319 Länderspiele auf dem Buckel, Welt- und Europameister geworden, die Silbermedaille bei den Olympischen Spielen 2004 gewonnen: Christian "Blacky" Schwarzer gehört zu den großen Legenden des deutschen Handballs. Im Interview mit SPOX spricht der 48-Jährige über das Wintermärchen 2007, heiße Duelle mit Stefan Kretzschmar, seine Freundschaft zu Dirk Nowitzki und die aufregende Zeit beim FC Barcelona. Außerdem schätzt der ehemalige Kreisläufer die Lage des DHB-Teams vor der EM in Kroatien ein.
SPOX: Herr Schwarzer, Ihr Name ist eng mit dem Wintermärchen 2007 verbunden. Es gab diesen unglaublichen Moment, als Sie nach zwei Partien als TV-Experte auf das Spielfeld zurückgekehrt sind und letztlich den WM-Titel im eigenen Land gewannen. Wie kam es eigentlich dazu, dass Sie plötzlich wieder im Kader standen?
Christian Schwarzer: Dazu gibt es eine kleine Vorgeschichte. Ich war schon Monate zuvor immer in Kontakt mit Heiner Brand. Irgendwann hat er mich gefragt, ob er mich trotz dreijähriger DHB-Abstinenz in den vorläufigen Kader aufnehmen kann. Dem habe ich natürlich zugestimmt, obwohl ich mir mit einem Kumpel im Januar 2007, also kurz vor WM-Start, mit einem Besuch in Dallas bei Dirk Nowitzki einen Traum erfüllen wollte. Am Vorabend des Abflugs klingelte mein Handy, auf dem Display stand der Name des Bundestrainers.
SPOX: Was geschah dann?
Schwarzer: Ich sagte zu meiner Frau: "Ich gehe nicht ans Telefon, ich will morgen früh nach Dallas." Sie erwiderte nur: "Geh jetzt ran, so schlimm wird es schon nicht sein." (lacht) Heiner berichtete mir von zwei verletzten Kreisläufern. Ich könne zwar fliegen, solle mich aber bereithalten, weil er womöglich handeln müsse.
SPOX: Bis zum WM-Start waren aber wieder alle Mann fit und Sie konnten Ihrem Job als Experte nachgehen.
Schwarzer: Richtig. Nach dem zweiten Spiel gegen Argentinien kam aber mein ZDF-Partner Yorck Polus auf mich zu und meinte: "Mensch Blacky, es hat Spaß mit dir gemacht. Aber für dich ist es jetzt vorbei." Ich wusste gar nicht, was der will. Er hatte aber aus der Kabine erfahren, dass sich Andrej Klimovets einen Muskelfaserriss zugezogen hatte und war sich nun sicher, mich am nächsten Tag auf dem Spielfeld zu sehen. Kurz nach 22 Uhr war ich zurück in Lemgo, da rief tatsächlich wieder Heiner an.
SPOX: Er hatte Sie bereits nachnominiert.
Schwarzer: Und zwar ohne mich zu informieren. Dafür hatten sie beim DHB keine Zeit mehr. Sie hatten nämlich um 21.50 Uhr festgestellt, dass die Nachnominierungsfrist schon um 22 Uhr endet und nicht wie angenommen um 10 Uhr am nächsten Tag. Es wurde also innerhalb von zehn Minuten ein schriftlicher Antrag bei der IHF eingereicht. Ich packte nach Heiners Anruf meine Tasche und war am nächsten Morgen zum Frühstück bei der Mannschaft im Hotel.
SPOX: Brand meinte später, er sei sich alles andere als sicher, ob Deutschland auch ohne Sie Weltmeister geworden wäre. Sie haben insgesamt eine besondere Beziehung zum früheren Bundestrainer.
