"Max Kruse? Es ist normal, gläsern zu sein" - Paderborns Geschäftsführer Sport Benjamin Weber im Interview

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13 Jahre lang hat Benjamin Weber vorrangig als Videoanalyst im Trainerteam von Thomas Tuchel gearbeitet und ihn auf all seinen Stationen begleitet: in Mainz und beim BVB sowie bei PSG und Chelsea. Im Januar 2023 wurde der 40-jährige Weber Geschäftsführer Sport beim SC Paderborn 07 in der 2. Liga.

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Im Interview mit SPOX und GOAL spricht Weber über das unerwartete Angebot aus Paderborn, den Transfer von Max Kruse und den Vorwurf der sexuellen Nötigung gegen SCP-Trainer Lukas Kwasniok.

Weber erzählt zudem von seiner frühzeitig gescheiterten Tennis-Karriere, dem Schlafmangel im Hamsterrad des Fußballs und erklärt, welcher Spieler ihn bislang am meisten beeindruckt hat.

Herr Weber, nach über 13 Jahren als Videoanalyst im Trainerteam von Thomas Tuchel sind Sie seit Anfang Januar Geschäftsführer Sport beim SC Paderborn 07. Wann genau reifte in Ihnen der Gedanke, sich einmal auf einem solchen Posten versuchen zu wollen?

Benjamin Weber: Das kam mit der Zeit, reifte aber wirklich lange. Ich habe in all den Jahren viele Vereine kennengelernt, auch die Wege zahlreicher Kollegen beobachtet und dazu meine eigenen Stärken widergespiegelt bekommen. So kam mir, dass da Potenziale vorhanden sind. Als mich die ersten Leute fragten, ob ich mir eine solche Position nicht vorstellen könnte, kam ich so ein bisschen auf den Trichter und habe mir Gedanken gemacht. Gerade in Paris und London merkte ich, dass ich schon viele Erfahrungen gesammelt habe und es möglich wäre, diese auch mit anderen zu teilen.

Sie sagten bei Ihrem Amtsantritt in Ostwestfalen, dass der Anruf aus Paderborn überraschend für Sie kam und ein paar Pläne durcheinander brachte. Welche waren das?

Weber: Wir wollten eigentlich in London bleiben, damit unsere Tochter das Schuljahr dort beendet. Doch dann kam der Anruf und ich war dafür offen genug, so dass etwaige Urlaubspläne geändert werden mussten.

Benjamin Weber ist seit Januar 2023 Geschäftsführer Sport beim SC Paderborn 07.
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War das Angebot aus Paderborn das erste, das Sie für eine solche Funktion bekommen haben?

Weber: Ja. Es gab vorher immer mal einen Austausch, aber kein konkretes Angebot wie in diesem Fall. Als ich den Hörer abnahm, wusste ich nicht, worum es gehen könnte. Vor unserem ersten Treffen fiel mir auch auf, dass ich noch nie in meinem Leben ein Vorstellungsgespräch hatte. Ich wollte es daher auch deshalb führen, um einmal zu fühlen, wie das ist und ob ich als Mensch und Typ ankomme. Scheinbar hat das ganz gut geklappt. Es hat mich gefreut, dass ich mich nicht verstellen oder irgendetwas erzählen musste, was ich nicht bin.

Wie konnte der SCP denn wissen, dass Sie für diese Position zu haben waren: Hatten Sie sich innerhalb der Branche entsprechend positioniert?

Weber: Nein. Wie das konkret bei Paderborn aussah, müssen Sie die Verantwortlichen fragen. Ich war in meiner Rolle ja nicht nur Videoanalyst, sondern auch immer an Transfers und der Kaderplanung beteiligt.

Welche Aufgaben hatten Sie mit der Zeit bei den verschiedenen Vereinen?

Weber: So wie sich die Strukturen der Klubs geändert haben, hat sich auch meine jeweilige Verantwortung geändert. Sich daran anzupassen ist etwas, das man extrem lernt. Dazu die beiden Sprachen zu erlernen oder zu verbessern, um auch in diesen Sprachen arbeiten zu können. Ich habe Personal geführt und auf verschiedene Weisen auf dem Transfermarkt agiert, da sich die Kaderstrukturen stets unterschieden. Es gab immer etwas Neues und es war stets eine Entwicklungsmöglichkeit für mich da.

