Regeländerung verändert den Handball: Siebter Feldspieler? "Stoppt den Mist!"

Julen Aguinagalde ist kein Fan des siebten Feldspielers
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Die neue Regel mit dem siebten Feldspieler bekommt immer mehr Gewicht und verändert den Handball. Viele Protagonisten sind dafür, sie wieder abzuschaffen. SPOX sprach in Zagreb mit Julen Aguinagalde und Magnus Wislander über die Änderungen.

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Die EM in Kroatien ist Geschichte. Was vom Turnier auf dem Balkan bleibt, ist der erste Titel für Spanien und eine enttäuschende deutsche Mannschaft, deren atmosphärische Störungen zwischen Spielern und Trainer in den kommenden Wochen viel Aufarbeitung beim DHB nötig machen.

Blickt man durch die Taktik-Brille auf die 13. Handball-Europameisterschaft, fällt vor allem auf, dass eine der fünf vom Weltverband IHF beschlossenen Regeländerungen, die seit dem 1. Juli 2016 Gültigkeit besitzen, im Vergleich zu den Olympischen Spielen 2016 und der Weltmeisterschaft 2017 immer mehr Einfluss auf das Spiel nimmt: der siebte Feldspieler.

Anders als früher, als ein für den Torhüter eingewechselter Spieler ein Leibchen tragen musste und nur dieser wieder für den Keeper zurückgetauscht werden konnte, darf mittlerweile ein beliebiger Spieler für den Mann zwischen den Pfosten die Platte verlassen.

Wie der siebte Feldspieler Partien entscheidet

Dies führt zu wesentlich umfangreicheren taktischen Möglichkeiten. Anders als vor der Änderung ist der weitere Feldspieler nämlich vollwertig einsetzbar. Zuvor war der Handlungsspielraum des Leibchenträgers eingeschränkt, musste er doch immer so positioniert sein, um bei einem Ballverlust keinen weiten Weg zur Bank zu haben.

Jedenfalls wurden mit der neuen Regelung in Kroatien Partien gedreht und endgültig verloren. Zwei Beispiele: Als Dänemark gegen Deutschland den siebten Feldspieler in der zweiten Halbzeit konsequent zum Einsatz brachte, boten sich Räume und Superstar Mikkel Hansen war nicht mehr zu stoppen. Es war der Schlüssel zum Sieg der Dänen.

Als das DHB-Team gegen Spanien den Rückstand aufholen wollte und mit dem siebten Feldspieler alles auf eine Karte setzte, brach die Mannschaft endgültig auseinander. Es setzte drei Treffer ins verwaiste Tor.

Aguinagalde und Wislander gegen den siebten Feldspieler

Obwohl der siebte Feldspieler manchen Teams Vorteile verschafft, ist die Regelung alles andere als beliebt in Handball-Kreisen. Stefan Kretzschmar war schon während der Spiele in Rio davon "genervt". Rückraumschütze Julius Kühn nannte das taktische Mittel bei der EM "eine Zockerei".

"Ich bevorzuge es so, wie es vorher war. Ich bin dafür, diesen Mist zu stoppen", wurde Spaniens Kreisläufer Julen Aguinagalde im Gespräch mit SPOX deutlich. Und auch Magnus Wislander hält von der Änderung nicht viel.

"Ich persönlich mag die Regel nicht", sagte Schwedens Legende gegenüber SPOX: "Es beeinflusst das Tempo im Spiel. Als angreifende Mannschaft spielt man langsamer, weil man Angst davor hat, nach einem Fehler den Ball ins leere Tor zu bekommen. Viele Leute sagen ja, die Regel macht den Handball spektakulärer. Ich finde, dass Handball dadurch langweiliger wird."

Eins-gegen-Eins-Duelle gehen verloren

Ein weiteres Problem ist, dass die Eins-gegen-Eins-Duelle, diese Zweikämpfe, die ein wesentlicher Bestandteil der Sportart sind, zurückgehen. Die in Überzahl agierende Mannschaft spielt mit mindestens zwei Kreisläufern und lässt im Optimalfall den Ball einfach so lange laufen, bis eine Lücke in der Abwehr aufreißt oder ein Außenspieler freisteht.