Schwarzer: Dass er mich damals zurückgeholt und mir sofort wieder meine alte Stellung innerhalb der Mannschaft zugedacht hat, zeigt dieses Vertrauensverhältnis ja. Es war fast wie eine Vater-Sohn-Beziehung. Entsprechend leicht war es für mich, sofort wieder in diese Mannschaft hineinzufinden.
SPOX: Sie haben mit der Nationalmannschaft unfassbar viel erlebt. Ist der WM-Titel 2007 der Moment, der im persönlichen Ranking an erster Stelle steht?
Schwarzer: Meine Lieblingsmedaille ist - auch wenn es sich komisch anhört - die Silberne von den Olympischen Spielen in Athen. Olympische Spiele haben mich mein ganzes Leben fasziniert. Da einmal dabei zu sein, war mein allergrößter Traum. Dieses Feeling kann ich heute noch nicht in Worte fassen, wenn man mit Tausenden der besten Sportler der Welt auf engstem Raum in einem Dorf lebt. Ich durfte letztendlich vier Mal bei Olympia dabei sein und habe jetzt eben diese Silbermedaille zu Hause in meiner Vitrine. Das hat für mich einen unglaublich hohen Stellenwert.
SPOX: Besagte Medaille errangen Sie unter anderem mit Stefan Kretzschmar, mit dem Sie sich lange bei der Nationalmannschaft ein Zimmer teilten. Kretzsche meinte einmal, ihn habe Ihre stoische Ruhe fast wahnsinnig gemacht. Womit hat er Sie denn verrückt gemacht?
Schwarzer: Das hat er eigentlich nie geschafft. Heiner hat diese Kombi bewusst gewählt. Er wollte jemanden bei Kretzsche haben, der ihn bremst und im Zweifelsfall wieder auf den Boden zurückholt. Obwohl wir sehr unterschiedlich sind, hat das sehr gut gepasst, wir verstehen uns hervorragend. Allerdings gab es auch einige Tage, an denen Kretzsche kein Wort mehr mit mir gesprochen hat.
SPOX: Warum?
Schwarzer: Wir spielten häufiger Basketball gegeneinander - Eins-gegen-Eins. Dabei hat er oft bittere Niederlagen einstecken müssen und Kretzsche ist jemand, der sehr schlecht verlieren kann. Er jammerte ständig, ich wäre unfair und würde mit zu viel Körperkontakt spielen. Dann war er persönlich beleidigt, was sich nach einer gewissen Zeit aber wieder legte. (lacht)
SPOX: Wieder ein Beispiel dafür, dass Stefan Kretzschmar entgegen seinem Image ein eher sensibler Typ ist, oder?
Schwarzer: Es gibt ein Bild von Kretzsche, das er selbst - auch für die Medien - gepflegt hat. Hinter diesem Image konnte er sich so ein bisschen verstecken. Wenn man ihn aber wie ich über einen längeren Zeitraum kennengelernt hat, weiß man, dass er ganz anders ist. Er ist ein großes Sensibelchen.
SPOX: Sie haben vorhin Dirk Nowitzki, den Sie über Kretzsche kennengelernt haben, schon einmal angesprochen. Pflegen Sie nach wie vor eine Freundschaft zu ihm?
Schwarzer: Ich habe erst vor wenigen Wochen meinen Flug nach Dallas gebucht. Es sieht danach aus, als könnte es Dirks letzte Saison sein und ich will ihn unbedingt noch einmal spielen sehen. Im Sommer war ich bei seinem Benefiz-Fußballspiel dabei und habe das mit ihm abgemacht. Eigentlich wollten wir die Aktion 2017 starten, um genau zehn Jahre nach dem letzten Besuch sozusagen ein Jubiläum zu feiern. Das klappte leider nicht, weshalb ich nun Ende Januar mit einem Kumpel nach Dallas reise. In dieser Zeit bestreiten die Mavericks drei Heimspiele in fünf Tagen, die wir uns alle anschauen werden. Ich freue mich extrem drauf, Dirk zu besuchen.
