Liebe Handball-Fans,
ich bin zwar nicht mehr so angespannt wie vor meinem ersten Turnier, aber man merkt es nach all den Jahren natürlich immer noch, dass etwas Großes bevorsteht. Alles andere wäre ja auch schlimm. Anspannung ist auch das falsche Wort - Vorfreude trifft es besser. Ich freue mich einfach tierisch, dass es jetzt losgeht.
Am Mittwoch haben wir alle noch mal einen letzten Tag vom Bundestrainer frei bekommen und konnten noch einmal kurz zuhause vorbeischauen. Für die Singles hätte es das wohl nicht unbedingt gebraucht, aber für die Spieler mit Familie und Kindern war es sicher nett, dass sie ihre Lieben noch mal gesehen haben.
Ganz wichtig: Ich habe noch schnell einen Haufen DVDs in meinen Koffer gepackt. Ich bin gerade im "24"-Fieber, die komplette Staffel kommt mit nach Schweden. "Two and a Half Men" habe ich ebenfalls dabei. Ansonsten nichts Besonderes: Laptop, iPad, einen dicken Pulli für das kalte Schweden.
Wenn ihr mich fragt, wie die Stimmung im Team ist, dann kann ich nur sagen: wirklich ganz hervorragend. Wir hatten eine gute Vorbereitung in Ahrensburg und der Teamgeist ist vom Feinsten. Die zwei Niederlagen in Island hätten wir gerne vermieden, aber sie sind auch kein Beinbruch. Wir haben in beiden Spielen in einigen Phasen leichte Fehler gemacht, das wissen wir und das können wir korrigieren.
Das werden wir auch korrigieren müssen, denn unsere Vorrunden-Gruppe ist der absolute Hammer. Das sagt jeder und das ist eben auch einfach so.
Jetzt kommt Bahrain, das Spiel muss natürlich auch gewonnen werden. Und dann haben wir zwei Endspiele gegen Frankreich und Spanien, in denen sich entscheiden wird, was für uns möglich ist. Tunesien zum Abschluss der Vorrunde ist auch nicht einfach zu spielen. In dieser Gruppe haben wir wirklich alle Hände voll zu tun.
Für uns ist es wichtig, dass wir von Spiel zu Spiel schauen und unsere beste Leistung abrufen. Wenn wir das machen, können wir jeden schlagen. Wir müssen aber auch gegen vermeintliche Außenseiter hundertprozentig konzentriert und wachsam sein. Wenn wir nicht alles geben, wird es nicht reichen. Ich bin mir aber sicher, dass wir das mit einer guten Mannschaftsleistung hinbekommen werden.
Ich will an dieser Stelle ehrlich gesagt gar nicht irgendwelche hohen Ziele ausgeben - das haben wir in den letzten Jahren immer gemacht und sind nicht so gut damit gefahren. Wir wollen einen guten Start hinlegen und uns im weiteren Turnierverlauf immer weiter steigern, dann schauen wir mal, wie weit wir kommen.
Auch wenn wir eine schlechte EM gespielt haben, glaube ich nicht, dass wir eine Außenseiter-Rolle inne haben. Die Top-Teams wissen schon sehr genau, dass wir in der Lage sind, sie nicht nur zu ärgern, sondern auch zu schlagen. Wir stehen sicher nicht ganz oben im Favoriten-Ranking - das ist vielleicht gar nicht schlecht -, aber auf der Rechnung werden sie uns alle haben. Zumal wir zum ersten Mal seit langem ohne Verletzungsprobleme in ein Turnier gehen können.
Topfavorit bleiben für mich trotz der Ausfälle von Daniel Narcisse und Guillaume Gille die Franzosen. Die muss man schlagen, wenn man Weltmeister werden will. Danach kommen die Kroaten, Polen und Isländer - es sind die üblichen Verdächtigen. Was unseren Kader angeht, hat es viele überrascht, dass Toto Jansen nicht für die WM nominiert wurde. Sein WM-Aus hat die ganze Mannschaft natürlich auch überrascht. Aber es ist eine Entscheidung, die sich der Bundestrainer sicher nicht leicht gemacht hat und die es zu akzeptieren gilt.
Es ist nun mal unser Luxus-Problem in Deutschland, dass wir so viele überragende Linksaußen haben. Uwe Gensheimer hat es sich durch seine herausragenden Leistungen verdient, die Nummer eins auf dieser Position zu sein. Und dann hatte Heiner Brand die Wahl zwischen Toto und Dominik Klein. Schwierig. Toto kann auf der Halbposition sensationell decken, Dominik kann als Vorgezogener in einer 5:1-Deckung wichtig sein. Vielleicht hat am Ende auch die Jugend den Ausschlag gegeben, ich weiß es nicht.
Viele von euch werden es mitbekommen haben, dass wir in der Abwehr einige Sachen ausprobiert haben. Das mussten wir auch tun. Unsere Konkurrenten haben verschiedene Abwehrsysteme, nur wir haben im Prinzip immer 6-0 gespielt. Das hat zwar oft top funktioniert, aber ich bin davon überzeugt, dass uns die neue Variabilität weiterhelfen wird.
Ich denke, dass wir mit der 6-0-Abwehr starten werden, weil es unsere Stamm-Abwehr ist und bleibt, und dann schauen wir mal, wann es in welchen Situationen und gegen welche Gegner Sinn ergibt, die 5-1-Variante einzusetzen. Es kann zum Beispiel mal gut sein, wenn wir zwischen Abwehr und Angriff nicht wechseln müssen. Das wird sich alles zeigen.
Für mich macht es als Abwehrchef keinen großen Unterschied. Ich kann generell auch in einer 5-1-Deckung genauso gut in der Mitte stehen wie in der 6-0. Mein Job bleibt es, die Abwehr zusammenzuhalten.
Ich weiß, dass es eine Sportler-Floskel ist, aber es hilft nichts. Ich kann zum Schluss nur noch mal wiederholen, dass wir bei der WM von Spiel zu Spiel schauen müssen. Jeder weiß, dass Deutschland eine Turniermannschaft ist. Wir können auch ein schlechtes Spiel mal wegstecken und uns steigern, wenn es nötig ist. Kurzum: Wenn wir das umsetzen, was wir uns vorgenommen haben, bin ich guter Dinge, dass wir eine gute WM spielen werden.
Also: Drückt uns die Daumen!
Euer Oliver Roggisch
Oliver Roggisch, 32, spielt seit 2007 bei den Rhein-Neckar Löwen. Der 1,99 m große Kreisläufer und Abwehrspezialist startete seine Karriere beim TuS Schutterwald, bevor es ihn zu Frisch Auf Göppingen zog. Weitere Stationen waren TuSEM Essen und der SC Magdeburg. Mit der Nationalmannschaft wurde er 2007 Weltmeister. Mehr Infos zum SPOX-Kolumnisten gibt's unter http://www.oliver-roggisch.de/.
Uwe Gensheimer im Interview: "Ich stelle mich der Verantwortung"