"Kretzsche war da, seine Stimme nicht"

SPOX
31. August 201612:50
Markus Götz kommentiert den Handball Supercup und ausgewählte Bundesliga-Spiele live auf DAZNgetty
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Er hat über 500 Handball Spiele für Sport1 kommentiert, nun ist er auch für DAZN im Einsatz: Markus Götz. Vor dem Supercup zwischen den Rhein-Neckar Löwen und dem SC Magdeburg (ab 20.15 Uhr live auf DAZN und im LIVETICKER) spricht der 43-Jährige über den Experten Stefan Kretzschmar, Dr. Handball, seine persönliche Sternstunde und die anstehende Saison.

SPOX: Herr Götz, wie sind Sie eigentlich Handball-Kommentator geworden?

Markus Götz: Es war gerade kein anderer da. (lacht) Im Ernst: Das war 2003 und ich war bereits fünf Jahre beim damaligen DSF, wo ich auch schon als Live-Kommentator im Fußball-Bereich arbeitete. Piet Krebs, drei Mal deutscher Meister als Spieler mit TUSEM Essen, war damals als stellvertretender Chefredakteur unter anderem verantwortlich für den Bereich Handball. Ich sagte ihm: "Wenn du mal einen Handball-Kommentator brauchst, ich bin bereit." Eine Woche später war Supercup, Lemgo gegen Flensburg. Plötzlich saß ich da und habe kommentiert, mit dem damals verletzten Spieler Daniel Stephan als Experte an meiner Seite. Piet meinte nur lapidar: "Machst du das gut, bist du ab sofort Handball-Kommentator." Sechs Monate später fuhr ich zur Europameisterschaft nach Slowenien und "kommentierte" Deutschland zum Titel.

SPOX: Als Spieler wäre so ein Coup unmöglich gewesen, man sagt Ihnen eher überschaubares Talent nach.

Götz: Moment mal! In der Jugend sah es vielversprechend aus. Meine Position war der linke Rückraum. Die Entwicklung ging aber nicht wie erhofft weiter, woran selbstverständlich die Trainer schuld waren. (lacht) Meine Karriere bei den Aktiven war dann zugegebenermaßen kurz und beschränkt erfolgreich. Ich spielte bei der TSG Ehingen vor allem in der Landesliga. An Spielverständnis und Technik mangelte es nicht, aber Durchsetzungsvermögen, Kraft und Schnelligkeit reichten nicht für mehr. Mitte 20 war es dann schon vorbei, es ließ sich zeitlich einfach nicht mehr mit dem Job vereinbaren. Trotzdem kam der glanzvolle Höhepunkt der Laufbahn erst Jahre später.

SPOX: Erzählen Sie.

Götz: Es gab vor einem All-Star-Game - 2011 müsste das gewesen sein - ein Spiel für einen guten Zweck vor 7.000 Zuschauern in Leipzig. Ich spielte auf Halblinks zwischen Stefan Kretzschmar und Markus Baur. Wow! Ich erinnere mich noch genau an mein erstes Tor in diesem Spiel. Nach Pass von Kretzsche warf ich den Ball über den Block von Volker Zerbe hinweg an Hexer Andreas Thiel vorbei ins Tor. Damit war für mich klar: Das war es jetzt endgültig, mehr geht für mich nicht! Die Situation ist übrigens in Film und Bild festgehalten und deshalb nachweisbar.

SPOX: Wie fiel das anschließende Urteil der mitspielenden Prominenz aus?

Götz: Der Tenor war: Gar nicht mal sooo schlecht.

SPOX: Dennoch fühlen Sie sich auf dem Kommentatoren-Platz sicher besser aufgehoben als auf dem Spielfeld. Am Mittwoch beginnt die Saison mit dem Spiel um den Supercup zwischen den Löwen und Magdeburg, das Sport1 und DAZN gemeinsam übertragen. Sie als Stimme des Handballs werden zukünftig also auch bei der HBL auf DAZN zu hören sein. Was dürfen die Fans von Ihnen erwarten?

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Götz: Ganz einfach: Eine emotionale, leidenschaftliche Berichterstattung über tollen Sport. Die HBL ist ein Wettbewerb, der in dieser Sportart das höchstmögliche Niveau bietet. Ich hoffe wirklich, dass es der ein oder andere DAZN-Fußballfan wagt, mal beim Handball reinzuschauen. Ich würde mir sehr wünschen, dass endlich ein Ruck durch Deutschlands sportbegeisterte Bevölkerung geht und nicht immer nur der auch von mir heißbeliebte Fußball geschaut wird, sondern auch andere Sportarten. Ich kann jedem nur zurufen: Handball ist eine absolut geile Sportart!

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SPOX: Welchen Stellenwert hat denn der Supercup für die Teams so kurz vor dem HBL-Start?