SPOX: Nowitzkis großartige Karriere neigt sich wie angesprochen dem Ende entgegen. Welchen Status nimmt er für Sie im deutschen Sport ein?
Schwarzer: Dirk steht für mich auf einer Stufe mit Franz Beckenbauer und Boris Becker, also ganz oben. Man darf nicht vergessen, dass es für Dirk schwieriger als für andere in Deutschland war, weil er so weit weg ist. Trotzdem wirkt seine Strahlkraft immer noch über den großen Teich zu uns herüber. Ich bewundere ihn vor allem aufgrund seines Umgangs mit anderen Menschen, gerade auch mit Kindern. Er verwehrt keinem ein Foto, gibt jedem ein Autogramm, nimmt sich für alle Zeit. Er ist trotz seiner Stellung der Dirk Nowitzki geblieben, der er immer war. Das hat viel mit seinem familiären Hintergrund zu tun. Wer mit seinen Eltern spricht, weiß, wie viel Wert die immer darauf gelegt haben, dass sich ihr Sohn nicht in einen abgehobenen Star verwandelt. Er ist ein ganz normaler Typ geblieben. Wissen Sie, was mich noch fasziniert?
SPOX: Verraten Sie es uns.
Schwarzer: Dirk hat bekanntlich mehrfach auf Geld verzichtet, damit die Mavs bessere Spieler verpflichten konnten. Das ist im Sport nahezu einzigartig. Mir fällt jedenfalls kein einziger Sportler ein, der bereit gewesen wäre, so etwas zu tun.
SPOX: Lassen Sie uns über Ihre Zeit beim FC Barcelona sprechen. Sie gaben Ihr Bundesliga-Debüt beim VfL Fredenbeck, spielten anschließend acht Jahre beim TV Niederwürzbach, ehe es nach Spanien ging. Dabei hätten Sie Niederwürzbach eigentlich nie verlassen wollen.
Schwarzer: Ich hatte noch drei Jahre Vertrag in Niederwürzbach, wir hatten dort ein Haus gebaut und unser Sohn kam 1999 zur Welt. Plötzlich kam die Hiobsbotschaft, dass der an Land gezogene Sponsor nicht mehr zahlungsfähig sei. Dadurch ist das ganze Gebilde zusammengebrochen. Das kann sich heute keiner mehr vorstellen: Aber zu dieser Zeit spielte in Niederwürzbach das Who is Who des Welthandballs, beispielsweise Stefan Lövgren, Nedeljko Jovanovic oder Andrei Lavrov. Jedenfalls war kein Geld mehr da und der Klub am Ende. Aber wie es so ist, geht eine Tür zu, geht eine andere Tür auf. Ich erinnerte mich wieder an den Jugendtraum, mal in Spanien zu spielen. Deshalb hatte ich sogar in der Schule die Sprache gelernt. Und dann kam die Anfrage vom FC Barcelona.
SPOX: Aus dem beschaulichen Saarland in die Weltstadt Barcelona. Klingt nach einem Upgrade in Sachen Glamour.
Schwarzer: Das war sehr angenehm. Anstatt zwei Grad und Dauerregen hatten wir nun strahlend blauen Himmel und Sonnenschein. Und auch im Handball war es schon damals so in Barcelona, dass du quasi mit allem versorgt wurdest. Ich bin nicht mehr mit der Sporttasche ins Training gefahren, alles war schon da und wurde nach jeder Einheit für einen gewaschen. Das waren alles Annehmlichkeiten, die ich so nicht kannte. Es war für mich toll, Teil dieses großen Vereins zu sein, den Kontakt zu den Fußballern und den Basketballern zu haben. In Barcelona gibt es nicht Fußball, Basketball oder Handball - das ist einfach alles der FC Barcelona. Egal was gespielt wird, die Leute kommen und unterstützen ihren FC Barcelona.
SPOX: Wie dürfen wir uns den Kontakt zu den Fußballern vorstellen?
