HBL - Rhein-Neckar Löwen - Andy Schmid im Interview: "Ich habe versucht, Kobe Bryants Crossover-Dribblings zu machen"

Florian Regelmann
08. Juni 202210:15
Andy Schmid wurde fünfmal in Serie zum MVP in der HBL gewählt.getty
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In dieser Woche feiert ein absoluter Superstar seinen Abschied aus der Handball-Bundesliga: Andy Schmid. Nach zwölf Jahren bei den Rhein-Neckar Löwen, zwei Meisterschaften und fünf MVP-Awards kehrt der 38-Jährige in seine Schweizer Heimat zum HC Kriens-Luzern zurück. Im SPOX-Interview lässt der Messi des Handballs seine große Karriere Revue passieren.

Schmid spricht vor seinem letzten Heimspiel mit den Löwen gegen den THW Kiel (Mittwoch, 19.05 Uhr im LIVETICKER) offen über seinen "beschissenen" Start bei den Löwen und erklärt, warum damals sogar das Maskottchen wichtiger war als er.

Der Spielmacher verrät außerdem, warum ein Wechsel zum FC Barcelona oder zu PSG für ihn nie infrage kam und warum er sich manchmal mehr Anerkennung gewünscht hätte.

Schmid blickt auch in die Zukunft und erzählt von seinen Zielen als Trainer, von seiner NBA-Leidenschaft und von Veränderungen, die er gerne im Handball sehen würde.

Herr Schmid, am Mittwoch steht Ihr letztes Heimspiel mit den Löwen auf dem Programm. Wie ist die Gefühlslage so kurz vor dem Ende einer Ära?

Andy Schmid: Es ist schon ein bisschen Wehmut dabei, das muss ich ehrlich sagen. Es gab in letzter Zeit viele Momente, bei denen ich dachte: Das ist jetzt echt das letzte Mal. Bald ist es vorbei. Auf der anderen Seite habe ich die Entscheidung, in die Schweiz zurückzukehren sehr bewusst und relativ früh gefällt. Das hat mir erlaubt, dass ich über eine längere Zeit einen Prozess des Loslassens durchmachen konnte. Deshalb fällt es mir alles nicht ganz so schwer. Und die Vorfreude auf den neuen Lebensabschnitt, den ich gemeinsam mit der Familie beginnen werde, spüre ich auch enorm. Ich freue mich auf das, was kommt. Aber klar, wenn du zwölf Jahre da warst, ist es immer emotional, tschüss zu sagen.

Sie haben in der Schule gerne Aufsätze geschrieben. Wenn Sie einen Aufsatz über Ihre Karriere schreiben würden, was wäre die Überschrift?

Schmid: Gute Frage. Ich würde sagen: Mit Anlaufschwierigkeiten zum Erfolg. Das trifft es ganz gut.

Der erste große Karriereschritt war der Wechsel von der Schweiz nach Dänemark zu Silkeborg. Klingt erstmal unspektakulär, aber das war kein kleiner Schritt.

Schmid: Nein, das war ein großer und schwieriger Schritt für mich damals. Ich habe für den Wechsel nach Dänemark mein Studium unterbrochen, das macht man als Schweizer nicht mal so leicht. Wir Schweizer sind da etwas anders gepolt als ihr Deutschen. Bei uns steht eine Karriere im Spitzensport nicht so im Vordergrund, bei uns steht die Ausbildung und ein sicherer Lebensweg über allem. Das ist wirklich extrem wichtig bei uns, so werden wir auch erzogen. Auch wenn ich gewusst habe, dass ich weich lande, falls ich nach dem Dänemark-Abenteuer wieder nach Hause zurückkehren würde, haben mich Zweifel geplagt. Es gab viele Stimmen, die mir von diesem Wechsel abgeraten haben.

Was haben die Leute gesagt?