"Das körperbetonte Spiel geht verloren. Und ich bin jemand, der es liebt, sich ins Getümmel zu stürzen. Ich will am Kreis Mann gegen Mann aufräumen", meinte Aguinagalde. "Die traditionelle Art, wie man eigentlich Abwehr spielt, geht verloren. Man muss ständig darauf spekulieren, im richtigen Moment herauszustürmen, um den Ball eventuell bei einem Pass zu schnappen", findet Wislander.

Außerdem gibt es zahlreiche Situationen, in denen der Ball nach Eroberung ins leere Tor geworfen wird. Mit Handball hat das für viele Beobachter und Beteiligte nicht mehr viel zu tun. Es sieht teilweise lächerlich aus, Aguinagalde nennt es gar "eine Demütigung". Allerdings kann es auch zu spektakulären Aktionen führen, wie die unfassbare Rettungstat von Rune Dahmke gegen Dänemark zeigte.

Zwei-Minuten-Strafe ist keine Bestrafung mehr

Der größte Kritikpunkt ist allerdings ein anderer. Kassiert ein Team eine Zwei-Minuten-Zeitstrafe, wird einfach ein Feldspieler für den Torhüter eingewechselt. Der Nachteil ist damit zumindest im Angriff dahin, es geht im Sechs gegen Sechs weiter.

"Wo ist da noch die Bestrafung? Meiner Meinung nach ist diese Regel nicht gerecht", sagte Aguinagalde, der beim polnischen Spitzenklub Kielce unter Vertrag steht. Wislander kann da nur zustimmen: "Richtig schlecht ist, dass man durch eine Zeitstrafe nichts mehr verliert, weil man den sechsten Spieler bringen kann."

Und der Welthandballer des Jahrhunderts weiter: "Auch wenn ich diese Regel wie gesagt nicht leiden kann, muss man sie selbstverständlich annehmen und für sich die Vorteile daraus ziehen. Was anderes bleibt einem nicht übrig. Ich finde, dass man bei dieser EM gesehen hat, dass der siebte Feldspieler teilweise sehr produktiv angewendet wird, das Spiel dadurch aber immer mehr negativ verändert wird."

Nikolaj Jakobsen einer der Spezialisten

Nikolaj Jakobsen gehört dabei zu den Spezialisten. Der 46-jährige Coach wendet den siebten Feldspieler in der Bundesliga mit den Rhein-Neckar Löwen erfolgreich an und auch mit der dänischen Nationalmannschaft.

Allerdings hat sich auch Jacobsen schon verzockt. Im EM-Halbfinale gegen Schweden wechselte in der zweiten Hälfte der Verlängerung einen Feldspieler für den Torhüter ein. Dänemark verlor den Ball und bekam ihn ins leere Tor. Schweden führte damit mit zwei Toren Vorsprung - die Entscheidung.

Vor allem für unterlegene Gegner kann das Spiel mit dem siebten Feldspieler aber ein Vorteil sein. Dr. Rolf Brack, der mittlerweile Frisch Auf Göppingen trainiert, hat dies schon vor Jahren festgestellt und zu seiner Zeit bei der HBW Balingen-Weilstetten überdurchschnittlich gut praktiziert.

"In den letzten zwei Jahren mit Balingen haben wir über 400 Angriffe ohne Torhüter gespielt, da hatten wir eine Quote von 56 Prozent im Sieben gegen Sechs. Wenn man das gut spielt, gut trainiert und den nötigen Mut mitbringt, dann können im Sieben gegen Sechs auch bei mittelmäßigen Mannschaften Angriffsquoten von sogar 70 bis 75 Prozent entstehen, glaube ich", sagte Brack einmal im SPOX-Interview.

Julen Aguinagalde lässt sich nicht überzeugen

Unter dem Strich bleibt trotzdem eine überwiegend negative Haltung gegenüber der neuen Regel. "Ganz einfach: Sechs gegen Sechs und der Torwart sollte den Torraum nicht verlassen dürfen", forderte Kretzschmar.

Aguinagalde kann dem nur zustimmen: "Wenn ich alle Argumente für und gegen den siebten Feldspieler zusammennehme, komme ich immer noch zu der gleichen Schlussfolgerung: Das ist Mist!"

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