SPOX: Wie angesprochen kennen Sie es, wenn der Verein einem rät, auf Turniere mit der Nationalmannschaft zu verzichten. Das hat es in der Vergangenheit auch in Deutschland rund um DHB-Spieler gegeben. Zuletzt appellierte Kiels Trainer Alfred Gislason an seinen lange verletzten Star Domagoj Duvnjak, nicht für Kroatien bei der Heim-EM zu spielen. Haben Sie für solche Ratschläge grundsätzlich kein Verständnis?
Schwarzer: Bei Duvnjak ist es eine besondere Situation, weil er eine lang andauernde, komplizierte Verletzung gerade erst überstanden hat. Ich verstehe Alfred, dass er sagt: Mensch, überleg dir das zweimal. Aber es ist für ihn ein Turnier im eigenen Land, das kann er sich nicht entgehen lassen. Es ist doch so: Wenn man sich die Einschaltquoten im Handball außerhalb der Nationalmannschaft oder den absoluten Kracher-Partien anschaut, ist es teilweise erschreckend. Der Handball steht und fällt mit der Nationalmannschaft. Wenn Vereine ihren Spielern raten, nicht für die Nationalmannschaft zu spielen, kommt das irgendwann als Bumerang zurück. Sponsoren bemängeln, dass sie nicht mehr in den Medien präsent sind und so weiter. Die Vereinsverantwortlichen müssen ganz vorsichtig damit sein, Ihren Spielern solche Empfehlungen zu geben. Das schadet letztendlich dem Verein selbst.
SPOX: Glücklicherweise gibt es diese Probleme derzeit bei der deutschen Mannschaft nicht. Was trauen Sie dem DHB-Team bei der EM in Kroatien zu?
Schwarzer: Die Voraussetzungen haben sich im Vergleich zur EM in Polen verändert. Damals war die deutsche Mannschaft der Underdog, mit dem keiner gerechnet hat. Mittlerweile ist Deutschland wieder in der Weltspitze angekommen - trotz des frühen Ausscheidens bei der WM im vergangenen Jahr. Man geht als Mitfavorit ins Turnier.
SPOX: Anders als 2016 ist das DHB-Team bislang von größeren Verletzungen verschont geblieben.
Schwarzer: Genau, der Bundestrainer ist in der luxuriösen Situation, aus vielen sehr guten Spielern auswählen zu können. Meiner Meinung nach ist es völlig richtig, als Ziel die Titelverteidigung auszugeben.
SPOX: Hat das DHB-Team eine ganz besondere Stärke?
Schwarzer: Das Team an sich ist die große Stärke. Wir haben vielleicht nicht immer die allerbesten Einzelspieler, schaffen es aber doch häufig bei großen Turnieren, die beste Mannschaft auf die Platte zu bringen, in der jeder für den anderen alles gibt.
SPOX: Hat die Truppe auch eine auffällige Schwäche?
Schwarzer: Eine richtige Schwäche kann ich nicht feststellen. Es gibt einen Punkt, den man diskutieren kann - das Thema Führungsspieler und Hierarchie. Man hört häufig, dass es natürlich Uwe Gensheimer als Kapitän gibt, ansonsten aber keine oder vielleicht eine flache Hierarchie existiert, in der alle mehr oder weniger gleichgestellt sind. Das ist eine Philosophie-Frage, über die man sich im Sport immer streiten kann. Ist eine Hierarchie etwas Gutes, etwas Funktionierendes, oder eben nicht.
SPOX: Bei der EM in Polen hat es mit der flachen Hierarchie hervorragend geklappt, weil jeder Verantwortung übernommen hat. Bei der WM 2017 fehlte beim Aus im Achtelfinale gegen Katar dagegen jemand, der in der Lage war, die Sache in die Hand zu nehmen.
Schwarzer: So kann man das sehen. Das war ein sehr kompliziertes Spiel, in dem man vielleicht zwei, drei Spieler gut hätte gebrauchen können, die das Heft in die Hand nehmen. Das hat in Frankreich so ein bisschen gefehlt. Aber wie gesagt: Eine klare Hierarchie ist auch nicht grundsätzlich gut. Ich habe aber die Erfahrung gemacht, dass es sehr gut sein kann und man erfolgreich damit ist. Trotzdem muss jeder Trainer von Fall zu Fall sehen, wie er das innerhalb seiner Mannschaft handhabt.
SPOX: In Kroatien gibt es die ungewöhnliche Situation, dass ausgerechnet Bundestrainer Christian Prokop einer der wenigen in der deutschen Delegation ist, der noch nie ein großes Turnier mitgemacht hat. Sind Sie sich sicher, dass Prokop es trotzdem gut hinbekommen wird?
Schwarzer: Sicher wäre ich mir nur, wenn ich bereits Erfahrungswerte hätte. Christian Prokop hat Bundesliga-Erfahrung und dort mit einer jungen Leipziger Mannschaft hervorragende Arbeit geleistet. Eine EM ist aber etwas völlig anderes als Spiele in der Bundesliga. Die Belastungen sind in allen Bereichen viel größer. Deshalb könnte es eine kleine Gefahr darstellen, dass er diese internationalen Events nicht kennt. Allerdings hat er seine Arbeit meiner Meinung nach bisher gut gemacht.
SPOX: Sie wurden selbst immer wieder als Bundestrainer gehandelt. Glauben Sie, dass es irgendwann noch einmal dazu kommen kann?
Schwarzer: Das war zu Zeiten des alten Präsidiums um Uli Strombach. Es war so geplant, dass ich im Jugendbereich im DHB anfange und irgendwann, wenn Heiner aufhört, Bundestrainer werde. Es gab aber einen Wechsel im Präsidium und dort sind nun Leute, die mit Persönlichkeiten der Generation Heiner Brand ein Problem haben. Leider musste das auch Markus Baur bei der öffentlichen Suche nach einem Bundestrainer erfahren. Im Endeffekt wurden alle Personen ausgetauscht, die irgendetwas mit Heiner Brand zu tun hatten beziehungsweise ein gutes Verhältnis zu ihm haben. Momentan sehe ich für diese Leute keine Möglichkeit, beim DHB in eine Rolle zu kommen, in der eine eigene Meinung gefragt ist - denn die ist nicht gewollt.
SPOX: Sie selbst sind seit Ende 2015 nicht mehr beim DHB. Sind Sie deshalb noch sauer?
Schwarzer: Das war für mich anfangs sehr schwierig. Ich habe beim DHB sechseinhalb Jahre im Jugendbereich gearbeitet und das war so etwas wie mein Traumjob, denn ich durfte Spieler wie Julius Kühn, Jannik Kohlbacher, Finn Lemke, Fabian Wiede oder auch Yves Kunkel sichten und trainieren. Mittlerweile ist das aber abgehakt, ich bin sehr zufrieden mit dem, was ich jetzt mache. Ich bin Jugendkoordinator und Jugendtrainer beim saarländischen Handballverband, bin außerdem Markenbotschafter, führe Handballcamps durch, halte bei großen Firmen Vorträge zum Thema Motivation und Teambuilding. Es ist alles gut so, wie es aktuell ist.