"Ich bin ein Lebemann"

Florian Regelmann
14. Juli 201022:30
Marcel Siem qualifizierte sich zum ersten Mal in seiner Karriere für ein Major-TurnierGetty
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Marcel Siem spielt in dieser Woche bei den British Open in St. Andrews sein erstes Major der Karriere. Im SPOX-Interview spricht der 29-Jährige offen über den neuen Marcel Siem, seine Ausraster, Frust und seine Gang.

SPOX: Herr Siem, Sie sind in dieser Woche zum ersten Mal bei einem Major dabei. Der Weg dahin war aufregend. Einen Tag nachdem Sie in Wales einen bitteren Finaltag durchmachten, hat es in Sunningdale mit der Quali geklappt. Wie haben Sie den Quali-Tag erlebt?

Marcel Siem: Ich habe gleich mit einem Eagle am ersten Loch angefangen, das hilft einem natürlich und es hat sofort wieder Spaß gemacht. In der ersten Runde hätte ich locker acht unter Par spielen können, in der zweiten habe ich auf dem schwierigeren Kurs solide gespielt, aber ich bin sehr müde geworden. Ich hatte vier Wochen nacheinander durchgespielt, ich war platt. Nach einem Bogey an der 17 war ich ziemlich bedröppelt, aber als ich erfahren habe, dass es ein Stechen gibt, war ich mit einem Schlag wieder aufgepumpt.

SPOX: Ein Stechen mit fünf Leuten um einen Platz...

Siem: Ja, das hat mir einen Adrenalin-Schub gegeben, das war genau mein Ding. Und im Stechen habe ich sofort ein Eisen 4 aus 193 Metern an die Fahne gehauen und mir das Ticket geholt. Jeder hat gesagt, dass ich es verdient habe, weil es schade wäre, wenn ich immer nur auf die Mütze bekommen würde.

SPOX: Was meinen Sie damit, dass Sie ständig auf die Mütze bekommen?

Siem: Naja, es ist eben nicht immer nur Unvermögen, was alles auf dem Golfplatz so passiert. Klar ist auch ein Stück Unvermögen dabei, aber manchmal ist es auch 'Schicksal'. Wenn ich die 7 nehme, die ich in Wales an dem Par 3 gemacht habe, mal als Beispiel nehme. Das Eisen 7 ist sechs Meter rechts von der Fahne gestartet, eigentlich super, aber dann ist der Ball einen halben Meter zu kurz und rollt zurück ins Wasser. Das sind Nuancen, die den Unterschied machen. Zwei Meter weiter rechts, dann gewinne ich das Turnier vielleicht. Aber das ist Vergangenheit. Ich treffe die Kugel richtig gut im Moment und bin guter Dinge für die Zukunft. Klar will ich gewinnen, aber in erster Linie muss ich konstant vorne mitspielen, um in der Weltrangliste nach vorne zu kommen.

SPOX: Und dann geht es in Ihrem ersten Major gleich ins Home of Golf nach St. Andrews. Liegt Ihnen der Old Course?

Siem: Ich freue mich vor allem, ihn mal im Juni zu spielen und nicht wie bei der Dunhill Links bei zwei Grad. Ich bin kein besonders guter Kälte-Spieler, ich bin ein Gefühlsspieler und brauche meine Hände. Grundsätzlich liegt mir der Kurs schon. Die harten Grüns sind gut für mich, dazu hilft mir meine Carry-Länge bei den Drives, weil für mich fast keine Bunker im Spiel sind. Ich kenne die Wiese richtig gut und habe in St. Andrews auch schon gute Runden geschossen.

SPOX: Als Sie 2004 die Dunhill Championship gewonnen haben, dachte jeder, dass der große Durchbruch folgen würde. Aber mit Ausnahme des World-Cup-Triumphs an der Seite von Bernhard Langer ist kein Sieg mehr dazugekommen. Wie beurteilen Sie Ihre letzten sechs Jahre?