Schwarzer: Ab und zu sind wir sogar gemeinsam zu Auswärtsspielen geflogen, beispielsweise nach Gran Canaria. Luis Enrique habe ich öfters getroffen, weil dessen Sohn mit meinem Sohn in den gleichen Kinderhort ging. Ich traf den damals noch sehr jungen Carles Puyol, Xavi, Luis Figo und Pep Guardiola - das waren alles gute Typen. Ein etwas komisches Verhältnis gab es nur zu den Holländern, von denen damals acht oder neun Mann bei Barca spielten. Die bildeten ein wenig ein Grüppchen für sich.
SPOX: In Ihrem ersten Jahr in Barcelona spielten die Handballer die erfolgreichste Saison ihrer Geschichte und holten sieben Titel. Wie sah Ihre Rolle in dieser Startruppe aus?
Schwarzer: Ich hatte zwar bis dato noch nicht die ganz großen Titel gewonnen, war aber ein gestandener Nationalspieler. Ich wurde unfassbar gut in dieser Mannschaft aufgenommen. Spieler wie beispielsweise Tomas Svensson haben mir geholfen, auch was die Sprache anbelangt. Eingewöhnungsprobleme gab es nicht.
SPOX: Und die Fans haben Sie aufgrund Ihrer Spielweise schnell in ihr Herz geschlossen.
Schwarzer: Meine Art, mit höchstem körperlichen Einsatz zu spielen, kam gut an. Ich konnte mir recht schnell ein gutes Ansehen erarbeiten. Bei aller Bescheidenheit hatte ich schon den Eindruck, bei Fans und Mannschaft recht beliebt zu sein.
SPOX: Das zweite Jahr wurde allerdings mit drei Titeln zu einem "Misserfolg". Elf Spieler des FC Barcelona waren für die Nationalmannschaften im Einsatz, was sich aufgrund von Überbelastung und Verletzungen negativ auf den Verein auswirkte. Trainer Valero Rivera wollte Ihnen deshalb verbieten, für Deutschland zu spielen.
Schwarzer: Wir wurden Vizemeister hinter Ademar Leon und verloren das Champions-League-Endspiel gegen Portland San Antonio. Das hat dem Trainer überhaupt nicht gefallen und er wollte, dass die über 30-Jährigen - zu denen auch ich gehörte - sich zwischen den Olympischen Spielen und der Europameisterschaft entscheiden und nicht beide Turniere spielen. Das stand für mich überhaupt nicht zur Debatte, war aber nur ein Grund dafür, weshalb ich mich nach der zweiten Saison für einen Wechsel zum TBV Lemgo entschieden habe.
SPOX: Welche Gründe gab es außerdem?
Schwarzer: Das waren familiäre Gründe. Als wir nach Barcelona gingen, war unser Sohn vier Monate alt. Er und meine Eltern konnten in den ersten Jahren das typische Aufwachsen mit Oma und Opa gar nicht miterleben. Meine Eltern lebten in Hamburg und der Weg nach Barcelona war zu weit, da meine Mutter Flugangst hatte und mein Vater gesundheitlich angeschlagen war. Ich wollte, dass mein Sohn seine Großeltern und meine Eltern ihren Enkel regelmäßig sehen.
SPOX: Rivera ist ein äußerst ehrgeiziger Coach. Hatte er für Ihre Entscheidung Verständnis?
Schwarzer: Ich habe ihm erklärt, dass mir meine Familie und die Nationalmannschaft wichtiger als der FC Barcelona seien. Er hat das bedingt verstanden, würde ich mal sagen. Ich fand es einfach schade, dass er nicht in der Lage war zu differenzieren, nur weil mal in einer Saison nicht alles perfekt gelaufen ist. Man kann auch bei einem Klub wie dem FC Barcelona nicht davon ausgehen, in jedem Jahr alles zu gewinnen.
