Tiger Woods und die schlimmste Phase seiner Karriere
"In meiner schlimmsten Zeit musste mir sechs Monate lang jeden Morgen aus dem Bett geholfen werden. Und an manchen Tagen konnte ich selbst mit Hilfe nicht aufstehen. Entweder musste ich mich einfach auf den Boden fallen lassen, oder im Bett liegen bleiben."
Wir können alle nicht mal im Ansatz erahnen, was Tiger Woods körperlich in den letzten Jahren ertragen musste. Alleine von seinen Erzählungen schaudert es einen. Der Mann war fertig. Der Mann konnte nicht laufen. Kein normales Leben führen. Nicht mit seinen Kindern spielen. Beim Champions Dinner in Augusta vor zwei Jahren nur dank einer Spritze überhaupt irgendwie auf dem Stuhl sitzen.
Vier Knie-Operationen. Vier Rücken-Operationen. Erst eine Wirbelfusion sorgte letztlich für die erhoffte Linderung. Aber selbst danach war der Weg zurück so unendlich weit. Sein erster Schlag mit dem Driver flog 90 Yards. Und jetzt schwingt Woods wieder mit einer Geschwindigkeit und Power, dass er selbst nur staunen kann. Und gewinnt das Masters. Nachdem er Ende 2017 die Nummer 1199 der Welt war, ist er jetzt die Sechs. Und ein völlig anderer Tiger. Kein Roboter mehr, sondern jemand, der die Nähe der Fans sucht und High-Fives verteilt. Es ist mit Worten nicht wirklich zu beschreiben.
Tiger Woods und Michael Phelps
Jetzt kurz zum lässigsten Moment im ganzen Tiger-Wahnsinn. Tiger Woods hat gerade mit einem Birdie an der 15 die Führung übernommen und steht am 16. Tee. Sein Ziel: Einen ähnlichen Schlag fabrizieren wie Jack Nicklaus 1986 bei seinem letzten Masters-Titel und 18. Major-Sieg.
Woods zieht wie so häufig an diesem Tag das Eisen-8 aus der Tasche. Woods' Schlag landet an der perfekten Stelle auf dem Grün und rollt in Richtung Loch... Wir sehen, wie Tiger und die Fans hinter ihm den Ball gebannt verfolgen... come on... wird es das Hole-in-One? Nein, der Ball rollt knapp rechts vorbei und bleibt 50 Zentimeter vom Loch entfernt liegen. Woods flachst noch mit Caddie Joe Lacava ("Schau' Dir mal die Linie an") und locht zum entscheidenden Birdie.
Aber das Beste an der Geschichte: Die Kameras fangen Michael Phelps ein, wie er direkt hinter dem Abschlag in den Rängen steht und komplett in the zone ist. Steht da der 23-malige Olympiasieger und feuert Tiger an - sensationeller geht es nicht!
Tiger Woods und der Moment mit Charlie
Vor 22 Jahren gewann Tiger Woods zum ersten Mal das Masters und wurde am 18. Grün von seinem Vater empfangen. Von seinem Vater, der wegen Herzproblemen eigentlich gar nicht hätte da sein dürfen. Der aber dennoch in den Flieger stieg und seinem Sohn am Vorabend des Masters noch einen entscheidenden Putting-Unterricht gab.
Jetzt ist Vater Earl leider nicht mehr unter uns. Aber 22 Jahre später warteten nun Woods' Kinder Charlie (10) und Sam (11) auf ihren Vater. Auf ihren Dad, der für sie eine Art "YouTube-Golfer" und der Typ auf dem Cover des Computer-Spiels war. Seine großen Erfolge haben sie nicht miterlebt. Sie haben nur miterlebt, wie viele Schmerzen Golf ihm bereitet hat.
Und jetzt stehen sie da. Der Moment, wie Tiger Charlie vor Freude schreiend in die Arme rennt und ihn hochhebt... meine Güte... kann es jemals einen schöneren und rührenderen Sport-Moment geben? Nein, kann es nicht. Völlig unmöglich.
Tiger Woods: Golf is back!
Wir müssen Francesco Molinari danken. Denn lange sah es so aus, als würde Frankie seinem Status als seit einem Jahr heißester Spieler auf dem Planeten gerecht werden. "Wie soll man Molinari einholen, wenn der nie einen Fehler macht", fragte sich auch Tom Brady auf Twitter. Und Molinari machte keinen Fehler. Der Italiener lochte einen schwierigen Putt nach dem anderen. Zwischenzeitlich fragte man sich, wie viele Bogeys Molinari denn bitte in seiner ganzen Saison spielen will? Fünf?
