Schwache Trefferquote auf dem Transfermarkt: Dem FC Bayern München fehlt das Konzept

Von Justin Kraft
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Hat der FC Bayern München ein Scouting- und Kaderplanungsproblem? Die Transfers der vergangenen Jahre zeigen, dass der FCB den selbst geäußerten Ansprüchen nicht gerecht wird.

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"Die größte Herausforderung für den FC Bayern ist, international auf höchstem Niveau konkurrenzfähig zu bleiben", erklärte Präsident Herbert Hainer im März in der Bild. Der Grund: Die finanziellen Möglichkeiten "der Klubs vor allem in England, aber auch in Spanien und weiteren Ländern" wären "wesentlich größer".

Aus Sicht des ehemaligen Adidas-Chefs gibt es da nur eine Lösung: "Um das zu schaffen, müssen wir kreativ sein, wach sein und wir müssen dabei gleichzeitig unsere Identität als Klub bewahren: Erfolgreich sein, unsere Werte leben, die Fans immer im Fokus sein und unseren Bayern-Weg beibehalten."

Hört sich erstmal gut an. Doch denkt man genauer über die Sätze des Präsidenten nach, kommen Fragen auf. Wie sehen denn beispielsweise Kreativität und der Bayern-Weg aus? Schaut man auf die Scoutingabteilung des Rekordmeisters und die Transfers der letzten Jahre, ist das Fazit eher ernüchternd.

Seit dem Champions-League-Sieg 2020 konnte man den Kader kaum verstärken. Im Gegenteil sieht es aktuell eher so aus, als hätten sich Qualität einerseits und Struktur andererseits eher verschlechtert. Ehemalige Säulen des Teams brachen weg, hochkarätige Neuzugänge oder große Talente hielten nur selten, was sie versprachen. Auch die Art der Zusammenstellung muss hinterfragt werden.

Hat der FC Bayern ein Scouting- und Kaderplanungsproblem?

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FC Bayern München: Namhafte Abgänge - streitbare Zugänge

Nach dem Champions-League-Sieg 2020 verließen unter anderem Thiago, David Alaba, Jérôme Boateng, Javi Martínez, Robert Lewandowski und Benjamin Pavard den Verein. Die Gründe reichten von der Suche nach einer neuen Herausforderung bis hin zum klassischen Niveauverlust durch das Erreichen eines gewissen Alters.

Mancher Abgang ließ sich nicht vermeiden, mancher war gar notwendig. Doch all diese Spieler haben gemein, dass sie in unterschiedlichen Phasen der vergangenen Jahre sehr wichtig für den FC Bayern waren und eine hohe Grundqualität in den Kader brachten.

Einige von ihnen konnten nie wirklich ersetzt werden. Hervorzuheben ist vor allem Thiago. Bis auf den Transfer von Roca ist kein einziger Spieler gekommen, der dem Spanier vom Spielertypus her ähnelt: Spielstark, zweikampfstark, ballsicher und mit gutem Positionsspiel. Bei Roca zeigte sich schnell, dass auch er das auf diesem Niveau nicht leisten kann.

Stattdessen kamen mit Ryan Gravenberch, Marcel Sabitzer und Konrad Laimer Spieler, die eher dem vorhandenen Personal ähnelten: Laufstark, athletisch, mit viel Offensivdrang. Im vergangenen Sommer adressierte Thomas Tuchel dieses Problem sehr klar, als er davon sprach, dass er nur Achter im Kader habe, aber keine klare Sechs.

Immerhin Lewandowski wurde mit einem Jahr Verzögerung durch Harry Kane adäquat ersetzt, doch auch da unterschätzte man den Verlust zunächst, scheiterte mit dem Transfer von Sadio Mané.

Uli Hoeneß
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Transferquote des FCB ist nicht gut

Kane ist aber voll eingeschlagen, hat in 45 Spielen 44 Tore erzielt und zwölf weitere vorbereitet. Seine Quote ist ebenso atemberaubend wie sein gesamtes Auftreten und seine Spielstärke. Ein Volltreffer.

Auch Eric Dier war ein sehr guter Transfer des FC Bayern. Seine Erfahrung, seine Ruhe am Ball und seine Defensivqualitäten halfen den Münchnern dabei, sich nach einer schweren Phase im Winter zu stabilisieren. Dier gab auch dem zuvor kriselnden Matthijs de Ligt viel Halt.

Beide sind allerdings keine Meisterleistung der Kreativabteilung. Kane kostete mit knapp 100 Millionen Euro eine Menge Geld, bei Dier spielte Tuchels Vertrauen in dessen Qualitäten eine große Rolle. Alle anderen Neuzugänge blicken auf eine mindestens wechselhafte Debütsaison in München zurück.

Min-jae Kim war der nächste teure Versuch des FC Bayern, die Defensive endlich zu stabilisieren. Dass er im Winter an der Asienmeisterschaft teilnahm und er durch die hohe Belastung womöglich nicht mehr frisch genug für das Saisonfinale war, ist ein wichtiger Faktor in der Bewertung. Gleichzeitig war auch schon seine Hinrunde geprägt von Höhen und Tiefen. Fehler wie gegen Real Madrid im Halbfinale der Champions League machte er beispielsweise auch beim Pokal-Aus gegen Saarbrücken.

