DHB vs. Spanien - das Panel zur Handball-EM: "Prokops Kopf zu fordern, ist völliger Blödsinn"

Felix Götz
24. Januar 201816:52
Für Christian Prokop ist es das erste Turnier als Bundestrainergetty
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Nach dem Triumph der Tschechen gegen Mazedonien hat das DHB-Team sein Endspiel ums Halbfinale gegen Spanien (20.30 Uhr im LIVETICKER) sicher. Was ist der Schlüssel zum Sieg? Wird Christian Prokop fair behandelt? Vertrauen die Spieler dem Bundestrainer? Und wer sind eigentlich die Typen in der deutschen Mannschaft?

Vor dem Showdown diskutiert SPOX-Redakteur Felix Götz im Panel zur Handball-EM 2018 in Kroatien mit Olaf Bruchmann (Chefredakteur Handballwoche), Christoph Dach (Tagesspiegel) und Sascha Staat (Kreis Ab - der Podcast).

Prokop hat bisher in der Öffentlichkeit keine faire Chance bekommen!

Olaf Bruchmann: Christian Prokop hat bei manchen Nominierungen etwas unglücklich agiert, aber er ist der Bundestrainer, hat deshalb die Entscheidungsgewalt und seine Entscheidungen müssen respektiert werden. Man muss ihm die Chance geben, zu beweisen, dass das, was er sich taktisch zurechtgelegt hat, funktioniert. Deshalb ist eure These auch berechtigt. Es kann sein, dass man ein bisschen unfair mit ihm umgeht und ihn zu schnell verurteilt. Er hat eben kein Standing. Vielleicht wäre es auch ganz gut gewesen, ihm noch zwei, drei Jahre in der Bundesliga zu geben, um sich zu entwickeln. Dagur Sigurdsson hatte bereits vor seinem Amtsantritt eine andere Reputation - auch auf internationaler Ebene. Er hat Österreich trainiert, was jetzt natürlich nicht die ganz große Handball-Macht ist. Dennoch wusste er, wie es bei einer EM zugeht. Prokop ist ein sehr unerfahrener Trainer, was nicht heißt, dass er ein schlechter Trainer ist.

Christoph Dach: Das sehe ich anders. Bob Hanning meinte zwar, dass die Kritik teilweise persönlich geworden sei, aber diesen Eindruck kann ich nicht teilen. Es geht doch niemandem darum, den Menschen Christian Prokop zu diskreditieren. Es geht um eine Beurteilung der sportlichen Leistung, die muss er sich gefallen lassen. In den ersten Spielen hat es ziemlich gehakt und vieles war wackelig, daran hatte der Bundestrainer einen großen Anteil. Die Nichtnominierung von Lemke war sein Kardinalfehler. Damit hat er eine Baustelle aufgemacht, die es nicht gebraucht hätte. Selbst Leute, die nur einmal im Jahr Handball schauen, werden sich erinnern, dass Lemke zusammen mit Andreas Wolff in den vergangenen Jahren der Kopf dieses Teams war. Prokop hat meiner Meinung nach auch ein wenig die Wucht des Amtes unterschätzt.

Sascha Staat: Bei der These, dass Prokop keine echte Chance bekommen hat, stimme ich zu. Die Leute sind bislang sehr hart mit ihm ins Gericht gegangen. Man muss die Kirche im Dorf lassen. Er hat Entscheidungen getroffen, die nicht populär waren. Aber ich finde, er hat diese Entscheidungen fachlich nachvollziehbar begründet. Mir geht es mit der Kritik am Bundestrainer zu schnell. Es ist sein erstes Turnier und die Aufgabe als Titelverteidiger ist aufgrund der Erwartungshaltung sehr schwierig.

Felix Götz: Wie Christoph kann auch ich nicht verstehen, warum sich der Bundestrainer mit der Nichtnominierung von Finn Lemke völlig unnötig angreifbar gemacht hat. Bastian Roscheck war nun wirklich sehr weit davon entfernt, eine wichtige Rolle einnehmen zu können. Prokop wirkt während der EM teilweise nervös, seine vielen Wechsel fand ich mitunter etwas wild. Dass er grundsätzlich aber ein sehr guter Coach ist, steht außer Frage. Wenn man sich ansieht, was in den sozialen Medien passiert, ist das schon schräg. Prokop hat überhaupt kein Standing. Es kommt der Eindruck auf, er wäre für jeden technischen Fehler, für jeden nicht gehaltenen Ball, für jede schlechte Leistung alleine verantwortlich. So nach dem Motto: Alles was Dagur Sigurdsson gemacht hat, war goldrichtig. Alles was Prokop macht, ist grundsätzlich falsch. Das ist natürlich absoluter Unsinn. Und nicht vergessen, Freunde: Prokop und sein Team sind nur einen Sieg gegen Spanien vom Erreichen ihrer Turnierziele entfernt.