Doch dann kamen die 12 und die 15 und der Mann, bei dem man es am wenigsten vermuten konnte, schlug zwei Bälle ins Wasser. Aus. Ende. Vorbei. "Ich habe mit den beiden Doppel-Bogeys wohl viele neue Freunde gewonnen", scherzte Molinari nach seiner Runde und zeigte einmal mehr, was für ein Weltklasse-Typ er doch ist.
Aber bei aller Liebe für Frankie müssen wir eingestehen: Für den Golfsport ist der Triumph von Tiger natürlich das Beste, was ihm passieren konnte. Tiger hat den Golfsport schon einmal für immer verändert und ist dafür verantwortlich, wie athletisch er geworden ist. "Früher waren Vijay (Singh) und ich die einzigen im Gym. Heute ist selbst Phil da", so Woods. Jetzt rückt der Sport dank ihm erneut in die vorderste Reihe der Öffentlichkeit.
Denn: Tiger ist Golf. Golf ist Tiger.
US Masters 2019: Das Endergebnis
Pl. | Spieler | Nation | Par | R1 | R2 | R3 | R4 | TOTAL |
1 | Tiger Woods | USA | -13 | 70 | 68 | 67 | 70 | 275 |
2 | Dustin Johnson | USA | -12 | 68 | 70 | 70 | 68 | 276 |
2 | Brooks Koepka | USA | -12 | 66 | 71 | 69 | 70 | 276 |
2 | Xander Schauffele | USA | -12 | 73 | 65 | 70 | 68 | 276 |
5 | Francesco Molinari | Italien | -11 | 70 | 67 | 66 | 74 | 277 |
5 | Jason Day | Australien | -11 | 70 | 67 | 73 | 67 | 277 |
5 | Webb Simpson | USA | -11 | 72 | 71 | 64 | 70 | 277 |
5 | Tony Finau | USA | -11 | 71 | 70 | 64 | 72 | 277 |
9 | Rickie Fowler | USA | -10 | 70 | 71 | 68 | 69 | 278 |
9 | Patrick Cantlay | USA | -10 | 73 | 73 | 64 | 68 | 278 |
9 | Jon Rahm | Spanien | -10 | 69 | 70 | 71 | 68 | 278 |
Tiger Woods und die Ganzkörper-Gänsehaut
Jetzt mal ganz im Ernst: Wenn innerhalb von wenigen Tagen Dirk Nowitzki seine letzten Spiele in der NBA absolviert und Tiger Woods das Masters gewinnt, dann müssen ja wohl wirklich alle Ganzkörper-Gäsenhaut-Rekorde gebrochen werden, die es so gibt. Leckomio.
Gänsehaut. Hühnerpelle. Piloerektion. Wie wir es auch nennen: In Kiel gibt es wohl ein Gäsenhautlabor, das genau untersucht, was sich im Körper eigentlich dabei tut. Diese Woche wäre eine gute Woche zum Testen gewesen.
Ja, wir wussten, dass Tiger ein Kandidat auf den Titel ist. Er hat nicht umsonst 2018 die Tour Championship gewonnen und war schon bei den letzten zwei Majors ganz vorne dabei. Aber ein Major ist etwas anderes. Dass er das tatsächlich noch einmal schafft, auf diese Art und Weise, wird für immer unvergessen bleiben.
Tiger hat zum ersten Mal ein Major gewonnen, bei dem er vor der Finalrunde nicht an der Spitze des Leaderboards gelegen ist. Nach Major Nummer 15 fehlen jetzt noch drei auf den Rekord von Jack Nicklaus. Was die Turniersiege insgesamt angeht, fehlt nur noch einer zum Rekord von Sam Snead (82).
Und nur mal so: Die nächsten beiden Majors finden in Bethpage Black und Pebble Beach statt. Richtig, auf beiden Plätzen hat Tiger schon Majors gewonnen... 85.000 Dollar hat einer in Las Vegas auf Tigers Sieg gesetzt und damit mehr als eine Million gewonnen. Mal abgesehen davon, wie geil es sein muss, mal eben 85.000 Dollar zu setzen, wird ein Tipp auf Tiger bei den nächsten Majors nicht mehr so viel bringen, das ist klar.
Puh, was für eine Woche. Das Par-10 muss sich jetzt erstmal erholen und geht mit Jason Day Luftballons aufblasen.