Laimer hat sicher keine schlechte Saison gespielt, aber gerade seine lange Suche nach einer passenden Rolle im Team unterstreicht, wie wenig seine Fähigkeiten den eigentlichen Baustellen des Kaders entsprechen. Bayern brauchte nicht den x-ten Athleten im Mittelfeld, sondern einen Gestalter und einen, der die Defensive stabilisieren kann.

Komplettiert wird das Bild von Raphaël Guerreiro. Der ehemalige Dortmunder hatte einige gute Auftritte im Trikot des FC Bayern, wird am Ende aber nur auf knapp über 1.600 Pflichtspielminuten gekommen sein. Zu oft war der Portugiese verletzt.

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FC Bayern München: Zwei von drei Korrekturen im Winter sind fehlgeschlagen

Als die Münchner dann im Winter gemerkt haben, dass der Kader viel zu dünn ist, wollten sie nachlegen. Neben Dier kamen noch Bryan Zaragoza und Sacha Boey. Letzterer verletzte sich früh. Eine faire Bewertung ist kaum möglich. Dennoch muss die Frage erlaubt sein, ob seine gezeigten Leistungen bei Galatasaray wirklich 30 Millionen Euro Ablöse rechtfertigen.

Für Zaragoza war dieses halbe Jahr eine Kennenlernphase. Doch auch beim Spanier gibt es Zweifel. Das liegt gar nicht so sehr daran, dass er bisher so gut wie gar keine Rolle unter Tuchel gespielt hat. Es war erwartbar, dass der 22-Jährige Zeit benötigt.

Doch mit 22 ist er eben auch kein 17-Jähriger mehr und körperlich fehlt dem Außenstürmer viel. Vielleicht sogar zu viel. So sehr seine technischen Ansätze zu erkennen sind, so gnadenlos wurde er in seinen wenigen Auftritten bisher von den robusten Defensivspielern der Bundesliga wegverteidigt.

Hasan Salihamidzic (l.) und Uli Hoeneß bei der JHV der Bayern Ende November 2021.
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Wo ist das Konzept beim FC Bayern?

Für jeden einzelnen dieser Transfers lassen sich Gründe finden, um ihn zu rechtfertigen. Doch in Summe fällt es schwer, aus den Verpflichtungen des FC Bayern schlau zu werden. Welches Konzept wird verfolgt? Will man junge Spieler wie Mathys Tel finden und ausbilden? Dann müsste diesen auch noch konsequenter vertraut werden.

Oder ist der kurzfristige Erfolg dann doch so entscheidend, dass man fertige Spieler verpflichten möchte? Dann ist das, was Kim, Laimer oder Guerreiro angeboten haben oder anbieten konnten, nicht genug.

Seit 2017 gibt es ein großes Vakuum in der sportlichen Leitung des Rekordmeisters. Auf Sportvorstand Matthias Sammer folgte zunächst niemand, der langjährige Kaderplaner Michael Reschke wurde auch eher durch Stühlerücken ersetzt, als viel Kompetenz von außen zu holen.

Es folgte mit Hasan Salihamidzic jemand, der erst einen Lernprozess mit vielen ganz natürlichen Fehlern durchlief, um dann ganz offensichtlich immer noch nicht gut genug zu sein. Auch die Anstellung von Oliver Kahn entpuppte sich schnell als Fehler. Es waren Jahre, in denen sicher nicht alles schlecht war, aber in denen auch kein Konzept erarbeitet werden konnte, das tatsächlich eine Art "Bayern-Weg" repräsentieren könnte.

Zu sehr war der FC Bayern damit beschäftigt, sich überhaupt zu finden. Zu sehr wurde darum gekämpft, wer die neuen starken Männer nach dem Abschied von Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge werden können. Zu sehr haben sich Letztere dann doch wieder eingemischt, weil sie das Gefühl hatten, dass es ohne sie nicht geht.

Die Transfers der vergangenen Jahre repräsentieren genau diese Suche nach sich selbst. Sie sind für sich genommen selten eine totale Katastrophe, in Addition ergeben sie aber auch kein einheitliches Bild. Es sind Puzzleteile aus unterschiedlichen Puzzles.

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Dem FCB fehlt ein echter "Bayern-Weg"

Tuchel formulierte es jüngst treffend. "Die ganze Saison über haben wir mit den Auswechslungen reagiert, anstatt aktiv zu sein", sagte er auf der Pressekonferenz nach der 1:2-Niederlage in Madrid: "Wir mussten immer auf Verletzungen reagieren. Heute mussten alle vier Offensivspieler ausgewechselt werden. Wir waren nie in der Lage, ein Spiel so zu verändern, wie wir es wollten."

Zwar spielte er damit auf die Verletzungsproblematik an, doch mindestens indirekt klang auch durch: Dieser Kader bietet zu wenige Alternativen. Struktur, Breite, Idee dahinter - all das fehlt komplett oder zumindest in Teilen.

Es mag die Trainersuche sein, die medial alles bestimmt. Doch die größte Aufgabe von Max Eberl und Christoph Freund besteht darin, die Worthülsen von Hainer mit Leben zu füllen. Werte, Kreativität, Identität, Bayern-Weg - wenn man in München ehrlich mit sich selbst ist, sind das Phrasen ohne Leben. Gerade beim Blick auf den Kader fällt das auf.