Unabhängig vom Sportlichen war doch sicherlich das gesamte Turnier inklusive Vorbereitung ein Riesen-Erlebnis, oder?
Durm: Auf jeden Fall. Ich kannte die meisten Spieler nicht, hatte höchstens mal ein bis zwei Spiele gegen sie gemacht. Einen Schweinsteiger, Klose oder Özil hatte ich zuvor noch nie getroffen. Ich habe mich wie ein kleiner Junge gefühlt. Im Campo Bahia war ich bei Lahm, Müller, Hummels und Kramer in einem Haus. Ich habe auch nach der WM noch lange gebraucht, das alles zu verarbeiten. Ein Jahr zuvor hatte ich noch in der 3. Liga gekickt. Wer das nicht besonders findet, bei dem läuft etwas falsch.
Kommen wir zurück zum BVB: Nach den Meisterjahren zeigte die sportliche Kurve nach unten. Im April 2015 erklärte mit Klopp Ihr großer Förderer seinen Rücktritt. Wie erlebten Sie die Zeit?
Durm: Es war für uns alle ein Schock und wir waren am Boden zerstört. Ich habe - beim Friseur sitzend - zum ersten Mal im Internet vom Rücktritt erfahren. Wir wussten natürlich, dass der Saisonstart mies war, im Winter standen wir auf einem Abstiegsplatz. Wir spielten oft ordentlich, aber die Ergebnisse stimmten einfach nicht. Klopp war das Gesicht des Vereins, man fühlte sich als Spieler verantwortlich dafür, obwohl wir in der Rückrunde gezeigt haben, was wir können und wie sehr wir ihn als Trainer schätzen.
Kleinere und größere Verletzungen prägen Ihre Karriere. Eine Knie-OP kostete Sie die erste Hälfte der Saison 15/16, ein Jahr später mussten Sie sich erneut einem Eingriff am Knie unterziehen und waren erst Ende 2016 wieder einsatzfähig. Nachdem Sie im Saisonendspurt wieder meist fit waren und beim Pokalsieg gegen Frankfurt zum Einsatz kamen, fielen Sie in der kommenden Saison komplett aus. Wie schwierig war diese Zeit auch mental?
Durm: Verletzungen waren leider immer wieder ein Thema bei mir. In den letzten drei Jahren beim BVB war ich zwei Jahre verletzt. In der Saison 17/18 wurde ich zuerst an der Hüfte operiert. Ich kämpfte mich zurück, war fünf Tage im Training und habe mir dann die Bänder gerissen, weil ich auf einem Hütchen ausgerutscht bin. Die Verletzung wurde falsch behandelt, aus drei Wochen wurden fünf Monate. Da kam wirklich alles zusammen.
Tuchel: "Wir haben gefühlt jedes System gespielt"
Vor diesem Seuchenjahr baute Klopp-Nachfolger Thomas Tuchel eigentlich immer auf Sie, wenn Sie fit waren. Fühlten Sie sich besonders in dieser Phase so richtig in der Mannschaft angekommen? Tuchel schwärmte oft von Ihrer Vielseitigkeit.
Durm: Ich haben auf jeden Fall die Wertschätzung des Trainers gespürt, war aber nie so vermessen, dass ich gedacht habe, dass ich DER Spieler auf irgendeiner Position bin. In Dortmund kann man sich sowieso nie sicher sein. Durch die Verletzungen war es zudem schwierig, das Level immer zu halten. Im Nachhinein denkt man natürlich ab und zu daran, was ansonsten hätte sein können, aber das bringt nichts. Ich bin froh, wie alles gekommen ist, habe in dieser Zeit meine Frau kennengelernt und tolle Stationen hinter mir.
Wie stark war der Kontrast von Tuchel zu Klopp, was Ansprache und Trainingsmethodik angeht?
Durm: Taktisch war das unglaublich professionell, wir haben gefühlt jedes System gespielt, das es auf der Welt gibt. Als wir gegen Bayern und Pep Guardiola gespielt haben, haben sich die beiden alle zehn Minuten dabei übertroffen, andere taktische Anordnungen zu wählen. Er war sehr akribisch, hat einen sehr hohen Wert auf das Passspiel gelegt. Er hat versucht, neue Reize reinzubringen, erinnern kann ich mich an die Meditation mit der kompletten Mannschaft.
2018 haben Sie ein Jahr Erfahrung im Ausland gesammelt. Beim FC Huddersfield trafen Sie auf ihren Ex-Trainer Wagner. War er der Hauptgrund für den Wechsel?
Durm: Huddersfield kam definitiv nur wegen ihm infrage. Er war in meiner Anfangszeit in Dortmund wie ein Ziehpapa für mich. Nach all den Ausfällen beim BVB wollte ich einfach mal weg aus dem Umfeld, Wagner wollte mich unbedingt haben, ich habe blind zugesagt. Im Nachhinein war das Jahr vielleicht ein Fehler.
Obwohl Sie 28 Spiele gemacht haben?
Durm: Ich habe viel gespielt, das stimmt. Sportlich war es völlig in Ordnung, ein Jahr nach der Hüft-OP regelmäßig Spielpraxis zu bekommen. Aber der Abstieg war natürlich nicht schön, und das viele Alleinsein in einem fremden Land, gepaart mit dem schlechten Wetter, war schon sehr deprimierend. Durch diese Erfahrung wusste ich, dass ich die Nähe zur Heimat brauche, um in zwei oder drei Stunden jederzeit mal bei der Familie anklopfen zu können. Das hat mir extrem gefehlt. Auch im Falle des Klassenerhalts wäre ich wieder zurück nach Deutschland gegangen.