter dem Team, das Präsident Göttlich vollends überzeugt: "Wir glauben, wir haben einen super Cheftrainer, einen super Sportdirektor und einen super Geschäftsleiter." Und noch verheißungsvoller macht all das die Tatsache, dass St. Pauli in der neuen Saison in keiner Super-Liga spielt. Jedenfalls im Vergleich zu den vergangenen Spielzeiten, als stets einer, wenn nicht sogar beide Aufstiegsplätze in der 2. Liga ob der finanziellen Mittel der Konkurrenten eigentlich schon vor dem Saisonstart vergeben waren.
Da waren zuletzt der VfB Stuttgart und Hannover 96, der SC Freiburg und RB Leipzig, davor die Hertha, der 1. FC Köln oder Eintracht Frankfurt. Nun tummelt sich kein einziger gefühlter Erstligist in der 2. Liga. Das macht den Wettbewerb zwar eng (Göttlich: "Man kann in dieser Liga nicht sinnvoll sagen, in welche Richtung es jetzt geht"), für einen Verein wie St. Pauli aber auch vielversprechend. Der Bundesliga-Aufstieg sei "ein großer Traum", erklärt Göttlich, und auch durchaus realistisch: "Wir glauben, dass der Kader eine sehr gute Rolle spielen kann."
Warme Worte sind das in einer warmen Jahreszeit. Es wäre nicht allzu abwegig, wenn sich diese Worte dann, wenn es wieder warm ist, bewahrheiten würden.