Schmid: Viele haben auch gesagt, dass ich doch sofort in die Bundesliga wechseln müsse. Dass man mich in Dänemark vergisst, dass ich dort untergehen werde. Nach außen habe ich zwar auch so getan, als ob ich mir ganz sicher wäre mit meiner Entscheidung, aber ehrlich gesagt finde ich, dass man so etwas im Leben einfach gar nicht sagen kann. Das ist einfach gelogen. Du weißt es nie zu hundert Prozent. Ich hatte ein gutes Bauchgefühl, weil Nikolaj Jacobsen mein Trainer wurde in Dänemark. Ich hatte ein gutes Gefühl, dass es aufgehen könnte, aber sicher war ich nicht.

Schmid: "Das Maskottchen war fast wichtiger als ich"

Es folgte ein sehr gutes Jahr in Dänemark, nach dem Sie den Schritt zu den Löwen in die HBL wagten. Was dann aber erstmal folgte, war eine schwierige Zeit.

Schmid: Eine beschissene Zeit. Man muss es wirklich so klar sagen.

Sie spielten unter dem damaligen Trainer Gudmundur Gudmundsson anfangs quasi keine Rolle und entwickelten sich zum "Fehleinkauf" und "Absteiger".

Schmid: Mir ging es wirklich schlecht. Ich bin mit Bauchschmerzen zum Training gefahren und zu den Spielen. Das Problem war ja für mich, dass ich nicht in Deutschland war, um das schöne Heidelberg zu genießen. Ich war in Deutschland, um Handball zu spielen. Um meinen Beruf auszuüben. Sonst wegen nichts. Ich wollte mich in der HBL durchsetzen und das hat überhaupt gar nicht funktioniert. Die Löwen waren damals ein aufstrebender Verein, der viele teure Spieler geholt und so ein bisschen nach Namen und Torschützenliste eingekauft hat. Mein Name hat da nicht so richtig reingepasst in das Konstrukt, ich war zur falschen Zeit im falschen Verein. Und mir hat es wahrscheinlich auch nicht geholfen, Schweizer zu sein. Wir sind einfach keine große Handball-Nation, damals noch viel weniger als heute, wir hatten wenige Spieler im Ausland, dagegen hatte ich auch anzukämpfen.

Das Schlimme war ja, dass Sie meist überzählig waren.

Schmid: Das stimmt. Ich durfte mich bei den Heimspielen aufwärmen und dann durfte ich mich hinter die Bank verziehen, als es losging. Das war schon heftig. Und es war mir auch unangenehm, weil die Familie, viele Freunde oder einfach Schweizer Fans oft in die Halle kamen, um mich spielen zu sehen. Aber sie haben nur gesehen, wie ich hinter der Bank saß. Zu der Zeit war das Maskottchen bei den Spielen fast wichtiger als ich.

Wie haben Sie es geschafft, diese Zeit zu überstehen?

Schmid: Wahrscheinlich war es mein Ehrgeiz, meine Besessenheit. Ich wollte nicht aufgeben. Irgendwas war in mir drin, das mich durch diese Zeit gebracht hat. Was dazu führte, dass ich mich gegen diese persönliche Niederlage wehren konnte. Und es wäre eine große persönliche Niederlage gewesen, wenn ich sofort wieder abgehauen wäre. Aber es war nicht so, dass ich jeden Tag vor dem Spiegel stand und zu mir gesagt habe: Ich schaffe das. Ich schaffe das. Es war hart und es war knapp davor, dass ich aufgegeben hätte.

Andy Schmid spricht im Interview auch offen über seinen schwierigen Start bei den Löwen.getty

"Das Schlimmste, was mir in meiner Karriere passiert ist"

Arno Ehret, ein ehemaliger Trainer von Ihnen, meinte ganz früh in Ihrer Karriere mal: "Noch bist du eine Katze. Aber du kannst ein Tiger werden." Waren Sie zu brav?

