Das Monster vom Balaton

Veszprem peilt in diesem Jahr den großen Coup an
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Am Samstag trifft der THW Kiel beim Final Four um die Champions League auf MKB Veszprem KC (18 Uhr im LIVE-TICKER). Der ungarische Spitzenklub ist das Lebenswerk eines von Angst getriebenen Mannes - und eine aberwitzige Erfolgsgeschichte. Ein Blick in die Handball-Hölle.

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Veszprem, ein 64.000-Einwohner-Städtchen nicht weit vom Balaton entfernt. Hier sind die Spuren des Mittelalters noch sichtbar. Burgen und Kirchen prägen das wunderschöne Bild der Universitätsstadt, ziehen Touristen und Studenten aus ganz Ungarn an.

Trotzdem geht es eher beschaulich, gemütlich, ja ruhig zu. Diese Ruhe weicht schlagartig einem Orkan, wenn MKB Veszprem KC spielt. Die Protagonisten sind sich einig: Veszprem ist eine der besten Handballstädte auf diesem Planeten.

"Ein Symbol mit einem fantastischen und positiv fanatischen Publikum", beschreibt Ungarns Handball-Idol Laszlo Nagy, der 2012 nach zwölf Jahren beim FC Barcelona in die Heimat zurückkehrte, die Bedeutung des Klubs gegenüber Handball Time.

Kretzschmar: "Es war die Hölle"

Das gilt freilich nicht für die Gegner. Ein Auswärtsspiel mutiert schon mal zum Spießrutenlauf. "Es war die Hölle", sagt Stefan Kretzschmar, wenn er auf das Hinspiel im Champions-League-Finale von 2002 angesprochen wird. "Wir brauchten in der Halbzeitpause erstmal fünf Minuten, bis sich unsere Gehörgänge wieder normalisierten und wir wieder unseren Trainer verstanden", ergänzt Steffen Stiebler.

Damals gastierten Kretzsche und Stiebler mit dem SC Magdeburg in der legendären Marcius 15. uti Sportcsarnok. Die Halle bot offiziell 1.800 Zuschauern Platz. In Veszprem schwören sie aber, dass sich teilweise 3.000 Fans in dem alten Kasten tummelten.

Der SCM verlor mit 21:23, drehte im Rückspiel aber auf (30:25) und sicherte sich die Trophäe. Veszprem kam dem Champions-League-Sieg nie zuvor und nie danach so nah, immerhin wurde drei weitere Male das Halbfinale erreicht.

Der Vater des Erfolgs

Es gab in der Geschichte viele große Klubs aus dem ehemaligen Ostblock. Viele verschwanden im Laufe der Zeit, manche etablierten sich im Kreis der Großen. Kaum einem Verein gelang dies aber so gut wie dem Stolz des ungarischen Handballs. Warum also ausgerechnet Veszprem?

Die Antwort: Csaba Hajnal. Er war 1977 Mitbegründer des Vereins und ist bis heute der starke Mann bei MKB Veszprem KC. Manager, Präsident - er ist ein Getriebener. Einer, der sich keine Verschnaufpausen gönnt, wenn es um seine große Leidenschaft geht. Eine Eigenschaft, die so etwas wie das Erfolgsgeheimnis ist.

"Um sportlich und wirtschaftlich erfolgreich zu sein, muss man immer in Bewegung bleiben. Man muss immer mit der Zeit gehen. Das haben wir hier relativ früh erkannt", erklärte er einmal der Handball Time: "Sicherlich hatten wir auch Glück, dass wir immer Sponsoren hatten, die unsere Ideen und die sportlichen Ziele unterstützt haben."

Eine beispiellose Titelsammlung

So wechselte der Verein - je nach Sponsor - im Laufe der Jahre mehrfach seinen Namen. Epitök, Bramac, Fotex. Nun also die Bank MKB. Hajnal baute sich über Jahrzehnte ein Netzwerk auf, das die Vorstellungskraft eines Normalo-Menschen übersteigt. Jedes ungarische Unternehmen das etwas auf sich hält, witzelt die Branche, engagiert sich in Veszprems Handball.

