Zugegeben: Es hat etwas von einer Milchmädchenrechnung, ist nicht viel mehr als Spielerei. Gleichzeitig ist es ein Fakt - irgendwie jedenfalls. Wäre Katar wirklich Katar, dann hätte die Mannschaft aus dem Emirat am Persischen Golf bei dieser Weltmeisterschaft gerade einmal 36 Tore erzielt.
Lediglich acht der bisher 18 von Trainer Valero Rivera eingesetzten Spieler wurden im Wüstenstaat geboren, im Durchschnitt wurden bei den Welttitelkämpfen in Frankreich also in den ersten fünf Partien 4,5 Tore pro Spiel durch gebürtige Kataris erzielt.
Mit Abdulrazzaq Murad und Ahmad Madadi (beide jeweils 14 Treffer) spielen überhaupt nur zwei Männer aus dem Land mit der absoluten Monarchie eine erwähnenswerte Rolle im Team. Der Rest füllt Lücken, man muss den Kader ja irgendwie vollständig bekommen.
Erlebe die HBL Live und auf Abruf auf DAZN. Hol Dir jetzt Deinen Gratismonat
Stattdessen findet man im Aufgebot des Vizeweltmeisters von 2015 drei Syrer, zwei Ägypter, einen Tunesier, einen Spieler aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, einen Franzosen sowie die beiden verbliebenen Topstars, den kubanischen Rückraum-Shooter Rafael Capote und Weltklasse-Torhüter Danijel Saric, der aus Bosnien und Herzegowina stammt.
Brack-Kolumne: "Capote ist eine Maschine"
Hanning stichelt gegen Katar
Katar hat sich sozusagen staatlich organisiert ein gewisses Standing in der Handball-Welt erkauft. Wie ein reicher Verein bewegen die Araber seit einigen Jahren mit hunderttausenden von Dollar Spieler dazu, in die Wüste zu wechseln. Im Handball ist das möglich, weil man nach einer dreijährigen Pause für eine andere Nation auflaufen darf.
Dass die Kataris mit dieser Praxis zwar mitunter Erfolge, aber wenig Sympathien erwerben, versteht sich von selbst. Sie sind vielen in der Handball-Szene ein Dorn im Auge. Einer, der sich einen kleinen Seitenhieb häufiger nicht verkneifen kann, ist DHB-Vizepräsident Bob Hanning.
"Es ist etwas anderes, wenn man für sein Land spielt, als wenn man für ein Land spielt", sagte der Macher der Füchse Berlin auch vor dem insgesamt siebten Duell zwischen Deutschland und Katar: "Ich weiß gar nicht, ob die Kataris mehr als einen Spieler mit haben, der den Pass gebürtig hat. Dadurch sind wir im Vorteil."
Rätselraten um ferngebliebenes Trio
Mittlerweile wissen wir: Sogar acht Spieler sind in Frankreich dabei, die gebürtige Kataris sind. Dass es für katarische Verhältnisse so viele sind, liegt aber nicht etwa an einem Umdenken der Verantwortlichen, sondern schlichtweg daran, dass mehrere internationale Stars diesmal nicht dabei sind, die in der Vergangenheit das Trikot des Emirs getragen haben.
Dazu gehören Torwartlegende Goran Stojanovic, Zarko Markovic (beide Montenegro), der 2015 zweitbester WM-Torschütze war, und der spanische Kreisläufer Borja Vidal. Über die genauen Gründe haben die Kataris bisher geschwiegen.
Mal hört man, Rivera habe Markovic einfach nicht im Kader haben wollen, was aus rein sportlicher Sicht keinen Sinn ergäbe. Mal gibt es Gerüchte, das Trio hätte teilweise versprochenes Geld nicht erhalten und sei deshalb sauer. Mal ist von Verletzungen die Rede. Unter dem Strich bleibt: Nichts Genaues weiß man nicht.
Was ist geblieben vom Wüsten-Märchen?
Fakt ist: Die Wüsten-Handballer stecken seitdem aufgrund zahlreicher diskussionswürdiger Schiedsrichterentscheidungen ohnehin fragwürdigen Märchen von 2015, das erst mit der 22:25-Niederlage im Finale gegen Frankreich ein Ende fand, ein wenig im Treibsand fest.
Bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio gelang zum Auftakt ein großartiger 30:23-Sieg gegen Kroatien, später setzte es herbe Klatschen gegen Frankreich (20:35) und gegen Deutschland (22:34), was das Aus im Viertelfinale bedeutete.
Vor der WM in Frankreich sah es noch einmal deutlich schlechter aus. Katar, den amtierenden Vizeweltmeister, hatte nahezu kein Experte auf der Rechnung, wenn es um die Titelfavoriten ging.
Enttäuschende Auftritte in der Gruppenphase
Dabei hatte der Spanier Rivera, erfolgreichster Handball-Trainer aller Zeiten und für WM-Silber in Doha angeblich mit rund 1,8 Millionen Euro und einem Vertrag bis nach den Spielen 2020 in Tokio extra belohnt, noch angekündigt: "Wir wollen in Frankreich beweisen, dass unser Erfolg in Katar keine Eintagsfliege war. Wir wurden Achter bei Olympia und ein erneuter Viertelfinaleinzug wäre ein weiterer Beweis für unsere langfristige und nachhaltige Arbeit."
Davon ist bislang nicht sonderlich viel zu sehen. In der Vorrunde beeindruckte Katar niemanden, gewann lediglich gegen Bahrain (32:22) und Argentinien (21:17), verlor gegen Ägypten (20:22), Schweden (25:36) und Dänemark (29:32).
Weil das Valero-Team im letzten Gruppenspiel gegen die Dänen zwischenzeitlich mit 20:15 in Führung lag, war so mancher geneigt, einen Aufschwung erkannt zu haben. Dieser relativiert sich allerdings wieder, wenn man bedenkt, dass Dänemark beispielsweise gänzlich auf Niklas Landin und Mikkel Hansen verzichtete.
Eine extreme Vorbereitung
Trotzdem nimmt das DHB-Team die Kataris sehr ernst. Selbstredend verbietet es sich, einen Kontrahenten in einem WM-Achtelfinale zu unterschätzen. Während Bundestrainer Dagur Sigurdsson von einem "sehr unangenehmen Gegner" sprach, mutmaßte Torhüter Andreas Wolff: "Es erwartet uns eine Mannschaft, die vielleicht nur auf die K.o.-Runde gewartet hat, um ihren besten Handball zu spielen."
Gut vorbereitet sollten die Wüstensöhne eigentlich sein, denn genau hier liegt ihr Vorteil im Vergleich zu den europäischen Mannschaften. Außer Youssef Ali, der in Tunesien spielt, stehen sämtliche Spieler in Katar unter Vertrag. Rivera kann seine Truppe also mehr oder weniger so oft und so lange er möchte zusammentrommeln.
Diese Gelegenheit nutzte der Trainerfuchs selbstverständlich aus. Vor der WM weilten die Kataris für beinahe einen Monat in Riveras Heimatstadt Barcelona, um sich in eine perfekte Verfassung zu bringen.
Mit einem Sieg gegen Deutschland könnten sich Rivera und Katar mit einem Paukenschlag auf der großen Bühne zurückmelden - und die Kritiker könnten einpacken.
Die WM 2017 im Überblick