Man kann den Spielern des DFB-Teams sicher nicht vorwerfen, die Lage nach dem desolaten 1:4 gegen Japan beschönigt zu haben. "Die Japaner waren klar besser und uns in allen Belangen überlegen", sagte der neue Kapitän Ilkay Gündogan etwa. Zudem konstatierte der Neuzugang des FC Barcelona, dass "wir spielerisch mit solchen Mannschaften nicht auf Augenhöhe sind." Irgendwann lägen Anspruch und Wirklichkeit so weit voneinander entfernt, dass man akzeptieren müsse, dass man gerade nicht gut genug sei.
Trainer Hansi Flick meinte in seinem sehr ratlos wirkenden Interview bei RTL unmittelbar nach dem Spiel, dass die Japaner alle "top ausgebildet" seien und die Basics drauf hätten. Thomas Müller ordnete die Japaner in die "Top 10 oder Top 15 der Welt" ein - und Deutschland eben nicht.
In der Form von Samstag hätte das DFB-Team wohl sogar Schwierigkeiten, San Marino oder Gibraltar zu dominieren. Aber: Ao Tanaka, der Schütze des letzten Tores, spielt bei Fortuna Düsseldorf in der 2. Bundesliga. Bei allem Respekt für Tanaka und die 2. Bundesliga: Wenn ein Zweitliga-Mittelfeldspieler besser ausgebildet und näher an der Weltspitze sein soll als durch die Champions League gestählte Spieler wie Antonio Rüdiger, Joshua Kimmich, Robin Gosens oder Niklas Süle, dann Gute Nacht, Deutschland!
Hansi Flick: Die Experimente gingen weiter
Den zugegeben sehr gut spielenden Gegner in den Himmel zu heben, führt an den gewaltigen Problemen der DFB-Elf vorbei. Es wäre zumindest ein guter Anfang, die Ursachen auch abseits der Fehleranalyse bei sich selbst zu suchen.
Hansi Flicks ewige taktische Experimente endeten auch gegen Japan nicht. Trotz der Ankündigung, dass man sich jetzt einspielen wolle für die EM und die Zeit für Experimente vorbei sei, führte er ein hybrides Verteidigungskonzept mit dem einrückenden Rechtsverteidiger Joshua Kimmich und dem völlig überforderten Neo-Linksverteidiger Nico Schlotterbeck ein und tauschte außerdem noch seinen Kapitän aus. Das lückenhafte bis fehlende defensive Konzept Flicks war ehrlicherweise auch schon beim FC Bayern München ein Problem.
Trotzdem ist es schwer zu sagen, wie groß der Anteil von Flicks Arbeit als Trainer an den immer desolateren Auftritten des DFB-Teams ist. "Irgendwas muss vorgefallen sein", vermutete Rekordnationalspieler Lothar Matthäus bei RTL und meinte: im Binnenverhältnis zwischen Mannschaft und Trainer. Wie sonst ist es zu erklären, dass im Grunde das gleiche Team, das bei der völlig missratenen WM in Katar immerhin noch vier von sechs ordentliche Halbzeiten spielte, seitdem insgesamt nicht mal mehr gute 30 Minuten hinbekommen hat?
DFB-Team: Hansi Flick sprach wie ein Trainer im Abstiegskampf
Unabhängig davon, wie groß Flicks Verantwortung ist: Selbst dem Bundestrainer scheint mittlerweile die Fantasie zu fehlen, wie diese Mannschaft unter ihm jemals wieder besser spielen soll. All seinen Beteuerungen zum Trotz: Flicks Auftritt nach dem 1:4 wirkte maximal hilflos, er sprach wie ein Trainer im Abstiegskampf, der im Grunde weiß, dass es vorbei ist.
Rudi Völlers vermiedenes Bekenntnis gab ja schon die Richtung vor. Und natürlich muss der DFB jetzt etwas tun, natürlich kann Hansi Flick diese Mannschaft nicht noch bei der Heim-EM 2024 betreuen. Dafür ist der Absturz der letzten Monate zu brutal, dafür sind die Entwicklungsschritte zurück in Richtung der unsäglichen Rumpelfußballära unter dem vollkommen wirr agierenden Erich Ribbeck zu groß.
Selbst der beste Trainer der Welt bräuchte ganz viele glückliche Umstände, um neun Monate vor der EM 2024 noch den Turnaround zu schaffen. Dass dem DFB-Team sehr gute Außenverteidiger, Abräumer und Mittelstürmer fehlen und generell die Anzahl an echten Weltklassespielern im Kader sehr begrenzt ist, ist ja eine traurige Tatsache.
DFB-Team: Die negativen Vorbilder aus der Taskforce
Noch schwerwiegender ist in der aktuellen Situation auch der Mangel an echten Führungskräften im Verband. Der Leistungsnachweis der nach dem WM-Desaster eiligst ins Leben gerufene Taskforce Nationalmannschaft ist mindestens so schmal wie das Leistungsniveau der Kicker. Statt Probleme zu lösen oder anzugehen oder zumindest Visionen für die Zukunft zu entwickeln, wurden Taskforce-Mitglied und der einstmalige Erich-Ribbeck-Nachfolger Rudi Völler zum Sportdirektor gemacht und außerdem fleißig Nebenkriegsschauplätze eröffnet - die zu allem Überfluss den meisten Applaus vom halbrechten Rand erhielten.
Die Mitglieder der Tasforce Nationalmannschaft äußerten sich in den vergangenen neun Monaten zu Gendern (Rudi Völler, kein Fan) und Latte Macchiato (auch Völler, ebenfalls kein Fan) und zu Luis Rubiales (Karl-Heinz Rummenigge, fand die Kuss-Attacke auf Jenni Hermoso nicht schlimm). Sie installierten einen neuen Sportdirektor für die Jugend, nur um das schon lange geplante und vorbereitete Jugendfußballkonzept - offensichtlich ohne es verstanden zu haben - in die Tonne zu treten und den eigenen Mann so maximal zu beschädigen (Hans-Joachim Watzke).
Die knallharte Analyse der WM in Katar beschränkte sich im Wesentlichen darauf, die Diskussion um die Spielführerbinde als Hauptgrund für das jähe Scheitern zu identifizieren. Wen wundert es angesichts der negativen Vorbilder, dass ein Spieler wie Kai Havertz zuletzt mit seiner deplatzierten Publikumsschelte arg ins Schlingern geriet?
Solange der Kopf vom Fisch so stinkt, könnten auch Julian Nagelsmann, Jürgen Klopp oder Matthias Sammer diese DFB-Elf nicht retten.