Es gibt kaum mehr Argumente, die für eine Weiterbeschäftigung von Hansi Flick als Bundestrainer sprechen. Weil die naheliegenden Nachfolge-Kandidaten aber Haken haben und purer Aktionismus fehl am Platz wäre, sollte Flick seinen Job wohl oder übel trotzdem behalten.
Von allen elf bisherigen Bundestrainern hat mittlerweile nur mehr Erich Ribbeck einen noch schlechteren Punkteschnitt als Hansi Flick. Zwischen 1998 und 2000 holte Ribbeck in 24 Spielen durchschnittlich lediglich 1,5 Zähler. Nach dem kläglichen Vorrunden-Aus bei der EM 2000 in Belgien und den Niederlanden war seine Amtszeit beendet.
Flick kommt in ebenso vielen Spielen wie Ribbeck auf einen marginal besseren Schnitt von 1,79. Auch er hat schon ein Vorrunden-Aus bei einem Turnier zu verantworten, in seinem Fall aber folgenlos. Seit der missratenen WM in Katar wurde alles sogar noch schlimmer: Fünf Spiele, nur ein Sieg, zuletzt zwei Niederlagen - und zwar nicht gegen Großmächte.
Flicks personelle und taktische Experimente gingen dabei, wie er selbst sagt, "in die Hose". Am offensichtlichsten die Abwehr-Dreierkette, die mit Emre Can sogar ein Spieler explizit kritisierte. Es war ein großer Fehler, dass Flick nicht spätestens bei der zurückliegenden Länderspiel-Phase für Kontinuität sorgte, der gesichtslosen Truppe eine wiedererkennbare Struktur gab und in Deutschland somit zumindest etwas Identifikation mit der Nationalmannschaft stiftete.
Ähnlich wie einst Ribbeck versprüht Flick bei seinen öffentlichen Auftritten nicht den Hauch von Aufbruchstimmung oder Hoffnung auf Besserung - wunderbar sichtbar im ratlosen RTL-Interview nach der 0:2-Niederlage gegen Kolumbien. Flicks Öffentlichkeitsarbeit scheint aktuell so desolat wie der Fußball seiner Mannschaft.
Nominell verfügt Flick übrigens über bessere Spieler als einst Ribbeck: Er kann auf 2020er Triple-Sieger vom FC Bayern München zurückgreifen (Joshua Kimmich & Co.), auf den Siegtorschützen vom Champions-League-Finale 2021 (Kai Havertz), auf den Kapitän des amtierenden Triple-Siegers (Ilkay Gündogan), auf einen Stamm-Innenverteidiger des größten Klubs der Welt (Antonio Rüdiger) und eines der vielversprechendsten Talente des Weltfußballs (Jamal Musiala). Klar, es fehlen Außenverteidiger und Mittelstürmer. Aber die Mannschaft hat eigentlich genügend Top-Spieler, um deutlich besser abzuliefern als zuletzt.
Trotz der Jobgarantie von Sportdirektor Rudi Völler hat Flick kaum Argumente für eine Weiterbeschäftigung - es führt aber wohl dennoch kein Weg daran vorbei, wie ein Blick auf die Situationen der naheliegenden Nachfolge-Kandidaten zeigt.