SPOX: Rivera ist der Mann, der seit 2013 als Trainer das umstrittene Handball-Projekt in Katar leitet. Wäre es für Sie jemals in Frage gekommen, für extrem viel Geld für eine andere Nationalmannschaft aufzulaufen?
Schwarzer: Ich bin mir zu 99,9 Prozent sicher, dass ich das niemals gemacht hätte. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, für eine Nationalmannschaft aufzulaufen, vor deren Spielen nicht die deutsche Hymne läuft. Dafür war ich zu stolz, für mein Land spielen zu dürfen. Für mich war das immer eine ganz besondere Ehre, im Nationaltrikot aufzulaufen. Da hätte es noch so viel Geld geben können.
SPOX: Wie angesprochen kennen Sie es, wenn der Verein einem rät, auf Turniere mit der Nationalmannschaft zu verzichten. Das hat es in der Vergangenheit auch in Deutschland rund um DHB-Spieler gegeben. Zuletzt appellierte Kiels Trainer Alfred Gislason an seinen lange verletzten Star Domagoj Duvnjak, nicht für Kroatien bei der Heim-EM zu spielen. Haben Sie für solche Ratschläge grundsätzlich kein Verständnis?
Schwarzer: Bei Duvnjak ist es eine besondere Situation, weil er eine lang andauernde, komplizierte Verletzung gerade erst überstanden hat. Ich verstehe Alfred, dass er sagt: Mensch, überleg dir das zweimal. Aber es ist für ihn ein Turnier im eigenen Land, das kann er sich nicht entgehen lassen. Es ist doch so: Wenn man sich die Einschaltquoten im Handball außerhalb der Nationalmannschaft oder den absoluten Kracher-Partien anschaut, ist es teilweise erschreckend. Der Handball steht und fällt mit der Nationalmannschaft. Wenn Vereine ihren Spielern raten, nicht für die Nationalmannschaft zu spielen, kommt das irgendwann als Bumerang zurück. Sponsoren bemängeln, dass sie nicht mehr in den Medien präsent sind und so weiter. Die Vereinsverantwortlichen müssen ganz vorsichtig damit sein, Ihren Spielern solche Empfehlungen zu geben. Das schadet letztendlich dem Verein selbst.
SPOX: Glücklicherweise gibt es diese Probleme derzeit bei der deutschen Mannschaft nicht. Was trauen Sie dem DHB-Team bei der EM in Kroatien zu?
Schwarzer: Die Voraussetzungen haben sich im Vergleich zur EM in Polen verändert. Damals war die deutsche Mannschaft der Underdog, mit dem keiner gerechnet hat. Mittlerweile ist Deutschland wieder in der Weltspitze angekommen - trotz des frühen Ausscheidens bei der WM im vergangenen Jahr. Man geht als Mitfavorit ins Turnier.
SPOX: Anders als 2016 ist das DHB-Team bislang von größeren Verletzungen verschont geblieben.
Schwarzer: Genau, der Bundestrainer ist in der luxuriösen Situation, aus vielen sehr guten Spielern auswählen zu können. Meiner Meinung nach ist es völlig richtig, als Ziel die Titelverteidigung auszugeben.
SPOX: Hat das DHB-Team eine ganz besondere Stärke?
Schwarzer: Das Team an sich ist die große Stärke. Wir haben vielleicht nicht immer die allerbesten Einzelspieler, schaffen es aber doch häufig bei großen Turnieren, die beste Mannschaft auf die Platte zu bringen, in der jeder für den anderen alles gibt.
SPOX: Hat die Truppe auch eine auffällige Schwäche?
Schwarzer: Eine richtige Schwäche kann ich nicht feststellen. Es gibt einen Punkt, den man diskutieren kann - das Thema Führungsspieler und Hierarchie. Man hört häufig, dass es natürlich Uwe Gensheimer als Kapitän gibt, ansonsten aber keine oder vielleicht eine flache Hierarchie existiert, in der alle mehr oder weniger gleichgestellt sind. Das ist eine Philosophie-Frage, über die man sich im Sport immer streiten kann. Ist eine Hierarchie etwas Gutes, etwas Funktionierendes, oder eben nicht.
