"Hitzfeld auch nicht der gewiefteste Taktiker"

Alfred Gislason ist einer der erfolgreichsten Handball-Trainer aller Zeiten
© getty
Cookie-Einstellungen

Beim THW Kiel gibt es zu viele Fragezeichen

Sascha Staat: Bei Kiel sehe ich tatsächlich mehr Frage- als Ausrufezeichen - auch abseits der Problematik um Domagoj Duvnjak, der zu Saisonbeginn verletzt ausfällt. Ich frage mich beispielsweise, ob sie in der Lage sind, die Qualität, die der THW zweifelsohne hat, endlich mal wieder auf die Platte zu bringen. In den vergangenen beiden Jahren hatten sie wie in diesem Jahr einen starken Kader, spielten aber weder einen schönen noch einen für ihre Ansprüche erfolgreichen Handball. Alfred Gislason hatte über viele Jahre hinweg damit Erfolg, eine Mannschaft voller Stars bei Laune zu halten. Ich vergleiche ihn deshalb gerne mit Ottmar Hitzfeld zu seinen Zeiten beim FC Bayern und in Dortmund. Hitzfeld war auch nicht der gewiefteste Taktiker, aber ein sehr guter Pädagoge. Diese Qualität sehe ich auch bei Gislason, das kann er überragend. Nun ist es aber so, dass Kiel zwar immer noch einen sehr starken Kader hat, aber eben nicht mehr so viel besser als der Rest der Liga besetzt ist. Nun geht es darum, jüngere Spieler auf das nächste Level zu heben. Und ich bin mir nicht sicher, ob Gislason - bei allem Respekt - dafür der richtige Trainer ist.

Felix Götz: Das Sommer-Theater um Andreas Wolff könnte Kiel während der Saison noch einmal beschäftigen. Ich glaube einfach, dass der Nationaltorhüter zu ehrgeizig ist, um mit seiner Unzufriedenheit - sollte sie denn wieder aufkommen - hinter dem Berg zu halten. Zum Thema Duvnjak kommt hinzu, dass auch bei Raul Santos, Steffen Weinhold, Patrick Wiencek, Rene Toft Hansen und Christian Dissinger die Gesundheit häufig ein schwieriges Thema war oder sogar ist. Trotzdem bleibt der THW für mich ein heißer Titelkandidat. Wolff und Niklas Landin sind unter normalen Umständen ein Wahnsinns-Duo zwischen den Pfosten, die Verpflichtung von Miha Zarabec garantiert den Zebras, die zuletzt so häufig vermisste Geschwindigkeit im Spiel zu haben. Und die Supertalente Lukas Nilsson und Nikola Bilyk werden den nächsten Schritt machen. Ich sag es mal so: Beim THW könnte es zu viele Fragezeichen geben, muss es aber nicht.

Henning Fritz: Wenn jeder seine Rolle kennt und damit zufrieden ist, dann kann man das Optimale aus einer Mannschaft herausholen. Es gibt aber den einen oder anderen Spieler, der eben nicht zu 100 Prozent zufrieden ist. Da spielt die Torhütersituation um Wolff und Landin eine wichtige Rolle. Zudem muss man sehen, wie Duvnjak nach seiner Verletzung zurückkommt. Zarabec halte ich auch für eine sehr gute Ergänzung, weil der eine ganz andere Spielweise hat. Die ist mehr darauf ausgelegt, für den linken und rechten Rückraum Lücken zu reißen. Dissinger arbeitet hart daran, nach seinen Verletzungen die Form von der EM 2016 wieder zu erreichen. Nilsson ist für mich der Spieler, der den größten Sprung machen kann, weil er einfach großes Talent besitzt. Bei ihm ist es eine Frage der Zeit, bis er das abrufen kann. Auch beim guten Bilyk muss man abwarten, wie er sich weiterentwickelt, um den hohen Ansprüchen, die beim THW gerade im linken Rückraum herrschen, gerecht zu werden. Im rechten Rückraum muss man sehen, ob der spielstarke Weinhold fit bleibt. Wobei Kiel hier mit Christian Zeitz hervorragend aufgestellt ist. Ihn kann man sich mit seiner Art, zielorientiert zu arbeiten, für jede Mannschaft nur wünschen. Und beim in der letzten Saison unter seinen Möglichkeiten gebliebenen Marko Vujin bin ich gespannt, inwiefern er von Zabarecs Spielweise profitieren kann. Er braucht einfach jemand, der ihn einbindet.

Daniel Stephan: Was Duvnjak betrifft, kann ich mich nur anschließen. Und: Ich denke auch, dass das Theater um Wolff während der Saison wieder aufkommen kann. Zumindest dann, wenn es sportlich mal nicht so laufen sollte. Denn Fakt ist ja: An der grundsätzlichen Situation hat sich nichts geändert. Er fühlt sich unterbezahlt, es ist aus seiner Sicht Pech, schon vor seiner überragenden EM in Polen beim THW unterschrieben zu haben. Aber er hat nun mal unterschrieben - so ist das Geschäft. Gislason hat wie jedes Jahr Druck. Die Kieler haben eine durchwachsene Saison hinter sich. Es waren Spiele dabei, in denen sie richtig enttäuscht haben - inklusive der relativ desolaten Schlussphase. Es gab aber auch Höhepunkte wie die Auftritte beim Final Four, als die den Pokal gewannen.