Eine neue Herausforderung wäre es auch gewesen, wenn Sie einen ähnlichen Job wie zuletzt, aber in einem anderen Trainerteam angenommen hätten. Wieso hat Sie das nicht gereizt?

Weber: Das stimmt und wäre auch das Naheliegendste gewesen. Ich hatte aber das Gefühl, das beste Trainerteam um mich herum zu haben, das ich mir vorstellen konnte. Ich finde, dass das sehr einzigartig war und ich in dieser Rolle alles erreichen durfte, was man erreichen kann - deutlich mehr, als ich mir jemals erträumt habe.

Benjamin Weber zusammen mit Thomas Tuchel beim FC Chelsea.
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Sie kommen aus Schmitten im Taunus, was rund drei Stunden von Paderborn entfernt liegt. Zuvor lebten Sie über vier Jahre im Ausland. Was hat Ihnen in Paris und London am meisten gefehlt?

Weber: In erster Linie natürlich Familie und Freunde. Daher ist es schön, dass wir wieder leichter besucht werden können. Und, dass ich jetzt wieder häufiger an ein gutes deutsches Schwarzbrot komme. (lacht)

Kann man denn diese Metropolen überhaupt genießen, wenn man im Hamsterrad des Profifußballs steckt und fast immer jeden dritten Tag ein Spiel hat?

Weber: Sehr wenig. Wenn man abends ein Auswärtsspiel hat, erst nachts um drei im Bett liegt und am nächsten Morgen nach drei, vier Stunden Schlaf wieder zum Training muss, ist man oft ziemlich fertig und übermüdet. Wenn dann der Nachmittag frei ist, ist man einfach nur froh, noch einmal schlafen zu können. Und danach muss man sich schon um die Spielnach- und -vorbereitung kümmern. Das ist sehr anstrengend und es bleibt nur ganz wenig Zeit, um die Städte gemeinsam mit der Familie zu erleben.

Sie sagten einmal, Sie haben von Tuchel unter anderem gelernt, "Situationen in der Kabine" zu erkennen. Was heißt das genau?

Weber: Kabinen sind immer speziell, weil dort viele Charaktere auf engem Raum zusammentreffen. Das Entscheidende ist, dass ein Trainer erkennt, was eine Mannschaft braucht: Welche Art von Training, welche Art von Spiel? Auch bezogen auf den einzelnen Spieler: Braucht er ein Gespräch oder eine Ansage? Das ist eigentlich völlig unabhängig davon, in welcher Kabine man ist.

Es bestehen doch aber Unterschiede zwischen der Kabine bei PSG und der in Paderborn?

Weber: Natürlich. Die Varianz zwischen den Charakteren ist in Paris größer. Ein Spieler bei PSG ist als Gesamtpaket gesehen bestimmt mächtiger als ein Spieler in Paderborn. So wird es zumindest wahrgenommen. Ich persönlich will aber keinen Unterschied machen, ob einer Millionen verdient oder weniger. Das sind alles Menschen. Oftmals habe ich das Gefühl, dass diese vermeintlich schwierigen Kabinen nur deswegen so sind, weil wir sie als Gesellschaft dazu machen.

Benjamin Weber filmt das Training zu Zeiten beim 1. FSV Mainz 05.
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Welcher war für Sie fußballerisch der beeindruckendste Spieler auf Ihren bisherigen Stationen?

Weber: Marco Verratti. Die Art und Weise, wie er auf engem Raum Fußball spielt, wie er in jedem Spiel alles reinhaut - das zu sehen, hat mir großen Spaß gemacht. Es wird bei PSG immer über die anderen gesprochen, aber für mich ist er der heimliche Star.

Und welcher Spieler stach als Mensch für Sie heraus?

Weber: Bo Svensson. Weil er anders ist und anders denkt. Er schwimmt nicht mit dem Strom. Ich mag es, mich mit ihm über Fußball und auch über andere Themen zu unterhalten. Es ist immer ein Gewinn, mit ihm ein Gespräch zu führen.

Sie sind Inhaber einer Tennis- und Skilehrerlizenz. Ihr eigentlicher Plan war es lange Zeit, Tennisprofi zu werden. Bis zum Alter von 18 Jahren reisten Sie mit einem eigenen Team um die Welt und schafften es in der Weltrangliste bis auf Position 35 Ihres Jahrgangs. Wegen einer chronischen Entzündung der Bizepssehne mussten Sie jedoch aufhören. Wie hart war das für Sie?

