SPOX: Bochum gehört zu den Vereinen, die gewisse Probleme in Sachen Erwartungshaltung aus der Tradition heraus haben. Ist man dort unrealistisch überambitioniert?
Dutt: Man kann den Menschen keine Träumereien vorwerfen. Ein Verein muss das, was er vermitteln will, auch ausstrahlen und leben. Der Fußball hat sich dahingehend verändert, dass es nun neue Vereine unter den ersten 36 Mannschaften gibt, die automatisch den Platz von Traditionsvereinen sportlich streitig gemacht haben. Deshalb war es auch 2007 schon so klug vom Freiburger Präsidenten Achim Stocker zu sagen, man habe die Erwartung, dauerhaft zu den 25 besten Vereinen Deutschlands gehören.
SPOX: Weshalb?
Dutt: Die Traditionsvereine brauchen alle ihren Platz im heutigen Karussell. Sie sollten vor allem einen Anspruch an ihre Werte formulieren und die sportliche Zielsetzung in einen gewissen Rahmen packen, innerhalb dessen sie sich sportlich gut aufgehoben fühlen - weil eben durch die neuen Big Player ein paar Plätze weg sind, die für manche Vereine schlichtweg nicht mehr zu erreichen sind, ohne die eigenen Werte zu verkaufen. Das Interesse des VfL Bochum muss sein, dass weniger Geld in den Fußballmarkt fließt, denn dann hat die Ausbildung einen höheren Stellenwert - und wir eine größere Chance, um aufzuholen. Zusammengefasst heißt das: Wir müssen in Spannen denken, innerhalb derer wir uns sportlich sehen - bei Erhalt definierter Werte im gegenseitigen Umgang.
VfL Bochum: Die Platzierungen seit dem Bundesliga-Abstieg 2010
Saison | Tabellenplatz |
2016/2017 | 9 |
2015/2016 | 5 |
2014/2015 | 11 |
2013/2014 | 15 |
2012/2013 | 14 |
2011/2012 | 11 |
2010/2011 | 3 |
SPOX: Wäre es realistisch für Bochum, einen Platz in den Top 25 Deutschlands als Ziel zu formulieren?
Dutt: Es ist echt schwierig, aber die handelnden Personen müssen versuchen, sich ein Vertrauen zu erarbeiten, um über dieses Vertrauen gegenseitiges Gehör zu finden oder auch mal eine Krise gemeinsam durchzustehen. So könnte eine Stoßrichtung für den VfL entstehen, die sinngemäß in Stockers Richtung geht. Gegenseitiges Vertrauen aufzubauen halte ich grundsätzlich für einen guten Ansatz.
SPOX: Damit einhergeht wiederum die immer kürzere Halbwertszeit von Fußballtrainern.
Dutt: Dazu habe ich eine klare Position: Das schadet eindeutig der Qualität des Fußballs. Wenn Trainer konditioniert werden, nur noch in Etappen von zwölf oder 18 Monaten zu denken, dann wird es schwierig von ihnen zu verlangen, einen jungen Spieler für die nächsten zwei, drei Jahre aufzubauen. Warum sollte man das tun? Ein Trainer muss so aufstellen, dass er am Wochenende gewinnt. Es ist hervorragend, welche Trainertalente wir in Deutschland haben. Wenn davon aber zehn Stück in 24 Monaten verheizt werden und nur drei übrig bleiben, fehlt uns der Rest wieder in den NLZs, da die wenigsten dorthin zurückkehren möchten - und dann fehlt dort die Qualität.
Dutt über den größten Lerneffekt und die Stationen Freiburg, Bayer, Bremen
SPOX: Zumal man den Eindruck nicht von der Hand weisen kann, dass andere Nationen wieder näher herankommen.
Dutt: So ist es. Ich halte es für einen schlechten Witz, wenn man den deutschen Teams in der Europa League vorwirft, sie verlören - überspitzt gesagt - deshalb gegen ein norwegisches Team, weil der Gegner nicht attraktiv spiele oder man gar keine Lust habe. Sie verlieren deshalb, weil das norwegische Team inzwischen auch einfach gut ist. Momentan ist es mir zu viel, wenn die Diskussion in die Richtung geht, dass man mehr Qualität durch mehr Geld bekommt. Anstatt zu sagen: Mehr Qualität durch mehr Nachhaltigkeit. Und das geht nur durch Ausbildung, durch gute Trainer, sportkompetente Sportvorstände oder geduldige Präsidenten und Aufsichtsräte.