Die Mannschaft vertraut Prokop nicht!

Christoph Dach: Es gab im Verlaufe dieses Turniers Szenen, die Fragen aufgeworfen haben. Als sich beispielsweise Hendrik Pekeler und Patrick Wiencek nach dem Spiel gegen Slowenien hingestellt und erzählt haben, dass sie die Anweisung hatten, offensiv zu verteidigen, sich dann aber als erfahrene Nationalspieler dazu entschieden hätten, das Gegenteil zu machen. In der ersten Halbzeit hat die Truppe 17 Gegentore kassiert, danach nur noch acht. Da kann man schon auf den Gedanken kommen, dass die Mannschaft dem Trainer nicht komplett vertraut. Eine ähnliche Situation gab es im dritten Spiel gegen Mazedonien, als das Team ganz am Ende einen komplett anderen Spielzug ausgeführt hat, als es der Bundestrainer in der Auszeit angesagt hatte. Wobei ich diesen Punkt nicht überbewerten würde, weil Handball nun einmal ein Spiel ist, das Handlungsschnelligkeit erfordert und es schon mal vorkommt, dass in solchen Situationen etwas anderes gemacht wird, als besprochen war. Gegen Dänemark war es komplett anders. Da hatte ich schon den Eindruck, dass Mannschaft und Trainer zumindest nicht gleich aufeinander losgehen.

Olaf Bruchmann: Ich habe sehr wohl das Gefühl, dass die Mannschaft dem Bundestrainer vertraut, weil er sie sehr gut einstellt. Ich glaube, dass seine Taktikbesprechungen extrem aufwendig sind. Jeder Spieler bekommt genau an die Hand, was er zu tun hat. Er sagt ja auch gerne, dass jeder seine Rolle im Team erfüllen muss. Dann setzen sich diese Puzzleteile auch zu einem schönen Bild zusammen. Trotzdem hat er bei der Nominierung unglaublich unterschätzt, welche Rolle Lemke in diesem ganzen Konstrukt spielt. Taktisch als Rückgrat in der Deckung und aufgrund seiner Persönlichkeit. Er hat ein unglaubliches Standing in dieser Mannschaft. Mit dem Thema Lemke hat Prokop die Mannschaft geschockt. Ich bewerte es jedoch als wichtiges Zeichen und habe großen Respekt davor, dass er diese Entscheidung so schnell revidiert hat.

Felix Götz: Was den Fall Lemke angeht, bin ich zu 100 Prozent bei dir, Olaf. Prokop hat total unterschätzt, welch wichtige Rolle der Abwehrchef auch in Bezug auf das Mannschaftsklima spielt. Mir stellen sich in diesem Zusammenhang zwei Fragen: Hätte Bob Hanning, der die Turnier-Chemie der Bad Boys seit Jahren und damit besser als Prokop kennt, den Bundestrainer eindringlich warnen müssen? Oder hat er das getan und Prokop entschied sich trotzdem gegen Lemke? Um eine konkrete Antwort zu geben: Ich habe nicht den Eindruck, dass die Mannschaft dem Bundestrainer zu 100 Prozent vertraut. Das war bei Sigurdsson anders.

Sascha Staat: Es ist auch aus meiner Sicht so, dass nicht alle Spieler dem Bundestrainer vollkommen vertrauen. Das muss er sich erst erarbeiten. Und wenn du Spieler dabei hast, die deine Linie nicht voll mitziehen - und sei es nur um zwei Prozent -, dann hast du als Trainer ein Problem. Wenn man sich aber seine Auszeiten ansieht und hört, was er sagt, hat das alles Hand und Fuß. Das sind alles vernünftige Sachen, die er seinen Spielern mit auf den Weg gibt. Das hätte ein Sigurdsson nicht besser sagen können.

Dem DHB-Team fehlt es an Leadern!