Schmid: Absolut, das geht in die gleiche Richtung, wie ich es vorhin schon einmal erzählt habe. Es ist einfach das Naturell von uns Schweizern, dass wir brav, zurückhaltend und nicht so vor Selbstbewusstsein strotzend sind. Das ist aber im Spitzensport nicht gerade förderlich. Die deutsche Mentalität a la "Ich tue Gutes und spreche darüber" ist da viel hilfreicher. Uns so zu exponieren haben wir aber so gar nicht in die Wiege gelegt bekommen. Das führt dann dazu, dass jemand wie Roger Federer in der Schweiz nicht unumstritten ist. Natürlich liebt ihn die Mehrheit, aber es gibt auch immer wieder andere Stimmen. Leute, die sagen, dass er sich zu sehr exponiert, dass er zu viel Geld verdient. Und im Fußball sehen wir das in der Schweiz auch. Die Secondos wie ein Granit Xhaka zum Beispiel, die einen großen Anteil am Erfolg unserer Nationalmannschaft haben, reißen eher mal die Schnauze auf. Aber meistens werden sie dann von der Schweizer Bevölkerung sofort zurückgepfiffen. Das wird in der Schweiz nicht gerne gesehen.

Nach dem so schwierigen Start ging es dann Schritt für Schritt nach oben für Sie persönlich, aber ein Titelgewinn mit den Löwen war noch sehr weit weg, oder?

Schmid: Für mich persönlich war es schön, dass ich immer mehr Sicherheit bekommen habe, ich hatte endlich das Gefühl, gebraucht zu werden. Aber einige Jahre schien es für mich undenkbar, dass wir Meister werden könnten. Wenn wir gegen den THW Kiel gespielt haben, war das für mich wie eine andere Sportart. Das war ein Level, das wir nie erreichen würden, dachte ich.

2014 waren Sie aber dann ganz knapp dran, aber am letzten Spieltag wurde den Löwen von Kiel der Titel entrissen. Aufgrund der schlechteren Tordifferenz. Wegen zwei Toren.

Schmid: In der Nachbetrachtung war es das Surrealste und Schlimmste, was mir in meiner Karriere passiert ist. Das war furchtbar. Es war ja nicht nur der letzte Spieltag, auch davon waren die Spieltage völlig absurd. Ich weiß noch, wie Kiel in Lemgo mit 22 Toren Vorsprung gewonnen hat, wir haben in Eisenach mit 23 gewonnen - das war echt aberwitzig. Du hattest am Ende das Gefühl, dass dir jemand etwas weggenommen hat, was eigentlich dir gehört. Daran hatte ich sehr lange zu knabbern. Ich dachte, dass wir jetzt auf keinen Fall nochmal Meister werden. Wenn du es da nicht schaffst, wann willst du es dann schaffen? Gleichzeitig hat es den Ehrgeiz und die Besessenheit noch mehr gefördert. Als wir dann endlich die erste Meisterschaft gewannen, war es in erster Linie eine große Erleichterung, die ich gespürt habe. Natürlich war die Freude auch groß, aber das perfide war, dass im ersten Moment das Gefühl, endlich durchatmen zu können, klar stärker war. Endlich war der Druck weg und wir mussten diesem Titel nicht mehr hinterherrennen.

Mit dem Erfolg als Team kam auch extrem großer persönlicher Erfolg. Fünfmal in Serie wurden Sie zum MVP gewählt. Abwechselnd als Franz Beckenbauer oder Lionel Messi des Handballs gepriesen. Was hat das mit Ihnen gemacht?

