"Unser Team hat Weltklasseformat"

Von SPOX
Dr. Rolf Brack traut dem DHB-Team eine weitere Leistungssteigerung zu
© getty

Vor dem Achtelfinale der deutschen Mannschaft gegen Katar (So., 18 Uhr im LIVETICKER) wird es höchste Zeit für die zweite WM-Kolumne von Dr. Rolf Brack. Der langjährige HBL-Coach hält eine weitere Leistungssteigerung des DHB-Teams für wahrscheinlich, lobt Bundestrainer Dagur Sigurdsson, bemängelt das Spiel 7:6 und warnt vor den Kataris rund um "Maschine" Rafael Capote.

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Hallo Handball-Fans!

Die Nationalmannschaft hat die Gruppenphase ohne Punktverlust abgeschlossen. Vor allem nach dem überraschend klaren 28:21-Sieg gegen Mitfavorit Kroatien haben sich die optimistischen Prognosen bestätigt - unser Team hat Weltklasseformat.

Dabei sind die beiden potentiellen Stärken deutlich geworden, die ich bereits in meiner Kolumne im Vorfeld der WM herausgestellt hatte. Erstens das Coaching von Dagur Sigurdsson, zweitens der Kader an sich.

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In den bis Mitte der zweiten Halbzeit offenen Spielen gegen Ungarn und Kroatien hat der Bundestrainer sehr mutig und genau zum richtigen Zeitpunkt den siebten Feldspieler eingewechselt und damit einmal mehr seine überragende Qualität bewiesen.

Keine Varianten in der Angriffsauslösung

Auch wenn Julius Kühn als Auslösespieler beim Auftakt der Angriffskonzeption oder auch andere Akteure beim Weiterspielen nicht immer die richtige Entscheidung getroffen haben, war die Effektivität deutlich höher als zuvor im Spiel 6:6. Hier gilt es, die Überzahl mit mehr Geduld für den einfachen Wurf aus der Nahdistanz zu nutzen, anstatt den komplizierten Wurf mit zu viel Risiko aus dem Rückraum zu suchen.

Im Vergleich zu den Kroaten, die fast ausschließlich aus dem Rückraum den Abschluss gesucht haben, war das DHB-Team dennoch im Spiel 7:6 deutlich besser. Allerdings sind bei der deutschen Mannschaft bisher keine Varianten in der Angriffsauslösung und beim Weiterspielen im Spiel 7:6 zu sehen gewesen.

Hier sehe ich mittelfristig noch viel Luft nach oben. Dänemark dank Morten Olsen und Mazedonien mit Kiril Lazarov zeigten hierbei beispielsweise eine größere taktische Variabilität und Kreativität. Beide Mannschaften haben bei der WM in eigentlich schon verlorenen Spielen das Überzahlspiel 7:6 sehr erfolgreich angewendet.

Know-how im Anfängerstadium

Wenn man Chance und Risiko abwägt, spricht im Grunde auch fast alles dafür, das Spiel 7:6 zukünftig deutlich mehr anzuwenden. Achtet mal darauf, wie wenig Empty-Net-Tore im 6:6 ohne Torwart fallen!

Aktuell befindet sich das Know-how der meisten Trainer und Spieler noch im Anfängerstadium, dennoch deutet sich bei der WM ein Trend für die Zukunft an. Im 7:6 gibt es noch großes Entwicklungs- und Steigerungspotential, wenn sich die Trainer und Spieler mit mehr Mut zur Innovation damit mehr beschäftigen.

Eine Leistungssteigerung ist wahrscheinlich

Aber lasst mich zurück zur deutschen Mannschaft kommen, für die es mit der K.o.-Phase erst richtig losgeht. Mehrere Gründe machen eine weitere Leistungssteigerung wahrscheinlich.

Einer davon sind die Nachnominierungen von Holger Glandorf und Hendrik Pekeler, wodurch die Problematik mit Kai Häfner als bisher einzigem rechten Rückraumspieler und Patrick Wiencek, der als Mann für die Deckung und das Umschaltspiel so wichtig ist, gelöst ist. Für beide Positionen stehen nun hervorragende Alternativen bereit.

Mit Pekeler sowie dem bereits eingespielten Duo Wiencek und Finn Lemke verfügt Deutschland über den besten Mittelblock im gesamten Turnier. Gleiches gilt für das Torwart-Gespann Andreas Wolff und Silvio Heinevetter.