Sascha Staat: Dem DHB-Team fehlt es an Leadern auf der richtigen Position. Hendrik Pekeler würde ich beispielsweise auf jeden Fall als Leader ansehen. Aber er ist Kreisläufer und ein Leader muss eigentlich im Rückraum zu Hause sein, weil dort das Spiel nun einmal gelenkt wird. Die guten Spieler, die wir im Rückraum haben, sind entweder leise oder noch jung. Julius Kühn ist erst seit etwa zwei Jahren dabei, Steffen Weinhold und Kai Häfner sind vom Charakter her leise. Mich würde es freuen, wenn Patrick Groetzki Mittelmann wäre. Das ist ein Spieler, der Emotionen mitgibt. Und was Uwe Gensheimer betrifft, bin ich mir unabhängig von seiner Person nicht sicher, ob ein Außen jemals der richtige Kapitän sein kann.

Felix Götz: Diese Diskussion ist ja nicht neu, auch Christian Schwarzer hat sich beispielsweise vor der EM im SPOX-Interview dazu geäußert. Logischerweise kommt sie immer dann auf, wenn es grade nicht so läuft. Ich weiß, dass es einige Kritiker gibt, die Uwe Gensheimer nicht für den richtigen Kapitän halten. Er ist ein ruhiger Vertreter, die Körpersprache ist nicht immer überragend - und beim Triumph in Polen war er verletzungsbedingt nicht dabei. Trotzdem hat Gensheimer über Jahre hinweg bei den Rhein-Neckar Löwen und auch in der Nationalmannschaft nachgewiesen, dass er ein guter Kapitän ist. Erinnert euch nur mal, unter welchen Voraussetzungen er sich im vergangenen Jahr - sein Vater war gerade gestorben - bereit erklärt hat, bei der WM zu spielen. Das war großartig! Und er wird auch jetzt im Team als Anführer geschätzt. In der Abwehr gibt es mit Lemke eine echte Type, im Tor mit Heinevetter und Wolff gleich zwei davon. Das Problem ist vielleicht eher, wie auch Sascha sagt, dass es im Rückraum keinen echten Leader gibt. Einer der das Heft in die Hand nimmt, wenn es darauf ankommt. Da sehe ich nur Steffen Weinhold, mit Abstrichen.

Olaf Bruchmann: Wir haben in der aktuellen Ausgabe der Handballwoche eine Geschichte mit dem Titel: "Steffen Weinhold, der heimliche Kapitän." Das ist für mich ein Führungsspieler, der nicht viel redet, dafür aber große Taten sprechen lässt. Der eigentliche Kapitän Uwe Gensheimer bleibt bei dieser EM unter seinen Möglichkeiten, er selbst ist am meisten davon enttäuscht, was er hier zeigt. Er spielt in Paris und damit bei einem Topklub, ist Torschützenkönig der Champions League. Man muss einfach Leistung von ihm erwarten - und die zeigt er bislang nicht. Gensheimer ist als Person einfach auch zu ruhig, um in einer Mannschaft der Wortführer zu sein.

Christoph Dach: Diese Erkenntnis ist nicht neu. Im Gegensatz zu anderen Nationen hat Deutschland nun einmal keine Ausnahmespieler wie Nikola Karabatic, Mikkel Hansen oder Joan Canellas. Wenn es nicht läuft, drückst du denen den Ball in die Hand und die wissen schon etwas damit anzufangen. Aber das war vor dem Turnier klar und das will man beim DHB auch gar nicht. Prokop definiert sich und sein Handballkonzept über den Teamgedanken. Und er ist zufrieden, dass er für jede Position mindestens zwei gute Leute hat. Ich sehe kein großes Problem darin. Das DHB-Team ist in der Breite so gut aufgestellt, dass man diese Schwäche kompensieren kann. Für mich ist bislang Weinhold der überzeugendste Spieler im Rückraum, wenn ihr so wollt ein Leader. Und diese Leaderrolle muss zumindest auf dem Platz ja wie schon angesprochen von Rückraumspielern ausgehen.

Das ist der Schlüssel zum Sieg gegen Spanien!

Olaf Bruchmann: Der Schlüssel wird eindeutig die Abwehr sein. Ich habe immer noch diesen 24:17-Sieg des DHB-Teams im EM-Finale 2016 in Krakau im Kopf. Lediglich 17 Tore gegen eine Mannschaft wie Spanien zu kassieren, war schlichtweg überragend. Wenn die deutsche Mannschaft da nur halbwegs an diese Leistung herankommt, stehen die Chancen gut, das Ding zu gewinnen.