SPOX: Bei der EM in Polen hat es mit der flachen Hierarchie hervorragend geklappt, weil jeder Verantwortung übernommen hat. Bei der WM 2017 fehlte beim Aus im Achtelfinale gegen Katar dagegen jemand, der in der Lage war, die Sache in die Hand zu nehmen.
Schwarzer: So kann man das sehen. Das war ein sehr kompliziertes Spiel, in dem man vielleicht zwei, drei Spieler gut hätte gebrauchen können, die das Heft in die Hand nehmen. Das hat in Frankreich so ein bisschen gefehlt. Aber wie gesagt: Eine klare Hierarchie ist auch nicht grundsätzlich gut. Ich habe aber die Erfahrung gemacht, dass es sehr gut sein kann und man erfolgreich damit ist. Trotzdem muss jeder Trainer von Fall zu Fall sehen, wie er das innerhalb seiner Mannschaft handhabt.
SPOX: In Kroatien gibt es die ungewöhnliche Situation, dass ausgerechnet Bundestrainer Christian Prokop einer der wenigen in der deutschen Delegation ist, der noch nie ein großes Turnier mitgemacht hat. Sind Sie sich sicher, dass Prokop es trotzdem gut hinbekommen wird?
Schwarzer: Sicher wäre ich mir nur, wenn ich bereits Erfahrungswerte hätte. Christian Prokop hat Bundesliga-Erfahrung und dort mit einer jungen Leipziger Mannschaft hervorragende Arbeit geleistet. Eine EM ist aber etwas völlig anderes als Spiele in der Bundesliga. Die Belastungen sind in allen Bereichen viel größer. Deshalb könnte es eine kleine Gefahr darstellen, dass er diese internationalen Events nicht kennt. Allerdings hat er seine Arbeit meiner Meinung nach bisher gut gemacht.
SPOX: Sie wurden selbst immer wieder als Bundestrainer gehandelt. Glauben Sie, dass es irgendwann noch einmal dazu kommen kann?
Schwarzer: Das war zu Zeiten des alten Präsidiums um Uli Strombach. Es war so geplant, dass ich im Jugendbereich im DHB anfange und irgendwann, wenn Heiner aufhört, Bundestrainer werde. Es gab aber einen Wechsel im Präsidium und dort sind nun Leute, die mit Persönlichkeiten der Generation Heiner Brand ein Problem haben. Leider musste das auch Markus Baur bei der öffentlichen Suche nach einem Bundestrainer erfahren. Im Endeffekt wurden alle Personen ausgetauscht, die irgendetwas mit Heiner Brand zu tun hatten beziehungsweise ein gutes Verhältnis zu ihm haben. Momentan sehe ich für diese Leute keine Möglichkeit, beim DHB in eine Rolle zu kommen, in der eine eigene Meinung gefragt ist - denn die ist nicht gewollt.
SPOX: Sie selbst sind seit Ende 2015 nicht mehr beim DHB. Sind Sie deshalb noch sauer?
Schwarzer: Das war für mich anfangs sehr schwierig. Ich habe beim DHB sechseinhalb Jahre im Jugendbereich gearbeitet und das war so etwas wie mein Traumjob, denn ich durfte Spieler wie Julius Kühn, Jannik Kohlbacher, Finn Lemke, Fabian Wiede oder auch Yves Kunkel sichten und trainieren. Mittlerweile ist das aber abgehakt, ich bin sehr zufrieden mit dem, was ich jetzt mache. Ich bin Jugendkoordinator und Jugendtrainer beim saarländischen Handballverband, bin außerdem Markenbotschafter, führe Handballcamps durch, halte bei großen Firmen Vorträge zum Thema Motivation und Teambuilding. Es ist alles gut so, wie es aktuell ist.