SPOX: Sie haben vor Ihrem Wiedereinstieg gesagt, dass es ein paar Dinge gäbe, die Ihnen nie wieder passieren dürfen. Welche sind das?
Dutt: Das sind Dinge, die Erfahrung ausmachen. Natürlich denke ich heute bei manchen Themen: Was hast du damals eigentlich im Kopf gehabt? Es muss aber auch weiterhin so sein, dass junge Trainer ein bisschen weniger nachdenken als ältere. Manche Dinge, die man als junger Trainer mit seinen Hörnern anstößt, gehen ja auch gut. Auf Bundesliganiveau kann es aber sein, dass von zehn Dingen neun gutgehen, wenn du dir beim zehnten aber das Horn zu arg anstößt, kann es dich herausspülen.
SPOX: Worin bestand bei Ihnen der größte Lerneffekt?
Dutt: Das Thema Mannschafts- und Menschenführung ist das wichtigste. Das hat letztlich nichts mit Fußball zu tun, sondern damit, dass man mit jedem Jahr als Mensch besser einzuschätzen weiß, wie differenziert man mit jedem einzelnen Menschen umgehen sollte - unabhängig von seinen eigenen Idealvorstellungen. Als junger Trainer denkt man oft: Die müssen es doch nur so machen, wie ich es sage, dann funktioniert es auch. (lacht)
SPOX: Als Sie als junger Trainer im höherklassigen Profibereich anfingen, wurden Sie in Freiburg der Nachfolger des langjährigen Trainers Volker Finke. Anschließend in Leverkusen folgten Sie auf Jupp Heynckes, in Bremen lösten Sie Thomas Schaaf ab. Einfacher wollten Sie es nicht haben?
Dutt: Mir fällt jetzt erst auf, dass es in Bochum nun erstmals anders war. (lacht) Das war natürlich jeweils brutal für mich. Zunächst einmal war es eine große Ehre, dass Vereine nach Finke, Heynckes und Schaaf auf mich kommen. Es war aber auch jedes Mal eine extrem große Bürde. Ich möchte nicht einen der Klubs und meine dortigen Erfahrungen missen.
SPOX: Wie blicken Sie zurück auf diese Stationen?
Dutt: Kurz gesagt: Freiburg lief top, Leverkusen nicht so gut, Bremen lag in der Mitte davon.
SPOX: Und lang gesagt?
Dutt: Auf Volker Finke zu folgen war schwierig, weil die Stadt zwischen totaler Verehrung und dem Wunsch nach Veränderung gespalten war. Entsprechend war auch der Zuspruch für mich anfangs gespalten. Das Erbe von Thomas Schaaf anzutreten war aufgrund der unglaublichen Ausstrahlung und der Art und Weise, wie er den Verein geprägt hat und geliebt wurde, ebenfalls alles andere als einfach. Dort konntest du machen, was du wolltest: Die Persönlichkeitsebene von Schaaf zu erreichen war schlicht nicht machbar. Sportlich haben wir in der ersten Saison unsere Ziele dennoch früh erreicht. Das Amt bei Bayer nach Heynckes war deshalb kompliziert, weil er eine Mannschaft aufgebaut hat, die am Ende seiner Amtszeit sicher auf dem Höhepunkt angekommen war. Er ging dann überraschend zu den Bayern, so dass der geplante Umbruch und meine Verpflichtung ein Jahr vorgezogen wurden und ich das alles gestalten musste. Da ich zuvor "nur" bei den Stuttgarter Kickers und in Freiburg gearbeitet hatte, fehlte mir schlicht noch ein wenig die Erfahrung, das große Paket Leverkusen zu stemmen.
SPOX: Trotz dieser Voraussetzungen spricht auch eine große Dankbarkeit aus Ihnen, oder?
Dutt: Selbstverständlich. Wie dankbar kann man eigentlich sein, wenn man diese Vereine in diesen Situationen von drei solchen Trainer-Ikonen übernehmen darf und dann auch noch dort herkommt, wo ich herkomme? Vieles von dem, was ich jetzt bin, bin ich durch diese Erfahrungen geworden.