Trotzdem lebt Hajnal permanent in der Angst, mit dem Klub könnte es bergab gehen. "Ich würde gerne mit dem Geschäftsführer des FC Barcelona tauschen. Das hat aber weniger sportliche Gründe. Ich würde gerne für einen Tag das Gefühl erleben, dass man sich nicht um die Wirtschaftlichkeit seines Klubs sorgen muss", meint er. Womöglich eine leichte Übertreibung.

Fakt ist: An der Seite der potenten Geldgeber schrieb der Klub eine aberwitzige Erfolgsgeschichte. Am 19. Mai sicherte sich Veszprem die 23. Meisterschaft. Es war die Achte in Folge. Zur Titelsammlung gesellen sich 23 nationale Pokalsiege, zwei Mal gelang der Triumph im Europapokal der Pokalsieger.

Gratis-Baupläne für die Veszprem Arena

"Die Meisterschale und der Pokal sind in Veszprem Pflicht. Eine europäische Trophäe ist die Kür, denn sie bedeutet auch internationale Anerkennung", sagt Marko Vujin, der von 2007 bis 2012 in Veszprem spielte und mittlerweile beim THW unter Vertrag steht.

Um dauerhaft ganz oben mitzuspielen - so funktioniert das Geschäft - wurde die Marcius 15. uti Sportcsarnok 2008 in Rente geschickt. Der Klub bezog die gut 5.000 Zuschauer fassende Veszprem Arena. Die Baupläne bekam der Verein unglaublicherweise gratis. Die slowenischen Handball-Kumpels aus Celje waren dem Charme des kontaktfreudigen Hajnal offenbar verfallen und deshalb großzügig.

Seither herrscht Höllen-Atmosphäre leider meist nur noch in der Champions League. Zu den Ligaspielen gegen oft hoffnungslos unterlegene Gegner kommen mit Ausnahmen wie den Partien gegen Szeged lediglich 2.000 bis 3.000 Fans.

"Die größte Herausforderung des Jahres"

Die Erwartungshaltung ist gestiegen. Die Fans lechzen förmlich danach, ihre Helden endlich mit dem Pokal der Königsklasse in den Händen zu sehen. Im vergangenen Jahr gelang erstmals der Sprung zum Final Four nach Köln. Es setzte im Halbfinale eine 26:29-Niederlage gegen den THW Kiel.

Diesmal soll es besser laufen. "Auf uns wartet die größte Herausforderung des Jahres. Wir werden alles tun, um unsere Träume zu erfüllen", sagt Veszprems spanischer Trainer Antonio Carlos Ortega.

Die traditionell multikulturell und mit mehreren früheren THW-Spielern besetzte Truppe hat zweifellos das Zeug dazu. Neben Nagy stehen in Veszprem Akteure wie Tormaschine Momir Ilic (101 Treffer in der laufenden Saison in der Königsklasse), Kroatiens Nationalkeeper Mirko Alilovic, der schwedische Kreisläufer Andreas Nilsson, Christian Zeitz oder Spaniens Linksaußen Cristian Ugalde unter Vertrag.

Zur kommenden Saison zieht es auch Kiels Spielmacher Aron Palmarsson nach Ungarn.

Die Krönung eines Lebenswerks?

"Veszpem hat eine sehr eingespielte und erfahrene Mannschaft, die sich in dieser Saison weiter entwickelt hat", weiß Zebra-Coach Alfred Gislason. Veszprem überstand die Gruppenphase mit neun Siegen bei einer Niederlage, feuerte im Achtelfinale den spanischen Vertreter La Rioja aus der Halle und schaltete in der Runde der letzten Acht Millionen-Klub Paris aus.

Sollte nun der ganz große Coup gelingen, wäre es die Krönung von Hajnals Lebenswerk. "Mein Traum", meint der Veszprem-Boss und wird etwas pathetisch: "Er lebt in Köln."

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