Felix Götz: Die Spanier haben eine unheimlich erfahrene Truppe. Um sie zu schlagen, muss alles passen. Die zuletzt schon starke Abwehrleistung braucht Deutschland unbedingt wieder. Zudem muss einer der beiden Torhüter an sein absolutes Leistungslimit kommen. Und der gegen Dänemark bereits etwas verbesserte Rückraum muss sich noch einmal steigern. Weinhold, Kühn und Häfner sind gefragt. Ich bin mal gespannt, wie sehr die Spanier noch das Finale von 2016 im Kopf haben. Vom bösen Wolff hat nämlich damals ganz bestimmt der eine oder andere Spieler geträumt.

Christoph Dach: Man darf nicht vergessen, dass Deutschland unter Sigurdsson auch keinen Zauber-Handball gespielt hat. Das war die altbewährte Handball-Rezeptur, die aus guten Torhütern und einer guten Abwehr besteht, woraus sich dann Tempogegenstöße ergeben. Wenn man es böse ausdrücken will, kann man es Handball von 1980 nennen. Genau damit muss es auch gegen Spanien klappen, damit steht und fällt alles. Wenn die Einstellung, die Körpersprache und die Giftigkeit nicht da sind, fehlt uns tatsächlich eventuell ein Spielertyp, den ich vorhin schon einmal erwähnt habe.

Sascha Staat: Der deutschen Mannschaft muss es gelingen, die Spanier in den Positionsangriff zu zwingen. Dann hat die Abwehr ausreichend Lösungsmöglichkeiten, um die Spanier vor große Probleme zu stellen. Der deutsche Positionsangriff ist aber vielleicht noch wichtiger, weil es zuletzt an Geschwindigkeit gefehlt hat. Erste und zweite Welle haben wir vom deutschen Team bislang so gut wie gar nicht gesehen.

Diese Bedeutung hätte eine Niederlage gegen Spanien!

Felix Götz: Es wäre die dritte herbe Enttäuschung in Folge für den DHB. Bei der Männer-WM in Frankreich im Achtelfinale gescheitert, bei der Frauen-WM im eigenen Land im Achtelfinale rausgeflogen und jetzt das Halbfinale verpassen - das wäre eine ernüchternde Bilanz. Und selbstverständlich würde es heftige Diskussionen um Prokop geben. Jede einzelne Entscheidung würde dem Bundestrainer um die Ohren fliegen. In diesem Zusammenhang würde es auch für Hanning ungemütlich werden. Schließlich war er es, der Prokop unbedingt haben wollte und sogar durchgesetzt hat, dass dafür eine satte Ablöse nach Leipzig geflossen ist.

Olaf Bruchmann: Wenn das schiefgeht, muss sich der gesamte DHB an den eigenen Formulierungen messen lassen. Deutschland ist als Titelverteidiger nach Kroatien gereist und hat als Minimalziel das Erreichen des Halbfinales ausgegeben. Sollte es gegen Spanien nicht zu einem Sieg reichen, wäre dieses Ziel nicht erfüllt. Und dann müsste man klar sagen: Das ist zu wenig und eine Enttäuschung.

Christoph Dach: Zunächst einmal ist es immer so eine Sache mit den Zielsetzungen. Das ist einfache Mathematik: Vor einer EM geben acht Mannschaften als Ziel das Halbfinale aus, das kann nach Adam Riese schon mal nicht funktionieren. Ich gehe aber ohnehin nicht davon aus, dass Deutschland diese Partie verliert. Mein Bauchgefühl ist gut. Selbst wenn es für das Halbfinale nicht reichen sollte, wird es noch sehr auf die Art und Weise ankommen, wie das Spiel verloren geht. Wenn das Team mit zehn Toren Differenz untergehen sollte, könnte das eine Debatte entfachen, die man im Handball in Deutschland nicht unbedingt kennt.

Sascha Staat: Wenn es eine Pleite setzen sollte, kommt auf den DHB und die handelnden Personen eine unglaubliche Geduldsprobe zu. Trotzdem wäre es überhaupt nicht sinnvoll, ein Jahr vor der Weltmeisterschaft im eigenen Land den Trainer in Frage zu stellen. Leute, es ist sein erstes Turnier! Und man muss sich nur mal anschauen, wie eng alles zusammen ist in den beiden Hauptrundengruppen. Kritik muss erlaubt sein, aber Prokops Kopf zu fordern, ist völliger Blödsinn.