Dutt setzte sich vor Saisonstart in der entspannten Atmosphäre des VfL-Trainingslagers in Weiler im Allgäu mit SPOX und Goal zusammen, um darüber zu sprechen, warum es Cheftrainer im Profibereich immer schwerer haben.
So entstand ein ausführliches, vielschichtiges Interview - über konditionierte Funktionäre, den zum Managerspiel verkommenden Fußball, die Funktion der Presse, den Trainer innerhalb eines Systems der Größenordnung FC Bayern und Dutts Fehler in Leverkusen.
Herzlichen Glückwunsch, Herr Dutt! 20 Trainer mussten während oder nach der vergangenen Zweitligasaison ihren Hut nehmen oder taten es freiwillig. In der Bundesliga waren es 16. Sie dagegen gehören zu den wenigen, die immer noch im Amt sind. Macht Sie diese Entwicklung dennoch traurig?
Robin Dutt: Ich halte vor allem die Konsequenz, die ich daraus ableite, für gravierend und verheerend.
Inwiefern?
Dutt: So lässt die Qualität im Fußball nach. Sie muss es zwangsläufig sogar. Man sollte sich wieder darauf besinnen, was ein Trainer überhaupt genau ist.
Was ist ein Trainer in Ihren Augen?
Dutt: Niemand, der kurzfristig eine Mannschaft aufstellt und sagt: Ihr elf spielt und das hier ist die Taktik. Ein Trainer ist jemand, der ein Team entwickelt, einen athletischen Plan mit den Spielern verfolgt und versucht, sie technisch-taktisch kontinuierlich weiterzubringen.
Hier kommt aber die Crux der Sache ins Spiel: Was Sie gerade beschrieben haben, braucht ja Zeit - und die bringen mittlerweile die wenigsten Vereine auf.
Dutt: Das stimmt. Es gibt Standorte, an denen die Trainer schneller kommen und gehen. Andere versuchen den Prozess, für den ein Trainer zuständig wäre, durch finanzielle Mittel auszugleichen. Das ist auch legitim, dann stellen sie dir eben einen fertigen Spieler hin. In der 2. Liga sind diese Mittel jedoch nicht da, manche Klubs zahlen parallel noch für zwei, drei Trainer Abfindungen. Das wären für einen Verein wie den VfL Bochum ein bis zwei Spieler, die man dann nicht verpflichten kann. All dies geht ganz klar zu Lasten der Qualität. Der Fußball wird einfach schlechter.
Gilt das Ihrer Ansicht nach exklusiv für die 2. Liga?
Dutt: Nein, das betrifft auch die Bundesliga. Gerade im internationalen Vergleich sehe ich Unterschiede in der Qualität und Attraktivität. Und es gilt auch für den Jugendbereich, wenn ich an die Europameisterschaften der U17 und U19 denke. Selbst in der A-Nationalmannschaft zeigte sich zuletzt, dass man nicht unendlich top ausgebildete Spieler nachschieben kann. Man sollte sich auch nicht vom EM-Finaleinzug der deutschen U21 blenden lassen. Denn in einem Land mit über 80 Millionen Einwohnern werden wir ja hoffentlich elf Spieler zusammenbringen, die in der Spitze mitspielen können.
Woran machen Sie es genau fest, dass der Fußball schlechter wird?
Dutt: Die technisch-taktische Qualität ist gesunken und wird weiter sinken, wenn man glaubt, dass Ballbesitzfußball out sein soll. Ballbesitzfußball kann nie out sein, denn es geht im Fußball immer um den Ball. Ich kann diskutieren, wie schnell der Ballbesitz sein muss, gerade wenn der Gegner ungeordnet ist oder wie schnell ich nach der Balleroberung umschalten soll. Nun aber zu denken, nur weil Frankreich mit wenig Ballbesitz Weltmeister geworden ist, das wäre es jetzt, ist genauso unsinnig, wie wenn man 2004 nach dem EM-Titel Griechenlands gesagt hätte, Manndeckung und Libero seien die Zukunft.
Heißt also?
Dutt: Die meisten europäischen Spitzenklubs, die den Ton vorgeben, haben eine hohe Qualität und Quantität an Ballbesitz. Was man dabei beherrschen muss, ist ein Positionsspiel, wenn der Gegner geordnet ist und ein vertikales Tempospiel, wenn der Gegner ungeordnet ist. Diese Unordnung besteht nicht nur bei der Balleroberung, sondern kann auch durch den eigenen Ballbesitz hergestellt werden. Einhergehend mit den ständig wechselnden Trainern kostet uns das viel Qualität, da man für diese komplexe Entwicklung keine Zeit hat. Man verbrennt somit viele Spieler, bläht Kader auf - und dadurch sinkt letztlich die Qualität.