Siem: Ich hätte damals natürlich geglaubt, dass ich bis 2010 mehr Turniere gewinnen würde. Das ist nicht passiert, auch wenn es ja nicht so war, dass ich nicht daran geschnuppert hätte. In der Schweiz war ich beispielsweise mal Zweiter. Solche Resultate sind ganz wichtig, weil sie einen weiter glauben lassen, dass man gewinnen kann. Es gibt Spieler, die seit zehn Jahren auf der Tour sind und noch nicht einmal annähernd die Chance auf einen Sieg hatten.

SPOX: Warum glauben Sie, dass es bald mit einem Sieg klappen könnte?

Siem: Ich glaube, dass es bei mir einen kleinen Umbruch gegeben hat. Ich sehe die Dinge ein bisschen ernster als früher. Aber ich bin trotzdem so wie ich bin und das wird auch immer so bleiben. Ich bin schon ein Lebemann. Wenn es irgendwann zu Ende geht, werde ich nicht sagen müssen, dass ich das Leben nicht gelebt habe. Viele Leute bekommen ihre Midlife-Crisis, weil sie ihre Jugend nicht gelebt haben. Ich nicht. Das war für mein Golfspiel vielleicht nicht perfekt, aber im letzten halben Jahr hat sich meine Einstellung extrem geändert.

SPOX: Was genau hat sich geändert?

Siem: Ich trainiere einfach mehr, mache mehr Fitness. Das Training macht mir viel mehr Spaß als früher. Früher habe ich die Driving-Range gehasst. Ich bin da rumgestanden und fand es so langweilig. Bei den Turnieren habe ich immer viel trainiert, aber zuhause hat mich kaum einer auf der Range gesehen, weil ich immer sofort auf den Platz bin. Schlechte Bälle, schlechte Range, das hat mir nie Spaß gemacht. Inzwischen habe ich meine eigenen Bälle, die ich auch selbst einsammle, jetzt macht es viel mehr Bock. Dazu kommt, dass meine Freundin schwanger ist. Das lässt einen die Dinge sofort etwas ernster sehen, weil ich ein bisschen mehr Verantwortung trage. Ich bin insgesamt auf einem guten Weg, meine Turniersiege werden jetzt kommen.

SPOX: Aber es gab in den letzten Jahren sicher auch Momente, in denen der Frust riesengroß war, oder?

Siem: Definitiv. 2007 hatte ich ein schreckliches Jahr, in dem ich dann auch meine Karte verloren habe. Ich hatte meinen Schwung komplett umgestellt und das ist total nach hinten losgegangen. Es hat überhaupt keinen Spaß mehr gemacht. Ich habe Schläge gemacht und keine Ahnung gehabt, wo der Ball hingeht. Ein ekelhaftes Gefühl. Durch den Sieg beim World Cup 2006 hatte ich gutes Geld gemacht und mir zwischendurch echt mal gedacht, dass ich das Geld nehme und mir in der Karibik eine Bar kaufe. (lacht) Aber jeder Mensch hat in seinem Beruf mal Phasen, in denen er die Schnauze voll hat. Solche Phasen muss man einfach durchmachen. Ich liebe Golf und werde es auch immer lieben.

Teil 2: Marcel Siem über seinen Ausraster in Wales

SPOX: Um dauerhaft ein Siegspieler zu werden, müssen Sie sich sicher mental noch verbessern. In Wales hatten Sie zuletzt wieder einen Aussetzer, als Sie live im TV ausgerastet sind.

Siem: Das stimmt. Es ist eigentlich schon viel besser geworden bei mir, aber an der 16 in Wales ist es leider passiert. Die 9 von Wentworth, die 7 von Wales, dann noch ein Vierputt - da ist einfach alles, was ich vorher unterdrückt hatte, in mir hochgekommen. Ich dachte außerdem, dass die Kamera gar nicht drauf wäre, war sie aber dann doch. Das war nicht gut von mir und tut mir sehr leid, aber im Endeffekt ist es mir auch egal. Wenn sich die Leute darüber aufregen wollen, sollen sie das tun. Ich habe mit meinen Sponsoren darüber geredet, weil mir das wichtig war und sie haben gesagt, dass alles okay ist.

SPOX: Können Sie den Fans vielleicht erklären, was dann in Ihnen vorgeht?