Weber: Sehr hart, weil das natürlich auch alles viel Geld gekostet hat und meine Eltern viel dafür arbeiten mussten. Es war ein teurer Sport, auch wenn ich Unterstützung von Verbänden bekommen habe. Es hat mir deshalb auch aus diesem Aspekt sehr leidgetan, aufhören zu müssen.

Hatte sich die Verletzung denn angebahnt?

Weber: Ja. Zunächst bekam ich Probleme, Bälle über der Schulter zu spielen. Ich wurde dann viel behandelt und auch gut betreut. Dadurch, dass es damals Spielerverträge gab, konnte ich es mir aber nicht leisten und traute mich auch nicht, einmal eine Pause einzulegen. Das war wahrscheinlich der Fehler. Ich hätte wohl eine Operation in Kauf nehmen müssen.

Beim BVB gewann Benjamin Weber erstmals einen Titel: den DFB-Pokal 2017.
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Was denken Sie, wie weit Sie es hätten schaffen können?

Weber: Ich habe bei zwei, drei Turnieren ganz gut gespielt und mir dadurch diese Ranglistenposition erarbeitet. Ich muss jedoch ehrlich sagen: Ich glaube nicht, dass es bis nach ganz oben gegangen wäre.

Was war Ihr größter Erfolg?

Weber: Rein auf dem Papier wahrscheinlich die Ranglistenposition. Ich habe kleinere Turniere gewonnen, die aber nicht in die Zeitung gehörten. (lacht)

Apropos Erfolg: Dem SCP ist es in der vergangenen Saison gelungen, als Sechster mit 55 Punkten zum dritten Mal in Folge das Ergebnis des Vorjahres zu verbessern. Mit 29 Punkten seit Ihrem Amtsantritt hat man zudem die drittbeste Halbserie der Vereinsgeschichte in der 2. Liga hingelegt. Welches Saisonziel haben Sie für das kommende Jahr?

Weber: Wir wollen uns immer weiterentwickeln, ohne dass nur an einem Tabellenplatz festzumachen. Die 2. Liga wird extrem stark sein. Unser Kader soll stetig besser werden - durch Training, Neuzugänge und die Förderung der eigenen Jugend. Wir sind mit der U21 in die Regionalliga aufgestiegen. Sportlich gesehen ging es dem Verein selten besser wie aktuell.

Dann anders gefragt: Was muss passieren, damit Sie am Saisonende zufrieden sind?

Weber: Dass wir alle Mannschaften, die oben mitspielen, geärgert haben. Wir sind eindeutig der Verfolger der Spitzenteams, ich sehe uns in der Rolle des Jägers. Wir wollen wie bisher ein unangenehmer Gegner bleiben. Es soll niemand Lust haben, gegen uns zu spielen. Wir haben vielleicht nicht die meisten, aber sehr interessante Waffen. Die wollen wir gezielt einsetzen, um möglichst weit oben mit dabei zu sein.

Mit Max Kruse landete der SC Paderborn 07 einen Transfer-Coup.
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Einer Ihrer Neuzugänge ist der zuvor vereinslose Max Kruse. Wie kamen Sie auf ihn?

Weber: Wir haben uns mit Blick auf das Transferfenster die Frage gestellt, welche Charaktere, Spielertypen und Fähigkeiten wir im Kader benötigen. Mit der Erfahrung der vergangenen Saison im Hinterkopf war uns wichtig, den Paderborner Weg mit den Talenten und unserem jugendlichen Spielstil weiterzugehen, aber auch ein Stück weit mehr Reife hinzuzufügen. Das haben wir mit Max, aber auch mit David Kinsombi, Adriano Grimaldi und Visar Musliu getan.

Trainer Lukas Kwasniok sagte zuletzt, er habe anfangs, als der Name Kruse erstmals diskutiert wurde, gedacht: "Schöne Schnapsidee, er wird sicherlich nicht rangehen, wenn wir anrufen." Wie war denn Kruses erste Reaktion auf Ihren Anruf?

Weber: Ich hatte sofort das Gefühl, dass er unbedingt will. Man mag im ersten Moment vielleicht nicht glauben, dass die Stadt, der Verein, die Strahlkraft oder das Monetäre der Antrieb für ihn gewesen sind. Es war vielmehr ganz klar, dass Max bei uns das Sportliche und die Herausforderung gesehen hat. Das war uns, aber auch ihm wichtig. Dieser Impuls kam von Max, was ein großes Kompliment für uns ist. Wir haben uns zuletzt einen Namen gemacht, der für einen offensiven Spielstil steht und nicht nur, aber gerade Offensivspieler gerne bei uns sind.

