"Regeln? Eigentliches Problem nicht gelöst"

Dr. Rolf Brack begann seine Trainerkarriere 1983 beim TSV Zuffenhausen
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SPOX: Sie sagten einmal, man müsse für das Spiel mit einem zusätzlichen Feldspieler und ohne Torhüter auch psychisch gewappnet sein. Man dürfe gar nicht groß daran denken, keinen Torhüter im Kasten zu haben, sondern müsse den Angriff mit aller Konsequenz zu Ende spielen. Wie ist das gemeint?

Brack: Man kann nur mit einer Taktik erfolgreich sein, die von den Spielern angenommen wird. Wenn man schlechte Konzepte hat, deshalb keine Effektivität hat und ständig den Ball ins offene Tor bekommt, ist das für die Psyche schlecht. Ein Treffer ins leere Tor ist eigentlich mit -2 Toren zu bewerten. Wenn du als Gastmannschaft so einen Treffer kassierst, wirst du von den Heim-Fans verspottet. Passiert dir das in eigener Halle, sind die eigenen Zuschauer sauer auf dich, weil du so ein billiges Tor zugelassen hast. Und auch die Torwartposition wird durch das ständige rein- und rausrennen geschwächt, es entstehen zehn bis 20 Prozent Torwart-Qualitätsverlust. Gerade bei Torleuten, die zwischen 35 und 40 Jahre alt sind. Und das sind ja immer mehr. Ich wiederhole mich: Um mit einem zusätzlichen Feldspieler erfolgreich zu sein, braucht man ein gutes Konzept.

SPOX: Wird es ab sofort überhaupt noch Mannschaften geben, die auf die Möglichkeit des siebten Feldspielers verzichten?

Brack: Die absoluten Topteams wie die französische Nationalmannschaft werden größtenteils darauf verzichten. Wer Spieler wie Nikola Karabatic oder Daniel Narcisse in seinen Reihen hat, der ist auch im Sechs gegen Sechs erfolgreich. Bei den absoluten Topteams in der HBL wird es genauso sein. Die werden wohl nur im direkten Vergleich gegeneinander den siebten Feldspieler bringen. Wenn aber jetzt die Löwen gegen Balingen spielen und beide Teams bringen das auf die Platte, was vom Potenzial her da ist, dann werden die Löwen es nicht nötig haben. Balingen schon, wenn es eine Chance haben will. Das war ja bei mir früher immer das Motiv, es so zu machen. Um Spiele, die im Sechs gegen Sechs nicht zu gewinnen sind, über das Sieben gegen Sechs vielleicht zu gewinnen. Es geht darum, im Idealfall diese drei, vier oder fünf Tore besser zu sein, als es im Sechs gegen Sechs der Fall wäre. Der siebte Feldspieler ist im Normalfall etwas für Mannschaften aus der zweiten Tabellenhälfte.

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SPOX: Kommen wir zur Regel der letzten 30 Sekunden. Bei einem Foul beispielsweise an der Mittellinie, das sonst "nur" die Rote Karte nach sich zieht, gibt es in den letzten 30 Sekunden des Spiels Rot plus Siebenmeter. Zudem bei der sogenannten Behinderung eines formellen Wurfes. Für ein einfaches Klammern vor einem Freiwurf, der Behinderung beim Einwurf, des im Handball üblichen Wegstolpern des Balles gibt es also sofort Rot und Siebenmeter. Was halten Sie davon?

Brack: Da wird es Pfiffe der Schiedsrichter geben, die beim Publikum keinerlei Verständnis erfahren dürften. Es ist eine Verkomplizierung des Spiels. Und dadurch wird ein Spiel dann womöglich auch noch entschieden. Ich habe beispielsweise bei dieser Regel nicht den Eindruck, dass die Sache bis zum Ende durchdacht wurde. Vielleicht wurden nicht genügend Handball-Experten in den Prozess der Regelfindung eingebunden.

SPOX: Neu ist außerdem die Regelung, dass ein Spieler, wenn er sich auf dem Spielfeld behandeln lässt, für drei Angriffe draußen bleiben muss. Zumindest wenn der Schiedsrichter nicht gleichzeitig eine progressive Strafe, also eine Zwei-Minuten-Strafe oder eine Karte, gegen den Gegenspieler ausspricht.

Brack: Man will damit die Schauspielerei unterbinden. Ich denke, diese Regel wird nicht so massive Auswirkungen haben, das wird selten vorkommen. Natürlich ist aber auch das eine Verkomplizierung. Jemand muss aufpassen, wann denn die drei Angriffe durch sind, die Zuschauer verstehen teilweise nicht, warum der Spieler jetzt nicht mehr spielt. Vielleicht schleppen sich Spieler sogar zur Bank, obwohl sie verletzt sind, um der Drei-Angriffs-Strafe zu entgehen. Da könnten vielleicht sogar negative Folgen entstehen, was die Gesundheit betrifft. Ich habe, was die Schauspielerei angeht, keinen großen Handlungsdruck gesehen.

SPOX: Eine Änderung gibt es auch beim passiven Spiel. Wenn der Arm der Schiris hochgeht, bleiben noch sechs Pässe, ehe der Abschluss erfolgen muss. Auch bei einem Foul wird das Passkontingent nicht auf null gesetzt. Es sei denn, es wird beim sechsten Pass ein Foul begangen oder es gibt einen Einwurf. In dem Fall darf noch ein Pass gespielt werden, bevor der Wurf erfolgen muss. Das klingt schon wieder kompliziert.

Brack: Der Knackpunkt ist vor allem doch gar nicht, was nach dem Heben des Armes passiert, sondern wann der Arm gehoben wird. Und dieser riesige Ermessensspielraum ist nach wie vor ein Problem. Das, was dann nach dem Heben des Armes passiert, ist auch noch kompliziert. Stellen wir uns vor: Auftaktpass, einer geht Eins gegen Eins und holt einen Freiwurf raus. So ein Angriff kann also trotzdem noch lange dauern. Das eigentliche Problem ist nicht gelöst.