Schmid: Ich glaube, dass es mir sehr geholfen hat, dass ich zu dem Zeitpunkt schon die Kehrseite erlebt hatte. Wenn du schon als Absteiger abgestempelt warst, lässt du auch solche Lobeshymnen nicht mehr so nahe an dich heran und kannst sie besser einordnen. Ich bin deshalb nicht plötzlich durchs Leben geschwebt. Aber natürlich habe ich mich auch geschmeichelt gefühlt, das würde jedem so gehen. Ich bin ein Spieler, der sehr über die Intuition kommt, der gerne Dinge ausprobiert auf dem Feld und das Handballspiel wirklich noch als Spiel sieht. Im Fußball wäre ich wahrscheinlich ein Straßenkicker, aber der Vergleich mit Messi ist dann doch etwas hoch gegriffen vielleicht.

Waren die Auszeichnungen auch Ansporn?

Schmid: Auf jeden Fall. Für mich waren die persönlichen Erfolge eine Verpflichtung, mich immer wieder neu zu beweisen und die nächste gute Saison nachzulegen. Es gab immer wieder Spieler, die nach einer guten Saison wieder abgetaucht sind, das wollte ich auf keinen Fall. Ich sage heute auch immer zu unseren jungen Spielern: Erst, wenn der Gegner in der Besprechung vor dem Spiel länger als fünf Minuten über dich spricht, hast du es geschafft. Wenn der Gegner anfängt, sich intensiv nur auf dich vorzubereiten und versucht, dich zu durchschauen, dann musst du wieder einen Tick besser werden.

Schmid: Deshalb bin ich nie zu Barca oder PSG gegangen

Schaut man sich Ihre Vita an, sind Sie ganz klar ein absoluter Superstar in der Schweiz, dennoch können Sie wahrscheinlich unbemerkt durch die Stadt laufen, weil der Stellenwert nicht so hoch ist. Hat Sie die fehlende Anerkennung gestört?

Schmid: Teils, teils. Ich war zwar schon das Zugpferd für Handball in der Schweiz und habe eine gewisse Aufmerksamkeit bekommen, aber wenn ich ehrlich bin, hätte ich mir schon ein bisschen mehr Anerkennung gewünscht. Dafür, dass ich in der stärksten Liga der Welt fünfmal zum besten Spieler gewählt wurde, war es etwas wenig, da hätte ich glaube ich mehr verdient gehabt. Ich war zwar einige Male bei der Sportler-Wahl in den Top-5, das war für einen Handballer schon nicht schlecht, aber ein bisschen mehr wäre auch okay gewesen. (lacht) Aber es war jetzt auch nicht so, dass es mich sehr beschäftigt hat, dass ich nicht alle zwei Sekunden auf der Straße erkannt werde.

Andy Schmid feierte mit den Löwen einen Europacupsieg, zwei Meisterschaften, drei Supercup-Erfolge und einen Pokalsieg.imago images

Vielleicht hätten Sie zu einem noch größeren Verein mit einem noch größeren Namen wechseln müssen. Barca oder PSG zum Beispiel.

Schmid: Vielleicht, ja. Die Möglichkeit wäre sicher da gewesen, aber für mich hat das Gesamtpaket nie gepasst. Ich bin eher der sensible Typ. Mir ist Harmonie wichtig. Mir ist vor allem wichtig, wie sich die Familie fühlt. Und wir haben uns in Deutschland bei den Löwen extrem wohlgefühlt. Das wollte ich einfach nicht aufgeben und ein Risiko eingehen, auch wenn es natürlich einen gewissen Reiz gehabt hätte. Aber meine Mutter hat immer gesagt: Wenn etwas gut ist, dann ändere es nicht. Nach diesem Motto habe ich gelebt. Und es gab ja auch sportlich wenige Gründe, um von den Löwen wegzugehen, wir waren immer sehr erfolgreich, das darf man auch nicht vergessen.

Stimmt es, dass Sie nie einen Berater hatten?