Siem: Die Leute denken immer, dass alles so einfach ist. Es ist aber nicht einfach. Ob das im Golf oder in einem anderen Beruf ist: Wenn du auf den Punkt etwas hinkriegen oder einen Auftrag erfüllen musst und es nicht funktioniert, dann entsteht Frust. Und wenn es dann mehrere Male hintereinander nicht funktioniert und der Druck immer größer wird, kann so was mal passieren. Das hat man auch bei der Fußball-WM wieder bei so manchen Spielern gesehen. Klar gibt es Typen, die das auf dem Platz alles ausblenden können, aber ich will nicht wissen, was passiert, wenn die nach Hause kommen. Das ist bei mir nicht so. Wenn ich vom Platz komme, bin ich mit mir selbst im Reinen und kann die Leute gut behandeln. Trotzdem darf es natürlich nicht zu hart sein. Daran muss ich arbeiten, gerade wenn Kinder dabei sind.

SPOX: Da ist Ihnen ja auch schon mal ein schlimmer Vorfall passiert.

Siem: Beim Heim-Turnier in Köln habe ich mal meinen Driver über dem Knie zerbrochen, da haben sich die Kinder total erschreckt. Ich hatte gar nicht darüber nachgedacht. Ich hatte höchstens gedacht, dass sie es cool finden könnten, wenn da einer den Schläger zerbricht, aber sie haben sich echt brutal erschreckt. Ich hatte ein sehr schlechtes Gewissen und bin auch sofort hingegangen, um ihnen zu sagen, dass es mir leid tut und sie das bitte nicht nachmachen sollen.

SPOX: Sie feiern an Tag 1 der Open Ihren 30. Geburtstag. Was bedeutet Ihnen diese Marke?

Siem: Ich freue mich drauf. Es steht eine Drei davor, es ist kein Kindergeburtstag mehr und man kann nicht mehr machen, was man will. Wenn ich meine Gang anschaue, das hört sich vielleicht blöd an, aber wir sind schon seit Kindergarten- und Schulzeiten zusammen, dann merke ich auch, wie sich alles verändert. Dann gibt es da eine Schwangerschaft, hier ein neuer Job im Ausland. Es wird alles ruhiger. Wenn ich früher nach Hause gekommen bin, habe ich sofort alle zusammengetrommelt, um Party zu machen. Jetzt sind wir alle erwachsen geworden - und das ist gut für uns.

SPOX: Was sind Ihre konkreten Ziele, die Sie in Ihrer Karriere noch erreichen wollen?

Siem: Ich will in die Top 50 der Welt und ich will einige Jahre in den USA auf der Tour spielen. Das hört die European Tour nicht gerne, aber von der Spielweise liegt mir die US PGA Tour einfach besser. Und ich möchte jedes Jahr ein Turnier gewinnen - diesen Rhythmus hätte ich gerne. Und natürlich mal im Ryder Cup spielen. Das wäre das Allergrößte für mich.

SPOX: Sie sind jetzt schon bald zehn Jahre auf der Tour unterwegs. Was ist das schönste am Tour-Leben?

Siem: Wenn du gut spielst, ist es einfach geil. Dann bist du in Bali oder Dubai in den tollsten Hotels und dir geht es super. Aber wenn du schlecht spielst, dann nervt es richtig. Weil dann fliegst du Economy und denkst schon im Flugzeug die ganze Zeit: 'Ich muss gut spielen, ich muss gut spielen, ich wohne in einem miesen Hotel, ich muss gut spielen.' (lacht) Das macht keinen Spaß. Aber wie gesagt: Wenn es läuft, gibt es keinen schöneren Job als Golfprofi.

SPOX: Sie gehören zu den Spielern, die gerne selbst mit dem Auto zu den Turnieren fahren. Warum?

Siem: Für mich ist es wichtig, sich ein Stück heimisch zu fühlen auf der Tour. Im Auto geht das. Da kann ich meine Musik hören, ein Telefonat führen, oder auch rauchen. Das kann ich sonst nicht. Ich bin lieber viereinhalb Stunden im Auto, als am Flughafen den Stress zu haben mit einchecken, Gepäck und allem drum und dran, das nervt mich alles. Genauso übrigens wie Golf im Fernsehen zu schauen. Wenn ich das anschaue und dann nicht selbst mitspielen kann, dann krieg ich die Krise. (lacht)

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