Bei Kruse denkt man mittlerweile nicht mehr nur an einen genialen Fußballer, sondern auch an seine reichhaltigen Aktivitäten außerhalb des Platzes - sei es an Pokertischen, bei Streaming-Plattformen oder in zahlreichen Social-Media-Auftritten. Welchen Eindruck hatten Sie zuvor von ihm?

Weber: Wenn wir Spieler verpflichten, machen wir uns unser eigenes Bild und übernehmen nicht jenes, das andere vielleicht bereits gezeichnet haben. Entscheidend für uns ist, wie viel Lust und Hunger ein potenzieller Neuzugang hat. Es ist dann egal, ob der Spieler 18 Jahre alt oder über 30 ist. Max will hier etwas beweisen, sein eigener Antrieb stimmt absolut - und genau das brauchen wir: Spieler, die Probleme auf dem Platz selbst lösen und seltener abhängig vom Trainer sind.

Das Thema Social Media gehört zur heutigen Spielergeneration längst dazu. Was halten Sie grundsätzlich davon, wenn sich jemand so sehr der Öffentlichkeit preisgibt?

Weber: Das muss jeder selbst wissen. Ich finde, dass es in der heutigen Zeit normal ist, viel in den sozialen Medien zu teilen und etwas gläsern zu sein. Es gibt unterschiedliche Einstellungen dazu und ist gerade auch für jüngere Spieler ein Lernprozess. Wir bieten den weniger medienerfahrenen Spielern ein individuelles Coaching an. Am Ende müssen sie aber ihren eigenen Weg finden.

Lukas Kwasniok ist der Trainer des SC Paderborn.
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Kurz vor Ende der Vorsaison sorgte Trainer Kwasniok für Aufsehen, als er im Mai auf Mallorca vorübergehend in Gewahrsam genommen wurde. Weshalb das geschah, darüber machte der SCP wie auch Kwasnioks Anwältin bislang keine Angaben. Es steht jedoch der Vorwurf der sexuellen Nötigung im Raum. Warum reiste er überhaupt in dieser Saisonphase dorthin?

Weber: Unser Präsident Thomas Sagel hat wie Lukas bereits alles dazu gesagt. Bitte sehen Sie es mir nach, dass ich mich als Geschäftsführer Sport auf den sportlichen Teil fokussiere. Fakt ist, dass wir sehr positiv gestimmt sind, was die Saison zusammen mit Lukas betrifft.

Sagel sagte, man habe das laufende Verfahren im Blick und werde "gegebenenfalls auch angemessen reagieren". Heißt das, dass Sie parallel bereits nach möglichen Trainer-Kandidaten Ausschau halten?

Weber: Das ist Ihre Interpretation. Wir machen unseren Job ganz normal weiter und werden daran nichts verändern. Auch an meinem Verhältnis zu Lukas hat sich nichts geändert.

Nun sind Sie seit über einem halben Jahr in Ihrem neuen Amt. Ziehen Sie doch bitte einmal ein Zwischenfazit - hat Sie beispielsweise etwas überrascht?

Weber: Nein, das eigentlich nicht. Was mich positiv beeindruckt hat, war die Offenheit der Leute und dass sie sich gefreut haben, mich kennenzulernen. Es geht für mich jetzt viel mehr um das Führen von Personal, aber ich muss auch bereit sein, Verantwortung abzugeben. Ich habe vorab kein Buch über die Regeln von Menschenführung gelesen, sondern versuche das auf meine Art und Weise.

Was wäre, wenn Sie noch in Paderborn arbeiten würden und eines Tages einen Anruf von Tuchel erhielten, bei dem er Sie fragt, ob man nicht wieder zusammenarbeiten will?

Weber: Thomas hat ein sehr gutes und funktionierendes Trainerteam. Sie werden in dieser Konstellation sicherlich erfolgreich sein. Ich drücke ihnen beide Daumen.

Benjamin Weber: Die Stationen seiner Karriere im Überblick

ZeitraumVereinFunktion
2006-20151. FSV Mainz 05Videoanalyst
2011-20151. FSV Mainz 05Chefscout
2015-2017Borussia DortmundVideoanalyst
2018-2020Paris Saint-GermainVideoanalyst
2021-2022FC ChelseaVideoanalyst
seit 2023SC Paderborn 07Geschäftsführer Sport