Schmid: Nicht ganz. Als ich nach Dänemark gegangen bin, hatte ich noch einen Berater, weil ich damals noch nicht überall auf dem Radar war und jemanden brauchte, der Türen öffnet. Aber danach habe ich alles selbst gemacht. Ich war dann auch 26, 27 Jahre alt und hatte das Gefühl, erwachsen und reif genug zu sein, um für mich selbst zu sprechen. Manchmal war es dann unangenehm, Face-to-face über Geld zu verhandeln. Aber ich hatte das Glück, mit den Löwen ein ausgezeichnetes Verhältnis zu haben. Es lief immer sehr offen und ehrlich ab. Ich habe gesagt, was ich dachte, was ich sozusagen wert bin, die Löwen haben gesagt, was sie bezahlen wollen und dann haben wir einen gemeinsamen Weg gefunden.

Andy Schmid wurde fünfmal in Serie zum MVP in der HBL gewählt.getty

NBA-Fan Andy Schmid über die Chicago Bulls und Kobe Bryant

Hätten Sie woanders viel mehr verdienen können?

Schmid: Das weiß ich gar nicht so genau, weil ich nie mit einem anderen Verein so weit kam, dass ich das herausgefunden hätte. (lacht) Wahrscheinlich schon, aber ich war auch so immer ganz zufrieden.

Im Vergleich zu anderen Sportarten kann der Handball finanziell aber natürlich mithalten. Sie sind ganz großer NBA-Fan.

Schmid: Ja, ich war in den 90er-Jahren riesengroßer Bulls-Fan, Michael Jordan, Scottie Pippen und Dennis Rodman - das waren meine Idole. Ich bin nachts zu meiner Mama ins Schlafzimmer und habe mir den Wecker auf 3 Uhr gestellt, um auf dem kleinen Fernseher die Finals im DSF zu schauen, während sie geschlafen hat.

Okay, ich war riesengroßer Utah-Fan ...

Schmid: (lacht) Oh, shit...

Themawechsel: Später wurde Kobe Bryant zu einem Ihrer Helden. Warum er?

Schmid: Wir haben sogar unseren Hund nach ihm benannt. Ich hatte alle Trikots von ihm. Ich habe in Kobe irgendwas gesehen, was gut zu mir gepasst hat. So wie er Basketball interpretiert hat, das war mir sehr nahe. Ich habe sogar versucht, seine Crossover-Dribblings auf dem Handball-Feld zu machen, bis ich gemerkt habe, dass das nicht kompatibel war. Aber es war großartig, ihm zuzuschauen. Oder Steph Curry heute, das ist Wahnsinn, was er macht. Er ist so gut, dass man schon überlegen muss, die Dreierlinie nach hinten zu verlegen, das sagt ja alles.

Kommen wir zurück zum Handball: Sie wollen nach der aktiven Karriere auf jeden Fall Trainer werden. Welche Trainer außerhalb des Handballs würden Sie gerne mal treffen?

Schmid: Es wird wohl nie zustande kommen, aber Jürgen Klopp und Julian Nagelsmann wären schon zwei Typen, denen ich gerne über die Schulter schauen würde. Ich bin nicht der Entertainer wie Klopp und ich bin nicht der Nerd wie Nagelsmann, aber ich könnte mich vielleicht dazwischen bewegen als Trainer. Das Wichtigste wird aber sicher sein, authentisch zu bleiben. Wenn du nicht authentisch bist, nehmen dir die Spieler nichts ab und glauben dir nicht. Wenn ich diesen Weg einschlage, weiß ich, dass ich noch viel lernen muss. Ein guter Spieler ist nicht automatisch ein guter Trainer, das sage ich immer wieder. Ich bin aber dann auch 40, wenn ich aufhöre als Spieler. So viel Zeit reinzuschnuppern habe ich dann auch nicht mehr. Ich fühle mich schon bereit, direkt einzusteigen. Ich kann mir gut vorstellen, meine ersten Schritte als Trainer in der Schweiz zu gehen, aber wenn ich Trainer bin, strebe ich auch nach den höchsten Zielen, ich will als Trainer dann ganz an die Spitze.

Nikolaj Jacobsen muss der Trainer gewesen sein, der Ihnen am meisten mitgegeben hat.