Schon am Ende der letzten Saison, als 15 von 18 Zweitligatrainern entlassen waren, sagten Sie, die Fußballbranche würde nicht verstehen, "was es bedeutet, Trainer zu sein". Fehlt Ihnen in den entscheidenden Positionen die Fachkompetenz?
Dutt: Nein, jedenfalls nicht immer. Man muss nicht zwingend den Trainerjob an sich verstehen. Ich glaube, dass man einfach nicht mehr druckresistent ist und seine eigene Überzeugung schneller über Bord schmeißt. Wenn man Gefahr läuft, Ziele kurzfristig kippen zu müssen und der öffentliche Druck zu groß wird, gibt es mittlerweile deutlich weniger Menschen, die sich in den Wind stellen und sagen: Das hier ist unser Konzept und das ziehen wir auch durch. Das haben die großen Klub-Patriarchen, über die man auch immer etwas geschimpft hat, früher viel häufiger getan. Noch schlimmer finde ich, wenn viele junge Trainer verbrannt werden, die danach nicht mehr bereit sind, zurück in die Nachwuchsleistungszentren zu gehen. Dann fehlt auch dort die Qualität. Das sind in meinen Augen alles riesige Probleme, in der Summe wirkt vieles konzeptlos. Wenn man mehrere Trainer in einer Saison verschleißt und trotzdem absteigt, dann kann man dem zumindest nur schwer widersprechen.
Warum handeln Vereine in Krisenzeiten so selten azyklisch?
Dutt: Das ist ganz einfach: Die Funktionäre sind meist auch konditioniert. Wenn sie den Trainer oder einen Verantwortlichen entlassen, können sie ein paar Wochen durchatmen, weil dem öffentlichen Druck nachgegeben wurde. Eine kontinuierliche Entwicklung, die parallel zum nackten Ergebnis läuft, ist für sie häufig irgendwie fiktiv. Es geht aber nicht darum, dass man nach sechs Spielen wieder gewinnt, wenn man in einer Krise am Trainer festhält.
Sondern?
Dutt: Es geht darum, dass man die Fehler analysiert, die man im vorherigen Zyklus gemacht hat, um im nächsten Zyklus besser zu sein. Und der geht über mindestens zwei, drei Jahre. Diese Zyklen werden kaum noch irgendwo gelebt. Deshalb ist ein Verein wie der SC Freiburg so erfolgreich, da ist das gelebte Kultur. Wenn sie absteigen, bleibt alles genauso bestehen. Man setzt sich zusammen, analysiert die Fehler und packt es wieder an. Die Mehrzahl der Vereine setzt aber lieber den Trainer vor die Tür, es kommt der nächste und der macht dann halt andere Fehler.
Warum ist das so?
Dutt: Der Fußball ist zu einem Managerspiel geworden und der Beruf des Trainers hat in diesem Managerspiel weniger Wichtigkeit. Es ist mehr Geld drin, also meint man, man könne die Fehler durch Geld eher beheben. Doch das klappt bei einem Zweitligisten mit einem Etat zwischen zehn und 13 Millionen Euro im Leben nicht.
Also bei einem Klub wie dem VfL. Wie sähe ein fruchtbares Konzept für Vereine dieser Größenordnung Ihrer Ansicht nach aus?
Dutt: Die eigene Jugend, die eigene Entwicklung und die eigene Idee müssen im Vordergrund stehen. Dies, gepaart mit einem Sportdirektor und einem Cheftrainer, die das auf die Jugend ausgelegte Konzept mittragen und einen kontinuierlichen Weg gehen dürfen - alles andere ist bei Klubs dieser Größe in der Summe zum Scheitern verurteilt.
Den SC Freiburg nennen viele Vereine als Vorbild, doch warum schafft es kaum jemand, diesem Beispiel an Kontinuität und Ruhe zu folgen?
Dutt: Wenn andere Klubs lobend über Freiburg sprechen, dann wollen sie das Freiburger Ergebnis. Sie wollen aber nicht den Weg gehen, um dorthin zu gelangen. Dieses Ergebnis ist nämlich nicht vom Himmel gefallen, der Grundstein dafür wurde vor langer Zeit gelegt. Man hat eine Kultur aufgebaut, die auch die Fans mitnimmt, weil sie die Arbeit dort mittragen. Das an anderen Standorten nachzubauen, dieser Zug ist für die meisten Klubs abgefahren. Das ginge nur, wenn man Verantwortliche hat, die die Widerstände der Öffentlichkeit überwinden können - und zwar nicht über ein paar Spieltage hinweg, sondern über zwei, drei Jahre. An vielen Standorten kann der Druck von Fans und Öffentlichkeit jedoch so brutal werden, dass es beinahe einer Ausweglosigkeit gleichkommt.