Über die starke Leistung und die elf Tore von Marcel Schiller redete am Donnerstag niemand mehr. Nur wenige Stunden nach der deutlichen WM-Kritik an den Zuschauerplänen des Ausrichters von Johannes Bitter ließ Andreas Wolff mit einem Verbalangriff auf seine Mitspieler eine kleine Bombe platzen.
Die Aussagen des Stammkeepers zu den coronabedingten WM-Absagen einiger Nationalspieler dürften im deutschen Lager eine Woche vor dem Turnierstart in Ägypten für jede Menge Sprengstoff sorgen.
Er sehe die Absagen seiner früheren Kieler Teamkollegen Patrick Wiencek, Hendrik Pekeler und Steffen Weinhold, allesamt auch langjährige Kameraden in der Nationalmannschaft, "sehr, sehr kritisch", sagte Wolff in einem Podcast der Rhein-Neckar Löwen. Er könne verstehen, dass Spieler in der heutigen Zeit besorgt seien um ihre Gesundheit. Gerade für Familienväter sei es etwas Schweres, die eigenen Kinder für einen Monat zurückzulassen. Aber: "Dass sie dieses Jahr das Turnier fahren lassen, nachdem sie selbst permanent in der Champions League aktiv waren, stört mich", so Wolff.
Auch in der Königsklasse seien die Spieler in Länder gereist, die als Risikogebiete eingestuft worden sind. "Und jetzt auf einmal bei der WM ist es so ein großes Problem, obwohl die Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen deutlich höher sind als beispielsweise in internationalen Wettbewerben", polterte der Schlussmann vom polnischen Spitzenklub Vive Kielce: "Und was mich noch mehr daran stört, ist, dass ihre Mannschaftskameraden aus anderen Ländern offenbar kein Problem damit haben, ihre Familien zurückzulassen und zur WM zu fahren."
DHB reagiert auf Wolf-Kritik
Wiencek, Pekeler und Weinhold hatten ihre WM-Teilnahme schon vor Weihnachten aus familiären Gründen abgesagt und vor einer Woche mit Kiel die Champions League gewonnen. Sie wollten die Äußerungen auf SID-Anfrage nicht kommentieren. Pikant bei Wolffs Aussagen: Sie stammen aus dem Podcast seines eigenen Beraters.
Beim DHB war man unterdessen um Deeskalation bemüht. "Andreas darf seine Meinung kundtun, wir akzeptieren das", sagte Verbandspräsident Andreas Michelmann dem SID, betonte aber auch, dass man die Turnier-Absagen der Nationalspieler voll respektiere: "Jetzt sollten wir das Thema mal abhaken und uns voll auf die WM konzentrieren." DHB-Sportvorstand Axel Kromer versicherte dem SID, man habe "mit Andi gesprochen. Innerhalb des Teams ist das Thema durch. Viele Führungsspieler haben ja längst ihr Verständnis für die WM-Absagen geäußert."
Johannes Bitter kritisiert Zuschauer-Pläne
Der Kantersieg in Österreich (36:27) und die Gala von Schiller, dem Ersatz von Kapitän Uwe Gensheimer, war zu diesem Zeitpunkt ohnehin nur noch eine Randnotiz. Denn auch Oldie Bitter sorgte am Donnerstag für Schlagzeilen - abseits des Feldes. Das Thema Zuschauer stößt ihm richtig übel auf. "Ich finde es mehr als fragwürdig, in solch einer Zeit Zuschauer in die Hallen zu lassen. Ich missbillige das", sagte Bitter der Hamburger Morgenpost. Zuschauer seien "das falsche Signal".
Natürlich brauche der Handball die WM, um sich zu präsentieren und "seine Existenz zu sichern", sagte Bitter. Besucher in den Arenen seien dafür aber "nicht zwingend nötig. Das ist nicht glaubwürdig." Für Bitter geht es auch um die Wirkung der TV-Bilder: "Wie können wir vor Zuschauern spielen, wenn bei uns zu Hause Lockdown ist?" Vor Bitter hatten bereits Norwegens Superstar Sander Sagosen ("peinlich") und Dänemarks Welthandballer Mikkel Hansen ihrem Ärger öffentlich Luft verschafft.
Zwar hält Bitter, als Vorstand einer Spielergewerkschaft und langjährige Führungsfigur so etwas wie der Außenminister des deutschen Teams, das Risiko einer Ansteckung für die Akteure bei einer maximalen Hallenauslastung von 20 Prozent für "überschaubar". Er sorgt sich aber um die vielen Menschen, die kommen und nicht der Bubble angehören und deswegen nicht ständig getestet werden: "Da trägt der Handball Verantwortung."
Verantworten müssen wird sich in den kommenden Tagen wohl auch Andi Wolff. Eine Replik aus Kiel dürfte nicht lange auf sich warten lassen.