Schmid: Er war zweifellos der prägendste Trainer meiner Karriere. Für mich ist er aktuell der beste Handball-Trainer der Welt. Da spreche ich sicher auch als sein Freund, wir haben über die Jahre ein sehr enges Verhältnis aufgebaut, aber seine Erfolge geben ihm ja auch Recht. Seine größte Stärke, neben allen handballerischen Fähigkeiten, ist die Empathie für seine Spieler. Das macht ihn zu einem besonderen Trainer.

In manchen Auszeiten wirkte es gar nicht immer so "freundschaftlich" zwischen Jacobsen und Ihnen. Wie war es, sein Blitzableiter zu sein?

Schmid: Auch wenn es keiner glaubt, wir hatten in sechs gemeinsamen Jahren höchstens zweimal einen wirklichen Streit, nach dem wir dann erstmal einen Tag nicht mehr miteinander gesprochen haben und wir echt Stress hatten. Mehr war nicht. Er war sehr impulsiv und er hatte das Glück, auf den gelassenen Schweizer zu treffen, bei dem viele Sachen zum einen Ohr rein sind und zum anderen wieder raus. Er wusste auch sehr gut, mit wem er so umgehen konnte. Er hätte das nicht in der Art gemacht, wenn er gemerkt hätte, dass er mich dadurch irgendwie zerstört. Manchmal war es grenzwertig, was er mir da entgegen geschleudert hat, aber ich muss auch zugeben, dass ich mit der Zeit immer mehr verbal zurückgeschlagen habe.

Stefan Kretzschmar ist auch jemand, der eine hohe Meinung von Ihnen hat, Sie schon mal als Handball-Gott abfeierte. Er ist jetzt Sportdirektor bei den Füchsen. Wie wäre denn eine Combo Sportdirektor Kretzschmar und Trainer Schmid?

Schmid: Wer weiß, es gibt einige schöne Vorstellungen für die Zukunft. Ich schätze Kretzsche sehr und er macht offensichtlich einen super Job, aber wahrscheinlich müsste ich noch viel mehr Golf spielen, damit er mich als Trainer einstellt. Kretzsche hängt ja nur auf dem Golfplatz herum. (lacht)

Schmid: "Wir müssen uns da auch an den USA orientieren"

Wenn Sie die Macht hätten, eine Sache im Handball zu verändern, was wäre das aktuell?

Schmid: Die flächendeckende Einführung des Videobeweises, gerade auch in der HBL, steht für mich weit oben. Gerade in den letzten Minuten gibt es Entscheidungen von so großer Tragweite, dass wir uns hier nicht darauf verlassen können, dass die Schiedsrichter immer die richtige Entscheidung treffen. Dafür ist das Spiel auch einfach zu schnell, mit bloßem Auge sind manche Situationen nicht zu entscheiden. Wir müssen uns da auch an den USA orientieren, deshalb bin ich klar dafür, dass es Challenges gibt. Da muss auch der Handball mit der Zeit gehen. Und der zweite Punkt ist, dass wir generell das Schiedsrichterwesen noch professionalisieren. Es geht um so viel, wir Spieler bereiten uns akribisch auf ein Spiel vor, da kann es nicht sein, dass die Schiedsrichter nicht die Chance haben, sich ähnlich professionell aufzustellen. Es würde auch den Anreiz, Schiedsrichter zu werden, noch erhöhen. Wir sind der einzige Sport, bei dem es nach dem Spiel heißt: Sie hatten eine gute Linie auf beiden Seiten. Was soll das heißen? Dass es okay ist, wenn sie die gleichen Fehler auf beiden Seiten machen? Hier kann man sich sicherlich entwickeln und verbessern.

Wir haben am Anfang darüber gesprochen, dass Sie schon in der Schule gerne geschrieben haben. Wie kam es eigentlich dazu, dass Sie ein Kinderbuch mit dem Titel "Mein Sprungwurf" geschrieben haben?