Götz: Meine Erfahrung aus 13 Supercups sagt mir, dass es die Mannschaften zunächst ein wenig ruhiger angehen lassen, ehe es die letzten rund 15 Minuten richtig zur Sache geht. Da will dann doch plötzlich jeder gewinnen. Diesmal ist es aber vielleicht von Anfang an etwas intensiver, weil es sowohl für die Löwen als auch für Magdeburg definitiv etwas Besonderes ist, dabei zu sein. Außerdem gibt es die hoch interessante Konstellation, dass sich beide Teams drei Tage später schon wieder in der Liga begegnen (Sa., 3.9., 15 Uhr live auf DAZN, d. Red.). Die Fragen sind: Wollen beide Teams noch nicht zeigen, was sie drauf haben? Oder will man dem Gegner schon mal Respekt einflößen? SPOXspox

SPOX: Mit dabei wird jedenfalls Stefan Kretzschmar sein, der seit Jahren an Ihrer Seite zu hören ist. Was zeichnet Kretzsche als DEN Handball-Experten schlechthin aus?

Götz: Zunächst einmal sind das seine für Handball-Verhältnisse überragenden Bekanntheitswerte. Was das betrifft gibt es in Deutschland Kretzsche und dann lange Zeit nichts mehr. Egal wo er auftaucht, es erkennt ihn wirklich jeder. Und dann bietet Kretzsche als Experte einfach eine gute Mischung aus lockeren Sprüchen, guter Unterhaltung und Fachwissen. Er wirkt auf den ersten Blick ja gerne ein bisschen freaky. Man sollte aber nicht den Fehler machen, sein Handball-Wissen zu unterschätzen. Der Mann hat wirklich Ahnung, kann sich eloquent ausdrücken, ist dazu extrem gut vernetzt. Kretzsche bietet einfach die ideale Kombination für einen Experten.

SPOX: Sie haben Kretzsches 'freaky' Seite erwähnt. Gab es auch schon Situationen, in denen Sie an ihm verzweifelt sind wie so mancher Trainer früher?

Götz: Nicht wirklich. Natürlich ist Kretzsche ein lockerer Typ, der das Leben in vollen Zügen genießt. Aber er ist auch Profi und weiß schon, wann er zur Stelle sein muss. An eine witzige Situation kann ich mich aber doch erinnern: Er kam einmal direkt aus Mallorca zu einem Spiel in Hamburg eingeflogen und erschien gerade noch rechtzeitig zum Anpfiff. Was immer er in den Tagen zuvor getrieben hatte: Es tat seiner Stimme nicht gut. Er war während des Spiels kaum zu verstehen. Kretzsche war da, seine Stimme leider nicht.

SPOXspoxSPOX: Als weitere Experten sind zum Beispiel Dr. Rolf Brack, Christoph Theuerkauf und der bereits angesprochene Piet Krebs mit dabei. Was gibt es über die zu sagen?

Götz: Brack ist für mich Dr. Handball. Eine Trainerlegende und aktuell Chefausbilder der deutschen Coaches. Ein durch und durch außergewöhnlicher Trainer, der gleichzeitig ja auch an der Sporthochschule Stuttgart doziert. Dort hat er vormittags mit den Studenten taktische Dinge ausprobiert, die er abends im Training mit seinen Profis früher in Balingen geübt hat. Er war in vielen Bereichen wegweisend. Die Sache mit dem siebten Feldspieler hat Brack beispielsweise schon praktiziert, als es sonst noch keiner machte. Er gilt als manchmal komplizierte Persönlichkeit, wobei ich den Umgang mit ihm sehr schätze. Er sieht den Handball durch Augen, die ein Normalsterblicher nicht hat.

SPOX: Was ist mit Theuerkauf und Krebs?

Götz: Der ehemalige Nationalspieler Theuerkauf ist ein aufgewecktes Kerlchen. Er weiß sich zu artikulieren, hat den einen oder anderen Spruch auf den Lippen. Seine Frische wird den Handball-Übertragungen auf DAZN gut tun. Ich freue mich sehr auf sein Debüt am 3. September bei der Revanche zwischen den Löwen und dem SCM. Und was Krebs angeht: Man begegnet heute in den Hallen noch Leuten, die in den 80er Jahren gegen ihn gespielt haben, die bei seinem Anblick blass werden. Er gilt völlig zurecht als einer der härtesten Abwehrspieler in der Geschichte der HBL.

SPOX: Apropos Hallen der HBL. Sie waren ja überall mehrfach und können es beurteilen: Wo geht die Post am meisten ab?

Götz: Vorweg: Fast alle Hallen in der HBL sind top. Die Flensburger Halle mit ihrer Stehplatztribüne ist der Hammer. Durch sie wird ein ungewöhnlicher Druck auf den Gegner ausgeübt. Außerdem bin ich sehr gerne in der Max-Schmeling-Halle in Berlin, sieht man einmal vom dort ansässigen Hallen-DJ mit seiner Dezibel-Selbstverwirklichung ab, die mich jedes Mal wieder in den Wahnsinn treibt. Außerdem möchte ich noch Balingen nennen, wo das Flair ganz besonders ist. Und Magdeburg. In speziellen Spielen kann das Publikum dort eine unvergleichliche Hitze entwickeln.

SPOX: Auf diese Atmosphäre freuen wir uns auch auf DAZN. Warum wird die HBL-Saison 2016/2017 eine besondere?