Groetzki und Fäth überraschen positiv

Im Rückraum sind dank Glandorf nun alle Positionen doppelt besetzt. Besonders gut gefällt mir Steffen Fäth, der nach einem Formtief in der Bundesliga-Hinrunde von Dagur Sigurdsson zum richtigen Zeitpunkt wieder stark gemacht wurde.

Über die Fähigkeiten von Uwe Gensheimer muss man ohnehin nicht viel sagen. Positiv überrascht bin ich bislang von Patrick Groetzki, der aktuell gegenüber Tobias Reichmann die Nase vorn hat. Im Vergleich zu den anderen Topteams verfügt das DHB-Team über die beste Konterachse und das beste Flügelspiel im Positionsangriff.

Nimmt man alle Faktoren zusammen, komme ich zu dem Ergebnis, dass die deutsche Mannschaft für die K.o.-Runde besser besetzt ist als beim EM-Titel in Polen und beim Gewinn der Bronzemedaille bei den Olympischen Spielen.

Capote ist eine Maschine

Dennoch darf man unseren Achtelfinal-Gegner Katar, bei dem die Handschrift des Toptrainers Valero Rivera deutlich zu erkennen ist, nicht unterschätzen. Obwohl Torhüter Goran Stojanovic und Zarko Markovic bei der WM nicht dabei sind, verfügt die Truppe aus dem Emirat über beachtliche Qualitäten.

Der linke Rückraumspieler Rafael Capote ist eine Maschine - und zwar nicht nur im Angriff, sondern auch in der Abwehr. Gemeinsam mit Hassan Mabrouk bildet er einen starken Mittelblock.

Außerdem hat mir bislang das Spiel über den Kreis gut gefallen. Beide Kreisläufer werden mitunter exzellent von Spielmacher Mahmoud Hassaballa bedient.

Klar ist aber, dass bei Katar alles mit Capote und Weltklasse-Torhüter Danijel Saric steht und fällt. Bekommt die deutsche Mannschaft diese beiden Faktoren in den Griff, wird der Einzug ins Viertelfinale womöglich sogar deutlich gelingen. Zumal die Kataris mit zunehmender Dauer eines Spiels Ermüdungsprobleme bekommen.

Ein Blick auf die Titelfavoriten

Es gibt bei dieser WM nur eine Mannschaft, die auch aufgrund des Heimvorteils etwas besser als das DHB-Team einzuschätzen ist - und das ist Frankreich. Stark in der Abwehr, stark im Konter und hohe individuelle Klasse auf allen Angriffspositionen. Leichte Schwächen sehe ich bei den Franzosen lediglich in der Grundanlage des Positionsangriffs. Hier wird zu viel gekreuzt, so dass sich alles auf zu engem Raum in der Mitte des Feldes abspielt.

Dahinter kommen für mich die Dänen mit ihrem breiten Kader, den starken Torhütern und dem tollen Umschaltspiel. Hinzu kommt wie bereits angesprochen das beste Spiel im 7:6 von allen Teams überhaupt.

Bei den Spaniern, die ich als vierte Kraft sehe, fehlt es an Qualität im Rückraum. Dafür verfügen die Iberer über eine sehr gute Abwehr, eine große Konterqualität, super Außenspieler und mit Julen Aguinagalde einen Weltklasse-Kreisläufer.

Zu den genannten Mannschaften kommt als mein Geheimfavorit nur noch Norwegen hinzu. Sie verfügen mit Sander Sagosen und Bjarte Myrhol über eine exzellente Mittelachse.

Bis zum nächsten Mal!

Euer Rolf Brack

Dr. Rolf Brack, geboren am 6. Dezember 1953, war als Trainer über 25 Jahre in der ersten und zweiten Liga aktiv und schaffte mit verschiedenen Klubs vier Aufstiege in die Bundesliga. Er coachte unter anderem von 2004 bis 2013 die Spielgemeinschaft HBW Balingen-Weilstetten und von 2013 bis 2016 das Nationalteam der Schweiz. Der Diplom-Sportwissenschaftler war lange Jahre mitverantwortlich für die Planung und Durchführung der A-Trainerausbildung des DHB, ist aktuell Lektor der EHF im Rahmen der Mastercoach-Ausbildung und im Hauptberuf Privatdozent am Sportinstitut der Universität Stuttgart. Als Spieler war Brack bei der SG Dietzenbach in der Bundesliga aktiv.

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