Schmid: Als mein älterer Sohn in die Schule kam und wir abends Bücher gelesen haben, ging es meistens um Fußball. Irgendwann hatten wir fünf, sechs Fußballbücher durch, da hat er mich gefragt, ob es denn nicht auch ein Handballbuch geben würde. Ich habe aber im Internet nichts gefunden. Das war der Impuls für mich, um zu sagen: Ich setze mich abends mal ein bisschen auf den Balkon und haue in die Tasten. Das hat echt Spaß gemacht.

In der Geschichte geht es auch um Respekt und Fairness. Werte, die den Handball auszeichnen. Was war der Auslöser dafür, dass Sie im letzten Winter einen emotionalen Postabgesetzt haben in Richtung der "Social Media Rambos"?

Schmid: Das ist im Affekt passiert. Aber mir ging es genau darum. Handball ist ein Sport, der für eine bestimmte Kultur steht. Für Respekt. Bei uns sind 10.000 Fans in der Halle und da stehen 9.000 Fans Seite an Seite mit 1.000 Fans der gegnerischen Mannschaft und haben gemeinsam eine tolle Zeit. Da muss niemand Gewalt fürchten. Das sind Werte, die Handball auch einzigartig machen und die wir beschützen müssen. Kritik soll erlaubt sein und damit muss man auch umgehen können. Es nervt mich aber, wenn manche Leute, die wahrscheinlich zuhause mit einer Tüte Chips auf der Couch liegen, auf Social Media Sachen herumproleten. Lieber mal ein bisschen nachdenken, bevor man irgendeinen Mist schreibt, das würde unserer Gesellschaft ganz gut tun.

Wie gehen Sie generell damit um, dass wir in einer Zeit leben, in der man sich viele Sorgen um die Zukunft machen muss, wenn wir an den Ukraine-Krieg, die Klimakrise oder die angesprochene Verrohung auf Social Media denken?

Schmid: Wenn man abends in einer ruhigen Minute vor dem Fernseher sitzt und sich die Nachrichten anschaut, macht man sich schon Gedanken. Man macht sich schon Sorgen. Nicht nur Sorgen um unsere Kinder, um uns alle. Ich versuche, mich vor allem auf unseren eigenen kleinen Kosmos als Familie zu konzentrieren. Da gibt es schon genügend Herausforderungen. Vor manchen Sachen werde ich meine Kinder nicht beschützen können, aber ich kann alles dafür tun, um der beste Papa zu sein, der ich nur irgendwie sein kann. Ich kann alles dafür tun, damit es meinen Kindern gut geht, dass es in der Schule gut läuft, dass sie gute Freunde finden und vor allem glücklich mit ihrem Leben sind. Wenn mir das einigermaßen gelingt, wenn ich es schaffe, ein gutes Vorbild für sie zu sein, bin ich zufrieden.

Handball Bundesliga: Die Tabelle nach 32 Spieltagen

RangMannschaftSpieleSUNDiff.Pkt.
1SC Magdeburg32300217560:4
2THW Kiel32262416154:10
3Füchse Berlin32244412752:12
4SG Flensburg-Handewitt32216512348:16
5Frisch Auf! Göppingen3217312-537:27
6TBV Lemgo Lippe3215513-2134:30
7HSG Wetzlar32153142533:31
8SC DHfK Leipzig3214414332:32
9MT Melsungen3214315-431:33
10Rhein-Neckar Löwen3213415530:34
11HSV Hamburg3212218-3226:38
12TSV Hannover-Burgdorf3212218-4126:38
13HC Erlangen3211318-3125:39
14Bergischer HC3211318-4125:39
15TVB 1898 Stuttgart329221-7820:44
16TSV GWD Minden326422-9216:48
17HBW Balingen-Weilstetten326323-13315:49
18TuS N-Lübbecke326026-14112:52