Götz: Ein ganz wichtiger Punkt sind die Erfolge der Nationalmannschaft, die dem Handball in Deutschland generell helfen. Die Ticket-Verkäufe sind bereits nach dem EM-Titel super gelaufen, die Hallen waren voll. Jetzt kommt noch der Auftritt der Bad Boys bei Olympia mit der Bronzemedaille dazu. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wir bei den kommenden Turnieren immer vorne mit dabei sein werden. Das tut auch der HBL gut.

SPOX: Wer wird sich die Krone aufsetzen?

Götz: Ich gehe davon aus, dass sich die üblichen Verdächtigen ganz vorne tummeln werden. Das sind die Löwen, Kiel und Flensburg. Es gibt allerdings einige Aspekte, die eine gewisse Unberechenbarkeit reinbringen. Da wäre Olympia, was die Vorbereitung für manche Teams erschwert hat. Nehmen wir die Kieler: Der THW hatte neun Spieler in Rio und somit quasi keinerlei Vorbereitung. Dazu kommen die gravierenden Regeländerungen. Es wird sich zeigen, wer hierzu die besten Ideen hat. Und dann haben sich die Klubs unterschiedlich entwickelt. Kiel hat viele neue Spieler dazu geholt und einen riesigen Kader. Es wird womöglich eine Zeit lang dauern, bis jeder weiß, was seine Rolle ist.

SPOX: Was ist mit dem Titelverteidiger, den Rhein-Neckar Löwen?

Götz: Die Löwen müssen mit dem gleichen Thema wie schon in der vergangenen Saison umgehen. Der Kader ist hochklassig, aber schmal besetzt. Mit der Verletzung von Alexander Petersson, der sich einen Jochbeinbruch zugezogen hat, gibt es bereits das erste Problem. Eigentlich können die Löwen mit diesem kleinen Kader nicht durch alle Wettbewerbe durchkommen. Sie hatten vergangene Saison das große Glück, vom Verletzungspech größtenteils verschont geblieben zu sein. Dieser Faktor ist für mich erneut entscheidend. Bleiben die Löwen ohne große Verletzungssorgen, ist alles möglich. Kommt es anders, wird es schwierig.

SPOX: Die meisten Experten tippen derzeit auf Flensburg.

Götz: Ja, weil Flensburg die größte Konstanz in seinem Kader hat, eingespielt ist und eben auch eine breite Auswahl an Topspielern hat.

SPOX: Gibt es eine Mannschaft, die sich zu diesem Trio gesellen kann?

Götz: Berlin ist es vielleicht zuzutrauen. Die Füchse sind dank Neuzugang Steffen Fäth, dem nach seiner Verletzung wieder in Topform befindenden Paul Drux und der überragenden Entwicklung von Fabian Wiede hervorragend aufgestellt. Dazu kommen Petar Nenadic und Drago Vukovic, sowie zwei starke Torhüter. In Berlin ist alles vorhanden, um ganz vorne mitzuspielen. Nur von Trainer Erlingur Richardsson bin ich ehrlich gesagt noch nicht voll überzeugt. Aber auch Magdeburg und Melsungen muss man einiges zutrauen. Wir stehen meiner Meinung nach vor der spannendsten Saison seit vielen Jahren. Da alle drei Aufsteiger gut sind, wird auch der Abstiegskampf verdammt eng.

SPOX: Sie haben vorher bereits die neuen Regeln angesprochen. Was halten Sie persönlich davon?

Götz: Die Regel mit dem siebten Feldspieler hat die Trainer in Wallung gebracht. Die machen sich seit Monaten über nichts anderes mehr Gedanken. Ich bin nach jetzigem Stand nicht begeistert. Wenn wir wie bei Olympia in jedem Spiel drei oder vier Tore erleben, wo der Torwart den Ball über das gesamte Spielfeld hinweg in den Kasten wirft, dann hat das für mich nichts mit Handball zu tun. Wenn das so wie früher einmal passiert, dann ist das kurios. Aber permanent? Das brauche ich nicht! Auch die Regel, dass man für drei Angriffe aussetzen muss, wenn man sich behandeln lässt, bereitet mir Bauchschmerzen.

SPOX: Warum?

Götz: Es könnte zu absurden Szenarien kommen. Stellen wir uns folgendes vor: 57. Minute, Kiel gegen Löwen, es geht um alles. Domagoj Duvnjak tut sich unverschuldet weh, muss behandelt werden und es gibt keine progressive Bestrafung, er müsste also drei Angriffe aussetzen. Dann könnte er in der alles entscheidenden Phase nicht mitspielen. Das kann nicht im Sinne des Erfinders sein. Grundsätzlich bekomme ich von Leuten, die nur ab und zu Handball schauen, zu hören, dass das Regelwerk zu kompliziert ist und die Schiedsrichter einen zu großen Einfluss auf den Ausgang eines Spiels haben. Jetzt hat man die Regeln noch einmal verkompliziert, womit man den Schiedsrichtern ganz sicher keinen Gefallen getan hat. Das Ziel hätte sein müssen, es allen Beteiligten leichter zu machen. Ich habe nicht das Gefühl, dass das gelungen ist.

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