DFB-Team: Darum sind die Debatten um Joshua Kimmich in der Nationalelf übertrieben

Von Falko Blöding
DFB-Team, Joshua Kimmich, EM 2024, Nationalelf
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Kein Top-Stürmer, keine eingespielte Formation, keine sattelfeste Abwehr. Aber klar, das Problem der Nationalmannschaft ist Joshua Kimmich.

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Bei der DFB-Elf grüßt mal wieder das Murmeltier in Form einer Debatte, die am eigentlichen Thema komplett vorbeigeht. Im Mittelpunkt steht Joshua Kimmich, dessen Qualitäten als Fußballer und als Leader von Ex-Nationalspielern, die heute als Experten gelten (wollen), zerpflückt werden. Dass die Nationalmannschaft ein Jahr vor der EM-Endrunde im eigenen Land in alarmierendem Zustand ist, ist unstrittig. Dass Kimmich daran aber einen maßgeblichen Anteil haben soll, ist Blödsinn.

Gegen den 28-Jährigen läuft aktuell eine Kampagne aus dem Baukasten. Des Deutschen liebstes Kind spielt mies, also wird vorzugsweise der Star aus der Mittelfeldzentrale nieder gemacht. Michael Ballack war "der ewige Zweite", mit dem man eh keinen großen Titel gewinnen kann. Bastian Schweinsteiger wurde als "Chefchen" tituliert und Toni Kroos, mittlerweile fünfmaliger Champions-League-Sieger, als "Querpass-Toni" abgestempelt. Diese Liste ließe sich gewiss noch weiterführen.

Wie die Debatten um oben genannte Spieler ist auch jene um Joshua Kimmich im Moment fehl am Platze. Die Elf des mittlerweile überfordert wirkenden Hansi Flick spielt nicht wegen des 28-Jährigen miserabel sondern trotz ihm.

Kimmich ist ein herausragender Spieler. Pep Guardiola war von ihm in jungen Jahren beim FC Bayern begeistert, und er ist es heute auch noch. Selbiges gilt für Barcelonas aktuellen Trainer Xavi. Die Mittelfeldlegende flirtete öffentlich mit dem 28-Jährigen und holte sich dafür am Wochenende einen Rüffel von FCB-Boss Herbert Hainer ab.

DFB-Team, Joshua Kimmich, EM 2024, Nationalelf
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DFB-Team: Es hagelt Kritik an Joshua Kimmich

Dem stehen die Meinungen von Ex-Nationalspielern wie Lothar Matthäus, Jens Lehmann und Mario Basler gegenüber. Sie fachen mit ihren Aussagen die schlechte Stimmung rund um die Nationalmannschaft an. Lehmann etwa warf Kimmich vor einigen Wochen vor: "Er kann auf dem Platz nicht organisieren, das hat er nie gelernt."

Matthäus behauptete derweil unlängst: "Die Nebenleute wurden neben ihm zuletzt konstant schlechter. Weil sie für Kimmich - ungewohnte - Arbeit mitmachen mussten."

Und Basler dampfplauderte, an Stelle des FC Bayern würde er Kimmich "mit der Schubkarre" nach Barcelona bringen. Und überhaupt: Kimmich sei "überbewertet" und präsentiere sich nach Spielen "wie ein kleines Kind". Basler meint: "Das Schlimme ist, dass er alles machen möchte. Das ist ein großer Unterschied, ob du das machen musst oder möchtest."

Mal abgesehen davon, dass derlei Aussagen kaum zu belegen sind, gehen sie am Thema vorbei. Das Problem der Nationalmannschaft sind nicht etwa Joshua Kimmichs Rollenverständnis oder Mentalität. Oder ist es die Schuld des Champions-League-Siegers von 2020, dass es trotz hochkarätigen Personals auch nach mehreren Jahren noch keine funktionierende Mittelfeldzentrale gibt? Ist es Kimmichs Verantwortung, dass Hansi Flick bei der Niederlage in Polen die 20ste Abwehrformation im 23. Spiel auf den Rasen schickte? Kann Kimmich mehr als alle anderen dafür, dass Deutschland - Paradebeispiel war das 3:3 gegen die Ukraine - seit eineinhalb Jahren wieder und wieder die selben, billigen Gegentore schluckt?

DFB-Team, Joshua Kimmich, EM 2024, Nationalelf
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DFB-Team - Joshua Kimmichs Position: Hansi Flick ist gefordert

Kimmich ist sicherlich in den letzten Jahren von Everbody's Darling zur Reizfigur geworden. Seine Impfskepsis während der Coronapandemie war ein großes Thema. Seinen übertriebenen Jubel vor den Freiburger Fans nach Bayerns knappem Sieg beim SC vor einigen Monaten hätte er sich auch sparen können.

Dazu lässt er mehr oder weniger offen durchblicken, wo er sich auf dem Rasen sieht. Rechtsverteidiger mag er nicht mehr gerne spielen und als reinen Abräumer versteht er sich auch nicht. So weit, so gut. Nun ist es aber die Aufgabe seiner Trainer, ein Gerüst um Kimmich herumzubauen, damit dieser seine Stärken optimal einbringen kann, ohne eben an anderer Stelle Löcher aufzureißen. Bei aller Wertschätzung durch große Trainer und Namen: Zuletzt gelang dies Flick und Thomas Tuchel sowie Julian Nagelsmann im Klub nicht.

Das DFB-Team fährt am Abend besser einen überzeugenden Sieg gegen Kolumbien ein. Andernfalls dürfte die Debatte um Kimmich weitergehen. Und wer weiß, vielleicht singt ja auch nicht jeder Nationalspieler die Hymne mit. Dann könnte man nahtlos mit einer Mentalitätsdebatte fortfahren. Auch das wäre mal wieder typisch.

Joshua Kimmich: Seine Bilanz in der Nationalmannschaft

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